Auf der Straße erreicht man mehr als im Ausschuss:

Stadt ohne K

Immer mehr Bürger fordern, dass Köln den Klima­not­stand ausruft. Doch der erste Versuch versandet in den ­Mühlen der Verwaltung

 

In Konstanz herrscht er, in Kiel auch, in Köln nicht: der Klimanotstand. Michael Flammer wollte das ändern. Anfang Mai sitzt der Ingenieur mit seiner Partnerin Stephanie Regener vor dem städtischen Beschwerdeausschuss. Gemeinsam mit zwei weiteren Bürgern haben sie eine Petition eingegeben, mit der sie die Stadt auffordern wollen, den Klimanotstand auszurufen: »Dadurch erkennt die Stadt Köln an, dass es sich bei der Klimakrise um eine existenzielle Krise handelt.« Er selbst sei ein  normaler Bürger, der sich »noch nie irgendwo angekettet hat«, so Michael Flammer. Aber er sei auch Vater von drei Kindern. »Wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen des Klimawandels spürt, aber auch die letzte, die dagegen etwas tun kann«, sagt Flammer — ein Zitat des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama.

 


Dafür erntet Flammer Applaus — und ein Lob der Stadtverwaltung. »Ich verspüre hier den Rückenwind, den wir brauchen«, sagt Barbara Möhlen­dick von der Koordinationsstelle Klimaschutz. »Die Lage ist wirklich so ernst, ich stehe hinter ihren Forderungen.« Flammers hatte gefordert, dass alle Entscheidungen der Stadt künftig zuerst auf ihre Folgen für den Klimawandel hin überprüft werden sollen. Hierbei seien die Berichte des Weltklimarats IPCC maßgeblich.

 


Vorbild für diese Forderungen ist Konstanz. Der dortige Gemein­de­rat verabschiedete am 2. Mai ­ein­­stim­mig eine Resolution zum Klimanotstand — die erste in Deutsch­land. Die 84.000-Einwohner-Stadt am Bodensee »erkennt die Eindämmung der Klimakrise und ihrer schwerwiegenden Folgen als Aufgabe von höchster Priorität an«. Jede Beschlussvorlage der Stadt Konstanz ist ab Juli mit der Angabe »Auswirkungen auf den Klimaschutz« versehen. Sind die Auswirkungen negativ, hat sich die Politik verpflichtet, Lösungen zu bevorzugen, die sich positiv auf Klima-, Umwelt- und Artenschutz auswirken. Für Bürgermeister Uli Borchardt (CDU) ist die Resolution »kein symbolischer Akt«. Konkret nennt Konstanz sechs Maßnahmen, etwa eine klimaneu­trale Energieversorgung von Neubauten, ein nachhaltiges Mobilitätsmanagement oder die Verpflichtung, Neubauten mit Photovoltaik auszurüsten. Zudem hat Konstanz eine Task Force, um das Thema in der Verwaltung voranzutreiben. Es werde, so heißt es, sicherlich Konflikte zwischen mehreren wichtigen Zielen und Maßnahmen geben, etwa wenn es darum gehe, bezahlbaren und zugleich klimaschutzkonformen Wohnraum zu schaffen. »Die Resolution zum Kli­ma­notstand wird Fragen aufwerfen, wie Projekte und Maßnahmen künftig einzuordnen und zu bewerten sind«, erklärt die Stadt. Wird beim traditionellen Seenachtsfest weiterhin ein Feuerwerk gezündet? Werden noch Schiffe von Konstanz aus in den Bodensee stechen? Noch hat man darauf keine Antworten. Aber man will künftig klimasensibler nach ihnen suchen.

 


Die Kölner Verwaltung dagegen sieht schon den Begriff »Klimanotstand« kritisch, da er bestimmte Notstandsmaßnahmen legitmieren würde, sagt Barbara Möhlendick von der Koordinationsstelle Klimaschutz. Zudem betreibe die Stadt Köln bereits mehrere Programme zum Klimaschutz. Auch die Koordinierungsstelle sei mittlerweile auf 14 Stellen angewachsen. Im Ausschuss entbrannte eine Debatte — nicht über den Inhalt des Antrags, sondern über das weitere Vorgehen.

 


Die Grünen hätten den Antrag am liebsten in der Ratssitzung am 21. Mai behandelt. »Ich möchte für die Petenten ein Zeichen setzen, dass wir sie wichtig nehmen«, so Birgitt Killersreiter von den Grünen. Die SPD bezeichnete dies als »Schaulaufen«. Nach 20-minütiger Debatte einigte man sich auf eine Kompromissformulierung: Der Beschwerdeausschuss »empfiehlt dringend«, dass der Umweltausschuss den Antrag in den Rat verweise. »Das ist ein Trauerspiel!«, sagt Michael Flammer. »Die Forderung war ganz einfach: Der Klimaschutz sollte zur höchsten Priorität gemacht werden.«

 


Aber vielleicht verrät die Episode ebenso viel darüber, wie Kölner Ratspolitik funktioniert. Der Beschwerdeausschuss ist das einzige Mittel, das Kölner haben, um ihre Themen auf die Agenda des Rats zu setzen. Es ist ein schwa­ches Mittel: Der Ausschuss kann bloß empfehlen, dass sich andere Ausschüsse mit einem The­ma befassen. Dass die Ratspolitik den Ausschuss nicht wichtig nimmt, zeigt seine Besetzung: Kein Kölner Spitzenpolitiker sitzt in dem Gremium.

 


Für politische PR eignet sich der Ausschuss dennoch. Vor Micha­el Flammer durfte der 10-­jährige Gustav dem Beschwerdeausschuss seine Idee eines Belohnungssystems für klimagerechtes Handeln vorstellen. Wer zu Fuß, mit Rad oder Bussen und Bahnen unterwegs ist, soll per App Bonuspunkte sammeln können.»Ich würde mich sehr freuen, wenn das System in Köln eingeführt würde«, erklärte der 10-Jährige vor den Mitgliedern des Beschwerdeausschusses und den Kameras und Mikrofonen von WDR, dpa und Lokalpresse. Der Antrag wurde einstimmig angenommen. »Das ist der größte Erfolg, den du bisher erreicht hast«, sagte der Ausschussvor­sitzen­de Horst Thelen (Grüne). »Aber entscheidend wird sein, was Frau Möhlendick mit ihrem Team dann auch wirklich umsetzt.«

 

 

Der nächste Versuch, den Klimanotstand auszurufen, kommt daher direkt aus der Politik. In der Bezirksvertretung Lindenthal haben Grüne, CDU, Linkspartei und SPD einen gemeinsamen Antrag eingebracht. Abgestimmt wird am 1. Juli. Dann wäre Frau Möhlendick wirklich gefragt.