»Kein Wohlfühltheater«: Regisseur Stefan Herrmann, Foto: Marcel Wurm

»Welcher Glaube gehört zu Deutschland?«

Stefan Herrmann beschäftigt sich beim Sommerblut-Festival mit den Vorurteilen

der Religionen übereinander

 

Für 2019 legt das Sommerblut-­Festival den Schwerpunkt auf Glaubensfragen. Ein besonderes Projekt kommt von Regisseur Stefan Herrmann. Er macht aus Chorweiler die »City of Faith — Glaubt doch, was Ihr wollt«. Mithilfe der Ringparabel aus »Nathan der Weise« und den Bewohnern mit ihren unterschiedlichen Glaubensrichtungen will er den Chor der Gläubigen erklingen lassen. Wir sprachen mit dem Regisseur über Vorurteile.



Wie ist das Projekt »City of Faith« zustande gekommen?

 

Wir wollten versuchen, ganz viele Menschen mit unterschiedlichem Glauben auf die Bühne zu bringen. Chorweiler ist dafür besonders repräsentativ. Auf engen Raum leben hier Angehörige vieler verschiedener Glaubensrichtungen, die ich zeigen möchte. Deshalb haben wir bewusst auf Schauspielerinnen und Schauspieler verzichtet. Und es ist auch immer das Anliegen von Sommerblut, dass man in Konfliktorte reingeht und versucht herauszufinden, warum es eigentlich Vorbehalte oder Vorurteile gibt. Chorweiler ist da nicht ausgenommen. Der Stadtteil ist als sozialer Brennpunkt gelabelt.



Bei »Drugland« im letzten Jahr, ein Theaterprojekt mit den Drogenabhängigen am Neumarkt, hast du dem Publikum die Begegnungen mit »diesen« Menschen ermöglicht. Der Abend hat meinen Blick auf den Neumarkt nachhaltig verändert. Welche Begegnungen wird es in Chorweiler geben?

 

Vorurteilen entstehen daraus, dass man eigentlich nichts genaues weiß. Theater bietet die Möglichkeit, die eigenen Vorurteile offen zu betrachten. Wenn ich Projekte wie »Drugland« mache, ist das eine sehr biografische Arbeit. Dann führe ich persönliche Gespräche, die ich aufzeichne. Aus diesem Textmaterial basteln wir uns eine Geschichte. Das ist in Chorweiler auch so, nur das wir uns nicht im öffentlichen Raum aufhalten.



Warum?

 


Wir wären gerne in die Citycenter-Passage gegangen, aber das hat logistisch mit den Betreibern nicht funktioniert. Deswegen sind wir auf einen Theatersaal in einer Schule ausgewichen. Das erlaubt uns aber, sehr konzentriert den Fokus auf die Geschichten der teilnehmenden Menschen aus Chorweiler zu legen. Wie habt ihr Gläubige gefunden? Wir haben uns mit allen Gemeinden in Chorweiler getroffen, und es gibt einen runden interreligiösen Tisch, der »Frieden« heißt. Da haben wir unser Projekt vorgestellt. Wir sind von der Frage ausgegangen, etwas provokativ und zugespitzt: Welcher Glaube gehört zu Deutschland?



Bist du selbst gläubig?

 

Nein, ich bin mit 18 aus der Kirche ausgetreten. Ich beschäftige mich aber mit Spiritualität und Ideen, die in Religionen auftauchen, wie Achtsamkeit oder Meditation, Dankbarkeit oder Nächs­tenliebe. Das sind Themen, die in »City of Faith« auch eine Rolle spielen.

 


Wie willst du den Abend dramaturgisch aufbauen?

 

Wir tauchen in ungefähr 20 bis 25 unterschiedliche Glaubensbiografien ein. Die verknüpfe ich mit Lessings »Ringparabel«. Die humanistische Botschaft lautet ja, alle sind trotz unterschied­lichen Glaubens gleich. Nathan sagt, es gibt keinen Religion, die besser ist. Die » Ringparabel« würde ich gerne als »Chor der Gläubigen« erzählen lassen, also nicht aufgesplittet in Moslems, Juden, Christen, Aleviten oder syrisch Orthodoxe. Daraus wird sich hoffentlich eine Diskussion ergeben.



Im Zusammenhang mit Religion taucht immer das Wörtchen »Versöhnung« auf. Welche Rolle spielt es bei deinem Projekt?

 

Viele sagen, es geht doch um Befriedung, dass die Religionen sich aussöhnen sollen und sich gegenseitig achten. Zu der Aussage möchte ich auch kommen, aber ich möchte nicht so ein Wohlfühltheater machen. Mich interessiert, was uns daran hindert, sich gegenseitig zu achten. Das Bildungsbürgertum, was zu so einem Projekt kommt, hat eine tolerante Einstellung. Warum soll ich die noch bestätigen, dass alle nicken und sagen, genau, wir sind alle nur Menschen. Meine Aufgabe als Regisseur ist, genau da anzusetzen: Wir sollten uns eingestehen, dass wir ambivalent sind und Vorurteile haben. Wenn wir das annehmen, das wir so sind, dann erlangen wir ein tieferes Verständnis, und Toleranz wäre wirklich unterfüttert.

 


Du bist auch mit einem zweiten ­Projekt im Sommerblut vertreten: Du möchtest nach »Drugland« ein Ensemble aus Drogenabhängigen weiterführen. Das hat offensichtlich funktioniert.

 

Wir hatten das Projekt evaluiert und die Rückmeldung war sehr hoch, dass es weitergehen soll. Allerdings möchte das Ensemble sich nicht mehr weiter an den eigenen Themen abarbeiten.



Was erwartet uns als Zuschauer?

 

Ich werde ein Live-Hörspiel inszenieren und zwar das Grimmsche Märchen »Das Mädchen ohne Hände«. Dieses Mädchen, dem der Vater die Hände abschlägt, um einen Pakt mit dem Teufel zu machen, hat mit den Drogenabhängigen viel gemein, ohne das man das jetzt ausbuchstabieren muss. Aber dieses Bild des Mädchens, dass ohne Hände nicht handeln kann, also eingeschränkt zu sein — das kennen Drogenabhängige zur Genüge. Auch hier werden biografische Geschichten eingestreut.



Wie verknüpfst Du die mit dem Thema Glauben?

 

 

Es geht in dem Märchen um Frömmigkeit, um den Glauben des Mädchens an Gott, und dass es trotz seiner Beeinträchtigung seinen Platz in der Welt finden wird. Dazu wird das Ensemble seine eigene Sicht entwickeln.

 



StadtRevue präsentiert

 


Sommerblut — Festival der Multipolarkultur, 25.5–11.6



»City of Faith« A+R: Stefan Herrmann, 30. (P), 31.5., 1.6., Freie Waldorfschule Köln, Weichselring 6–8, 19 Uhr

 


»Das Mädchen ohne Hände« nach den Gebrüdern Grimm, R: Stefan Herrmann, 6. (P)–8.6., Freies Werkstatt Theater, 20 Uhr