Foto: Marcel Wurm

Feiert mal ruhig – Kölner Clubs in Not – Teil 1

Köln ist stolz auf seine Clubszene: Die Clubs sind in diesen Zeiten ein Garant für die Attraktivität der Stadt. Das Gebäude 9 oder der Club Bahnhof Ehrenfeld sind überregio­nal bekannt. Aber die Verdichtung des innerstädtischen Raums und die Träume der Investoren von hohen Renditen bedrohen diese kulturelle Vielfalt. Es ist paradox: Im Kalkül von Stadtplanern sind Clubs wie selbstverständlich eingeplant, ein junges, zahlungskräftiges, konsumfreudiges Publikum nach Köln zu locken. Aber wer dann in die Innenstadt oder nach Ehrenfeld ­gezogen ist, beklagt sich schnell über die Ruhestörung durch Techno, Live-Musik und Nachtschwärmer. Im Mai feiert das Festival c/o pop den Hipster-Stadtteil Ehrenfeld. Vielleicht ist es die letzte Gelegenheit. Wir nutzen sie, um einen Rundgang durch die Ehrenfelder Szene zu unternehmen. Und wir berichten, wie die Stadt dem drohenden Ausverkauf der Club-Kultur ­gegensteuern will.

 

Das große Gedrängel



Der Druck auf dem Wohnungsmarkt und die Bebauung selbst schwierigster ­Flächen macht es für Clubbetreiber in Köln immer schwerer, bezahlbare Räume zu finden. Die Stadt hat das jetzt als Problem begriffen

 

Tote Clubs verdienen Pietät. 2018 nahm Köln an #urba­nana teil, einer Werbekampagne der Städte an Rhein und Ruhr. Mit Hilfe einer App konnte man dem »Sound of Köln« folgen — vom Luxor über den Stadtgarten bis zum Sonic Ballroom. Statio­nen auf der »Pop-Route« waren auch geschlossene Locations wie das Basement und das Underground: Gedenkminuten für die toten Helden der Kölner Clubszene. Davon wird es in Zukunft wohl noch ein paar mehr geben. Der nächste Kandidat wird das Heinz Gaul in Ehrenfeld sein, auch Stapelbar und Helios 37 gleich nebenan werden bald weichen müssen. Apo­kalyptische Einschätzungen sind derzeit von vielen zu hören: »Das Clubsterben ist im Gang«, sagt Bernd Rehse (Arttheater). »Die Situation in Köln ist dramatisch«, so Mankel Brinkmann (Club Bahn Ehrenfeld). Das scheint auch in der Politik angekommen zu sein. Zugleich ist die Kölner Clubszene erfolg­reicher denn je.
Es hagelt Auszeichnungen beim Musikpreis »Applaus«: 2018 gingen Preise an das Yuca/Club Bahnhof Ehrenfeld, an Real Live Jazz und den Sonic Ballroom. In den Jahren davor war es nicht anders. Wertschätzung und Apo­kalypse liegen nah bei­einander.

 


Die Urszenen des derzeitigen Club-Traumas bilden die Vertreibung des Jack in the Box nach Bayenthal Ende 2016 und die Schließung des Underground im September 2017. Das Underground wurde ein Opfer der Neubebauung des Heliosgeländes. Dass dort anstelle der geplanten Shoppingmall nun eine Inklusive Universitätsschule entsteht, ist ein Verdienst des öffentlichen Drucks durch die Bürgerinitiative Helios. Ob es für das Underground weniger schmerzhaft war, für einen guten Zweck zu sterben, bleibt dahin­gestellt. »Die giftigen Altlasten unter dem Underground haben es der BI Helios leichter gemacht, für den Abriss zu stimmen«, sagt Christiane Martin, die die Grünen in der Bezirksvertretung Ehrenfeld vertritt. Jack in the Box, ein Verein mit soziokulturellem Angebot, hingegen soll einige hundert Meter entfernt vom Heliosgelände einem neuen Quartier auf dem lange brachliegenden Güterbahnhof Ehrenfeld weichen, das unter anderem der Investor Aurelis dort errichten möchte. In einer Vereinbarung mit der Stadt gestand Aurelis zwar »kulturwirtschaftliche und soziokulturelle Nutzungen« auf dem Areal zu, die Verhandlungen erwiesen sich allerdings als schwierig — mit einem nun möglicherweise guten Ende. »Es wird an einer konkreten Rückkehr gearbeitet, akzeptable Lösungen sind greifbar«, sagt Martin Schmittseifer von Jack in the Box diplomatisch.

