Verkehrte Welt

Sebastian Blasius präsentiert Schillers Räuber als verkopftes Vortragstheater

Wohin mit all den deutschen Flüchtlingen, die 2015 in Istanbul eintrafen? Man kann sich der Verantwortung nicht entziehen, sind sie doch die Konsequenz der jahrzehntelangen Ausbeutung durch Neo-Osmanen und deren Konzerne in ganz Europa. »Die Räuber der Geschichte — Vier Versionen eines alternatives Weltverlaufs« ist der Entwurf unterschiedlicher Was-Wäre-Wenn-Szenarios, die das Verhältnis zwischen dem europäischen Kontinent und dem Nahen Osten unter vertauschten Bedingungen imaginieren. Industrialisierung, Imperialismus und die damit einhergehenden Folgen hätten nicht in Westeuropa, sondern im osmanischen Reich stattgefunden, das rücksichtslos Grenzen auf der Landkarte gezogen hätte, um durch geopolitische Strategien das Imperium auszubauen.

 

Regisseur Sebastian Blasius bat vier ExpertInnen um Texte, die den Lauf der Geschichte andersherum darstellen. Die Emirate Preußen und Bayern verlangen darin Entschädigung für den Diebstahl uralter Kulturgüter, doch kann Geld die Entschuldigung dafür sein, dass die vereinten osmanischen Nationen ihren Wohlstand auf Kosten anderer aufbauen? Die Moral springt einem als Zuschauerin ins Gesicht, obwohl die Texte mitunter auch humorvoll daherkommen.

 

Einen klassischen Theaterabend sollte man nicht erwarten, wenn man sich dieses Stück im Freien Werkstatttheater anschauen möchte. Auf der Bühne passiert zumindest kein Drama. Außer den Texten, die performt werden — Anne Tismer verwandelt sich in Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Herkunft — zwei Leinwänden und fünf umherwandelnden Schauspielerinnen, gibt es nichts wahrzunehmen. Das sorgt dafür, dass bei aller Hingabe an das Sujet, die Konzentration etwas schwer fällt. Die Texte sind im Einzelnen gut recherchiert, die Kombination jedoch — im vierten Szenario sind die Verhältnisse plötzlich »richtig«, es geht um den Einfluss der französischen Besatzung in Syrien — zerschlägt ihre Gegenstände direkt wieder. Fortwährend muss man sich, dieser geballten Komplexität ausgesetzt, fragen, ob man im Geschichtsunterricht vielleicht die meiste Zeit geschlafen hat oder zu wenig Zeitung liest.

 

Auf einer der Leinwände wird der E-Mail-Wechsel zwischen dem Regisseur und den AutorInnen der Texte abgebildet, was das Stück transparenter machen soll, ihm in erster Linie aber von außen eine Wichtigkeit aufträgt. Auf der anderen wird in Ausschnitten eine Dokumentation gezeigt, deren wichtigstes Potential ironischerweise darin gesehen wird, dass sie einem breitem Publikum zugänglich gemacht werden soll. Der Abend verhebt sich an dem Versuch, Diskurstheater sein zu wollen.

 

 

»Die Räuber der Geschichte«, A: Dr. Behrang Samsami, Dr. Huda Zein, Gerrit Wustmann, Dr. Asiem El Difraoui, R: Sebastian Blasius, 10.–12.4., FWT, 20 Uhr