»Schon als Jugendlicher woll­te ich ein Stück schreiben, bei dem Ampeln nicht den ­Ver­kehr dirigieren, sondern eine Musikaufführung«, Foto: Xavier Lambours

»Hauptthema meines Schaffens ist das WIR«

Das Kölner Festival Acht Brücken ­feiert die zeitgenössische Musik. Im Mittelpunkt steht dieses Jahr das Werk des griechisch-französischen Komponisten Georges Aperghis. Im Interview äußert er sich über sein multidimensionales Werk, das keiner Schule zugehörig ist

Für Georges Aperghis ist Musik stets mehr als nur Klang. Eine Aufführung ist immer auch Aktion, Körper, Raum, Licht, Szene, Theater. Prägungen durch seine Eltern — die Mutter war Malerin, der Vater Bildhauer — ließen den Kom-ponisten lange zwischen bildender Kunst und Musik schwan-ken. 1945 in Athen geboren, übersiedelte er 1963 nach Paris. Mit seinem 1976 gegründeten »Atelier Théâtre et Musique« (ATEM) suchte Aperghis Alternativen zu den üblichen Konzert- und Theaterformaten und deren arbeits-teiliger Organisation. Viele seiner Arbeiten bewegen sich in Grenzbereichen von Musik und Theater. Beim Festival »Acht Brücken — Musik für Köln« sind zwischen dem 30. April und 11. Mai achtzehn Werke des international gefeierten Erneuerers des Musiktheaters zu erleben.

 

 

Herr Aperghis, viele Ihrer Kompositionen sind dem Sprechen abgelauscht. Was fasziniert Sie an Sprache?

 


Ich habe Musik immer so gehört, als wären da Stimmen, die zu mir reden. Schon als Kind habe ich viel Klassik gehört, auch griechische Musik, Chansons, Varietée, Moderne. Doch bei klassischer Musik hatte ich immer das Gefühl, dass da Leute sind, die mir etwas sagen wollen, was ich nur nicht verstehen kann. Bei einem Klavierkonzert von Mozart kommt es mir vor, als sage mir das Klavier etwas, und bei einem Streichquartett von Beethoven gehen die Stimmen ineinander über, man hat den Eindruck, Menschen tauschen Ideen aus, die dann in den eigenen Kopf übergehen, so dass man ein Teil des Gesprächs wird. Es geht dabei nicht um be-stim-mte Dinge und Inhalte, aber es gibt eine genaue formale Rede, die einen mitarbeiten, mitphantasieren, mitfühlen lässt.

 

 

 

Von der Sprache ist es nur ein kleiner Schritt zum Musikthea-ter. Sie haben seit langem ein festes Team aus Regisseur, Programmierer, Videokünstler, Lichttechniker, Bühnenbildner. Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit?

 


Zuerst muss ich genau wissen, wohin ich mit einer Produktion möchte, was mein Ziel ist. Wenn das Gerüst meiner Arbeit steht, höre ich mir an, was die anderen beizutragen haben. Dann bin ich offen für Ideen von allen Seiten, das eine ergibt das andere. Ich versuche auch Fehler und Zufälle einzubeziehen, alles was bei Proben passieren kann und unvorhersehbar ist, weil das manchmal Dinge hervorbringt, an die man niemals gedacht hätte. Es ist eben nicht wie in der traditionellen Oper, wo es zuerst ein Libretto gibt, dann die Musik hinzukommt und schließlich ein Regisseur alles auf die Bühne bringt. Ich arbeite immer gleichzeitig an musikalischen und visuellen Vorstellungen.

 

 

 

In Köln sind jetzt Ihre »Machinations« aus dem Jahr 2000 zu erleben, das erste Stück eines Musiktheaterzyklus mit »Luna Park« von 2011 und dem erst kürzlich bei den Donaueschinger Musiktagen 2018 uraufgeführten »Thinking Tings«. Worum geht es in diesem Zyklus?