 



Der Druck, den vor allem der Wohnungsbau ausübt, steigt stetig. Freie Flächen werden seltener, selbst schwierig zu bebauende Areale werden mittlerweile erschlossen. Die gentrifizierende Pionierleistung der Clubs, brachliegende Flächen zu besetzen und kulturell zu bespielen, funktioniert nur noch sehr eingeschränkt. Die hohen Investitionen in den Lärmschutz am Güterbahnhof Ehrenfeld lassen sich durch die erzielbaren Renditen auf dem Wohnungsmarkt problemlos amortisieren. Allerdings lässt die Verteilung der Clubs eine deutlich linksrheinische Schlagseite erkennen. »In den letzten zehn bis 15 Jahren hat sich das auf Ehrenfeld konzen­triert, und da ist der Boom vorbei«, sagt Jan van Weegen, Betreiber des rechtsrheinischen Gebäude 9 und Vorstand der Klubkomm, dem Interessenverband der Kölner Clubs. Auf einer Veranstaltung zur Kölner Subkultur im März in der Alten Feuerwache empfahl Petra Bossinger (SPD) aus der Bezirksvertretung (BV) Ehrenfeld, »dass wir in die Vororte gehen, dass wir nach Bocklemünd, nach Bickendorf gehen«. Dass die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln das kaum zulässt, wurde an dem Abend allerdings auch klar.

 


Im Februar 2018 hat der Stadtrat auf Antrag von CDU, Grüne, FDP und der Ratsgruppe GUT die »Integration von Kreativräumen und kulturellen Raumbedarfen in die Stadtplanung« beschlossen. Das ist bemerkenswert: Denn das Baugesetzbuch sieht in § 1, Abs. 6, Satz 3 die Berücksichtigung der »sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung« bei der Aufstellung der Bauleitpläne bereits vor. In Köln sollen nun durch ein Clubkataster, in Zusammenarbeit mit der IHK erstellt, potenzielle und bestehende kulturelle Räume identifiziert und gesichert, Zwischennutzungen ermöglicht und die Erfahrung anderer Städte ausgewertet werden. Das wurde im gerade beschlossenen Kulturentwicklungsplan nochmals festgeklopft. Kulturelle Räume sollen nicht nur erhalten bleiben, sondern sogar angekauft und entwickelt werden. Man will Investoren anhalten, Kulturräume bereitzustellen, und prüfen, ob man Clubs von Gewerbebetrieben in Orte der Kultur umwandeln kann.

 



Zu spät dürften diese Maßnahmen für den Club Heinz Gaul kommen. Mitte November sei Schluss, sagt Betreiber Jörg Vandrey. Das Heinz Gaul lebt seit 2012  mit einem Mietvertrag, der monatlich kündbar ist. Das Mietverhältnis ähnelt einer Achter­bahnfahrt zwischen Bauvoranfrage, Kaufangeboten, Kündigung, Mietverdopplung und Mietreduktion. »Der Umgang«, so Jörg Vandrey, »war sehr chaotisch«. Hätte die Stadt vor der Bauanfrage des Besitzers einen Bebauungsplan über das Grund­stück gelegt, wäre vielleicht mehr möglich gewesen. Darauf weist Christiane Martin (Grüne) von der BV Ehrenfeld hin. Die Ehrenfelder Politik hat deshalb jetzt einen solchen B-Plan für das Areal zwischen Cinenova und Herbrandts empfohlen, um dort frühzeitig Wohnungsbau auszuschließen. Über den Antrag soll im Mai im Stadtentwicklungsausschuss beraten werden. Jörg Vandrey arbeitet indes an einem neuen Projekt. Er hat ein 3500 Quadratmeter großes Areal mit Hallen an der Widdersdorfer Straße angemietet und verhandelt derzeit mit der Bauaufsichtsamt über die Eröffnung eines neuen Clubs. Die Hürden bei Brandschutz, Lärmschutz, Fluchtwegen, Barrierefreiheit, Sprinkleranlage, Stellplätzen sind hoch. Wenn überhaupt, so sei an einen Start bestenfalls im Frühjahr 2020 zu denken. »Ohne Flexibilität kann nichts entstehen«, sagt Jörg Vandrey mit milder Verzweiflung. Das treibt auch Ulrich Soénius, stellvertretender Hauptgeschäfts­führer der IHK in Köln um: »Es wird bei der Verwaltung zu wenig von einem Ermessenspielraum Gebrauch gemacht.« Bauaufsicht und Ordnungsamt fehle das Verständnis für den kulturellen Wert der Clubs. Und die Club­betreiber verstünden vielfach die Sprache der Verwaltung nicht.

