»Maquia«

 

Okada Maris Anime erzählt anrührend von einer verwundeten Seele

 

Lange hat es gedauert, aber nun ist es endgültig soweit: Japanische Animationsfilme, kurz: Anime, haben sich als Phänomen auch in Deutschland so weit durchgesetzt, dass sie regelmäßig ins Kino kommen. Es sind nicht mehr allein die vor allem handgezeichneten Produktionen des Studios Ghibli (»Chihiros Reise ins Zauberland«, »Die rote Schildkröte«), die hier gezeigt werden, sondern interessante und sehenswerte Werke aus allen möglichen Kontexten dieser komplexen Kultur. Mit Erfolg. Wobei bemerkenswert ist, dass es eine Motiv- und Gestaltungsvorliebe zu geben scheint: eher lichte Fantasy, die gestalterisch für das Genre realistisch gehalten ist. Wie zum Beispiel Okada Maris Regie­debüt »Maquia — Eine unsterbliche Liebesgeschichte«.

 


Die 1976 geborene Okada hat eine besondere Geschichte. Denn sie wurde in frühester Jugend ­derart von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern misshandelt, dass sie irgendwann einfach nicht mehr das Haus verließ. In dieser Zeit begann sie mit dem Schreiben, was man ihr als schulische Leistung so weit anrechnete, dass sie später ein Gymnasium besuchen durfte — eine bemerkenswerte Geste gerade im rigiden japanischen Kontext. Bei Okadas extremen Schwierigkeiten, mit Menschen umzugehen, lag das Schreiben von Drehbüchern erst einmal nahe. Angefangen hat sie im Pornovideobereich, wechselte von dort aus aber sehr schnell zum Anime, wo sie sowohl frem­de Stoffe adaptierte als auch Originalstoffe entwickelte. Ihr erster Schritt aus der Isolation der Schreibstube war die Drehbuch-Gesamtleitung von TV-Serien, also die Koordination verschiedener Autorinnen und Autoren im Rahmen eines von ihr erarbeiteten Konzeptes. Die Regie war dann der nächste Schritt — aber ein gewaltiger, wenn man bedenkt, wie viel Geduld und Kommunikation diese Aufgabe gerade in der Welt kommerzieller Animation verlangt.

 


Man kann also vermuten, dass in »Maquia« ein gewaltiges Stück Selbstwerdung steckt — was in ­die­ser genuin anrührenden Ge­­schich­te über Einsamkeit, Fremdenfurcht und das Vergehen der Zeit, so diskret wie (kon)genial ­thematisiert wird. Die Form der Erzählung hat viel von einer Chronik: Berichtet wird vom Aufstieg und Fall zweier Kulturen, den »Lorph«, die lang­samer als Menschen altern und daher Jahrhunderte leben können, und den ­Menschen im Königreich Mezarte. Die Lorph verbringen ihre Zeit mit dem Weben eines Stoffes, in dem der Fluss der Zeit bewahrt wird. Die Herrschenden von Mezarte wollen das Geheimnis des nicht ewigen, doch extrem langen Lebens der Lorph an sich reißen. Sie schicken daher eine auf Drachen reitende Armee, welche das friedliebende Nachbarvolk unterwerfen soll.

 


Im Zentrum der Geschichte, welche sich über Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte erstreckt, steht die Lorph-Waise Maquia, die mit ihrer Andersartigkeit und ihrer ­Einsamkeit ringt, sich aber langsam öffnet gegenüber Anderen — und vor allem: Andersartigen. So ist »Ma­quia« auch eine Art filmischer Entwicklungsroman einer verwundeten Seele — die Geschichte einer Heilung und neuer Wunden, an de­ren Ende die zentralste aller japa­nischen Einsichten steht: »Sayonara dake ga jinsei da« — das Leben ist ein einziges Abschiednehmen. Das ist zwar keine neue Erkenntnis, aber sie wurde in den letzten Jahren sel­ten so zartfühlend und mitreißend formuliert wie hier von Okada.

 


Maquia (Sayonara no asa ni yakusoku no hana o kazarō) J 2018, R: Okada Mari, 115 Min.