 


Zentrales Thema ist der Gebrauch von Maschinen. »Machinations« verhandelt die Erfindung des Computers, »Luna Park« zeigt eine Gesellschaft, die unter der Kontrolle von Überwachungskameras steht und wo sich die Menschen auch selbst medial beobachten. »Thinking Things« stellt die Frage, was wir Robotern und Künstlicher Intelligenz zu tun geben. Gehen wir irgend-wann so weit, es diesen Apparaten auch zu überlassen, an unserer Stelle zu denken? Alle drei Stücke verbindet der Umstand, dass die Akteure nie direkt miteinander kommu-nizieren, sich nie direkt ansehen, miteinander spielen und sprechen. Alle Kontaktaufnahmen erfolgen über Prothesen, Bildschirme, Mikrofone, Lautsprecher. Denn genau so erlebe ich heute die Welt und das Verhalten der Menschen.

 

 

 

Warum betrachten Sie diesen Zyklus nun als abgeschlossen, wo die darin thematisierten technologischen Entwicklungen womöglich erst am Anfang stehen?

 


Wenn ich in zehn Jahren noch lebe, könnte es sein, dass ich das Thema noch einmal aufgreife. Gegenwärtig beschäftigt mich aber das Thema Demo-kratie versus Chaos. Wie vielstimmig und demokratisch kann man mit kleineren Gruppen arbeiten, wie ich es gerade mit dem Kölner Ensemble Musikfabrik mache? Ich denke darüber nach, wie ein Ensemble funktioniert, mit Musi-kern, Managern und allem was dazu gehört, die Herkunft und die verschiedenen Sprachen der Musiker. Haupt-thema meines gesamten Schaffens ist das »Wir«. Ich versuche in meiner Musik eigentlich immer von »uns« zu sprechen und die Grenzen der Polyphonie so weit auszudehnen, dass die Musik noch demokratisch bleibt und die Kontrolle nicht verloren geht. Doch irgendwo gibt es einen Grad an Vielstimmigkeit, der unkontrollierbar wird. Ab wann muss man bei einer größeren Gruppe, etwa einem Orchester, für Ordnung sorgen?

 

 

 

Welche Verbindungen gibt es zwischen Ihrer Musik und dem dies-jährigen Acht-Brücken-Festivalthema »Großstadt-Polyphonie«?

 


Für mich ist Polyphonie mein ganzes Leben und Arbeiten. Ich kann kein Stück für einen einzelnen Musi-ker schreiben, und wenn ich es doch tue, dann muss sich der Musiker zu einer multiplen Persönlichkeit verzwei-gen, der alles Mögliche gleichzeitig durch den Kopf geht und die in verschiedene Richtungen geht. Ich will das so, weil ich es nicht anders kann. Die Großstadt ist eine einzige Polyphonie. Schon als Jugendlicher wolle ich ein Stück schreiben, bei dem Ampeln nicht den Verkehr dirigieren, sondern eine Musikaufführung.

 

 

 

Sie leben mitten in Paris, in einem belebten Ausgehviertel nahe der Place de la Bastille. Wollten Sie nie auf dem Land leben?

 


Zwei oder drei Monate im Jahr bin ich gerne auf dem Land, um zu komponieren. Aber dann fehlt mir auch schon wieder die Stadt mit ihren Cafés, Bars, Restaurants, mit Nacht-leben, Leuten, Passanten, eben diese Polyphonie. Aber die Idee einer Rückkehr zum Landleben und zur Erde hat natürlich auch eine politische Komponente. Alles was ich mache, dient eigentlich dazu, das System zu zeigen, in dem wir leben. Wenn man zu Ende denkt, was ich mit meinen Stücken mache, dann käme man wieder zurück auf kleine ländliche Gruppen und die Tauschwirtschaft vor Erfindung des Geldes. Aber das ist ein Kindheitstraum, denn ich glaube nicht, dass dies noch möglich ist, da wir zunehmend in eine nicht mehr zu kontrollierende Situation geraten. Auch Phänomene wie Telekommunikation, Überwachung, Künstliche Intelligenz und Robotik zeige ich, ohne zu sagen, ich bin dafür oder dagegen. Ich zeige sie nur, so wie ich zeigen würde, du hast an der Hand fünf Finger, zehn wären vielleicht besser. Aber darüber denkt man nicht nach, denn diese fünf Finger sind einfach ein Teil von uns.