 


»In der Kulturentwicklungsplanung ist ein dezernatsübergreifendes Raummanagement als erste umzusetzende Maßnahme beschlossen«, sagt immerhin Till Kniola, Referent für Popkultur und Filmkultur im Kulturamt. Wie dieses Raummanagement strukturiert und mit welchen Befugnissen es ausgestattet sein soll, darüber will man sich noch in diesem Jahr Gedanken machen. Wie zäh die Entscheidungspraxis bei der Verwaltung verläuft, das erfährt seit zwei Jahren Meryem Erkus, die den Projektraum Gold+Beton am Ebertplatz kuratiert. Sie möchte gerne auf dem Areal der Hallen Kalk den »Subkulturhof« als »selbstverwaltetes soziokulturelles Zentrum mit Ateliers, Werkstätten, Bar und für Konzerte« einrichten. Trotz engen Kontakts zu den Architekten, trotz regen Engagements bei der Bürgerbeteiligung und einer Bürgereingabe Mitte 2017 habe sich, so Erkus, bis heute nichts bewegt.

 


Doch selbst wenn die Stadt Grundstückseigentümer ist, ist der Bestandsschutz nicht gewährleistet. Seit 2005 betreiben Sergio Sotric und seine MoStar Promotion die Essigfabrik im Deutzer Hafen. Der Mietvertrag läuft noch bis 2021. Dann soll aus dem Areal eines der neuen Vorzeigequartiere Kölns werden. »Wir möchten hier bleiben und helfen, im Quartier kulturelle Aktivitäten aufrecht zu erhalten«, sagt Sergio Sotric. Darüber entscheidet allerdings die stadteigene Gesellschaft Moderne Stadt, die die Grundstücke vermarktet. »Wir können keine belastbare Aussage treffen, wie die Essigfabrik als Kulturbaustein in ihrer heutigen Form in den Deutzer Hafen Köln integriert werden kann«, sagt deren Pressesprecher Eric Diversy. Der Modernen Stadt könnte geholfen werden. Die Livekomm, der Verband der Musikspielstätten Deutschland e.V., hat bereits 2016 vorgeschlagen, Grundstücke aus öffentlicher Hand per Konzeptvergabe zu veräußern. Die Qualität des eingereichten Konzepts könnte nach der Integration musikalischer Orte beurteilt werden.

 


Da das Areal der Essigfabrik der Stadt gehört, ist nicht davon auszugehen, dass der Verwaltung deren Existenz entgangen ist. Anderswo passiert das schon. So erging es Jan van Weegen, als 2014 das Gebäude 9 im Zuge der Neubebauung von Mülheim-Süd »überplant« wurde. Erst nach heftigem öffentlichen Druck setzte ein Umdenken ein. Um das in Zukunft zu verhindern, hatte die Klubkomm ein Clubkataster vorgeschlagen, das »die ganzen Musikspielstätten in einem Geo-Informationssystem kartografiert«, so Jan van Weegen. Daran arbeitet derzeit das Kulturamt. »Geplant ist, eine erste Version im Sommer, spätestens im September präsentieren zu können. Perspektivisch soll dieses Kataster in einem zweiten Schritt zu einem Kulturkataster ausgebaut werden«, sagt Kulturamtsleiterin Barbara Förster. Dass ein Clubkataster allein noch keine Lösung ist, die Erfahrung hat man in Berlin gemacht. »Das hat in der Praxis nicht wirklich funktioniert«, sagt Lutz Leichsenring, Sprecher der dortigen Clubcommission. Deshalb bastelt man an einem Update, das Daten bereithält, die gerade für Bauprojekte im jeweiligen Umfeld relevant sein könnten. Zudem sei die Clubcommission Mitglied im »Ausschuss für Bauleitplanung der IHK Berlin«, so Lutz Leichsenring, und deshalb früh über Bauvorhaben informiert. In Köln, so Ulrich Soénius, werde die Klubkomm nur fallweise bei Stellungsnahmen der hiesigen IHK zur kommunalen Raumplanung einbezogen.

 



»Wir sind einer der wenigen Clubs, die einen langfristigen Mietvertrag haben«, sagt Mankel Brinkmann vom Club Bahnhof Ehrenfeld (CBE). Untervermieter sind die Bahn­bögen Köln GmbH, die die Bögen von der DB Netz gemietet hat. 34 Jahre darf der CBE in den Bögen bleiben, das gibt Planungssicherheit. Auch Bernd Rehse und Stefan Bohne haben alles richtig gemacht, als sie 2008 mit ihrer Adesso GmbH das Gebäude des Arttheaters am Ehrenfeldgürtel gekauft haben. »Das war das Glück des richtigen Moments«, sagt Bernd Rehse. Vor zwei Jahren hat allerdings die Metropol Immobiliengruppe das benachbarte frühere Postgebäude gekauft. Der Bau soll saniert und aufgestockt werden. Neben einem Hotel mit Dachterrasse sind auch Wohnungen geplant. »Wir haben der BV Ehrenfeld zugesagt, dass Bumann & Sohn und Arttheater weder in der Bauphase noch bei der späteren Nutzung beeinträchtigt werden, Umgebungslärme werden bei der Planung berücksichtigt«, beschwichtigt Metropol-Pressesprecher Alexander Wiertz.
Die Verdrängung durch Lärmvorschriften bzw. Wohnbebauung ist das zweite große Sorgenkind. »Die Beschwerdementalität wirkt sich für die Clubs kritischer aus«, sagt Jan van Weegen von der Klubkomm. Man wolle den Trubel der Großstadtleben und die Ruhe der Kleinstadt gleichzeitig haben. Bisher unterstützt das Kulturamt alle Akteure der Freien Szene beim Lärmschutz mit 300.000 Euro aus dem Fördertopf »Bauunterhaltung und Technikförderung der freien Szene«. Nun kommt ein weiteres Förderinstrument dazu. »Ab 2019 soll es in Köln einen Lärmschutzfonds für freie Kulturinstitutionen und Musikclubs geben«, kündigt Till Kniola vom Kulturamt der Stadt an. Der Innenausbau ist allerdings weniger das Problem, als der Außenlärm. Andere Kommunen setzen auch auf moderierende Einrichtungen wie einen Nachtbürgermeister, den es in Amsterdam gibt. 2016 hatte die SPD die Einrichtung auch für Köln vorgeschlagen, wurde aber ausgebremst.

 


Wie drängend das Lärmproblem ist, machte 2018 die Weltgesundheitsorganisation WHO deutlich, die Clublärm mit dem Lärm von Flugzeugen und PKWs gleichstellte und ihre Richtlinien entsprechend verschärft hat. Und im September 2018 legte der wissenschaftliche Dienst des Bundestages ein Gutachten vor. Thema: »Konflikte, die durch heranrückende Wohnbebauung an alteingesessene Musikspielstätten entstehen.« Untersucht wurde, ob das aus Großbritannien bekannte »agent of change-Prinzip« in deutsches Recht zu übertragen wäre. Es besagt, dass Neubauten, die an Musikclubs heranrücken, selbst für den Lärmschutz aufzukommen haben. In den Genuss dieser Maßnahme ist das Gebäude 9 auf dem alten KHD-Gelände (siehe Aufmacherbild) schon gekommen. Zwischen der Location und den Wohnquartieren Cologneo II und III  werde eine 23 Meter hohe Lärmschutzwand entstehen, davor auch noch ein Gewerberiegel gebaut. »Wir werden«, so Jan van Weegen, »baulich richtig eingekesselt«. Dass sich die CG-Gruppe, der zuständige Investor, dazu entschlossen hat, geht einerseits auf öffent­lichen Druck zurück. Andererseits hat der Immobilienentwickler mit einem Projekt in Leipzig-Plagwitz schon Erfahrung mit dem Erhalt von Clubs und Ateliers gesammelt. Es wäre zum Besten aller, wenn Politik und Verwaltung in Köln noch zahl­reichen Investoren zu solchen Erfahrungen verhelfen würden.