»Privatwirtschaftliche Betätigung«: Alteburger Straße in der Südstadt, Foto: Dörthe Boxberg

Zwischen allen Stühlen

 

Die Stadt will Gehwege freiräumen und barrierefrei machen. Gastronomen fürchten um ihre Existenz

 

Dieser Sommer könnte der letzte sein, in dem man in Köln vor den Restaurants und Kneipen essen und trinken kann — das jedenfalls befürchten Gastronomen. Sie bangen um ihre Konzessionen, Tische und Stühle auf Gehwegen aufstellen zu dürfen. Die Stimmung ist aufgeheizt. »Seit wenigen Wochen wird in Köln begonnen, allen Außengastronomien an Häuserwänden die Erlaubnis zu ver­sagen«, schreibt etwa Daniel Rabe Anfang Mai in einem sozialen Netzwerk. Rabe betreibt mehrere Restaurants, unter anderem an der Alteburger Straße in der Südstadt. Grundsätzlich will die Stadt mehr Sensibilität für Menschen mit eingeschränkter Mobilität zeigen. Weil denjenigen, die eine Sehbehinderung haben, durch freie Hauswände die Orientierung erleichtert wird, sollen dort keine Tische und Stühle mehr aufgestellt werden dürfen. Dadurch sei die Hälfte aller Außenplätze für die Saison 2020 gefährdet, sagt Daniel Rabe. Sein Wort hat Gewicht in der Gastroszene. Man muss es durchaus als Drohung verstehen, wenn er Protest ankündigt, den sich »manche nicht vorstellen können.« In der Politik kam das an. Schnell diskutierte die Bezirksvertretung Innenstadt da­rüber, und auch die Fraktionen im Rat rührten sich.
Die Politik erwartet von Stadtdirektor Stephan Keller (CDU), Klarheit zu schaffen. Dass das Gewerbeamt Konzessionen nur noch für dieses Jahr erteilt, zeigt, dass sich etwas ändern soll. Zurzeit werde »innerhalb der Verwaltung abgestimmt, ob es hinsichtlich der Barrierefreiheit künftig zu Änderungen kommen wird«, teilt die Stadt mit. Es gebe aber noch keine Tendenz, wie das Ergebnis aussehen könnte.

 


Eine Grundlage stellt bislang das städtische Gestaltungshandbuch dar, das eine »gleichmäßige Grundgestaltung in den allgemeinen öffentlichen Räumen« garantieren soll. Das betrifft auch die Außengastronomie. Denn zur ­»Aufrechterhaltung der Gehwegmobilität ist eine grundsätzliche Gehwegbreite von 1,50 m von Hindernissen jeglicher Art frei zu halten«. Bislang zeigte die Stadt wenig Engagement, dies durchzusetzen, ähnlich wie bei Autos, die auf Fußwegen parken. »Zu enge Gehwege sind ein riesiges Problem. Das Ordnungsamt muss konsequent durchgreifen — bei Außengastronomie und Falschparkern«, sagt Günter Bell, der Behindertenbeauftragte der Stadt. Er fordert zwei Meter freie Gehwegbreite. »Was für Menschen mit Behinderung gut ist, ist auch für alle anderen gut.« Zumindest bei der Außengastronomie aber scheint Stadtdirektor Stephan Keller nun eine härtere Gangart zu planen. »Wir brauchen eine gute Balance zwischen Barrierefreiheit und Außengastronomie«, sagt Regina Börschel, Vorsitzende der Innenstadt-SPD. »Alle Beteiligten brauchen klare Regelungen: Gibt es eine einheitliche Linie? Und wenn ja, wie sieht die aus?«

 


Aber diese einheitliche Regelung wird es nicht geben. »Die freizu­haltende Gehwegbreite richtet sich in jedem zu entscheidenden Einzelfall nach der örtlichen Lage der Außengastronomie und ist abhängig von der gegebenen Verkehrslage«, teilt die Stadt mit. »Unterschiedliche örtliche Umstände ­können auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.« Gastronom Daniel Rabe fände das richtig, aber er hält das für unrealistisch. Denn das würde mehr Arbeit bedeuten. Schon jetzt aber gelten Gewer­be­amt und Ordnungsamt als stark unterbesetzt.
Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass es Gastronomen leicht fällt, für ihre Interessen zu werben — Außengastronomie sorge für Aufenthaltsqualität und drücke das Lebensgefühl der Stadt aus, sagen sie. Viele Politiker folgen ihnen darin. Belebung ohne Kommerz ist für sie offenbar kaum vorstellbar.

 


Doch Gastronomen nutzen öffentlichen Raum, um Geld zu verdienen. Bei ihnen nehmen nur Menschen Platz, die es sich leisten können. Sitzgelegenheiten sind an Straßen und Plätzen ansonsten rar.   »Es stellt ein Privileg dar, auf öffentlichem Straßenland einer Erwerbstätigkeit nachzugehen«, heißt es bei der Stadt. »Die Berufsfreiheit gewährleistet keinen Anspruch auf die Benutzung öffentlichen Straßenlandes für die privatwirtschaftliche Betätigung.«
Schon einmal hatte die Politik versucht, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Nutzungen des öffentlichen Raums zu schaffen. Mit dem Programm »Sitzen statt Parken« sollten PKW-Stellplätze gastronomisch umgewidmet werden — mehr Platz für Außengastronomie und für Fußgänger. Seit fast drei Jahren gibt es Pilotversuche in Ehrenfeld und der Innenstadt. Die Nachfrage der Gastwirte ist hoch, aber die Stadt hat bis heute keine Regeln festgelegt.
In Berlin wird derzeit noch weitreichender debattiert. Der Senat hat in Kreuzberg testweise »Begegnungszonen« eingerichtet. Dort heißt es: »Der öffentliche Raum gehört der Allgemeinheit, in dem jeder das Recht hat, sich aufzu­halten. Er ist der Öffentlichkeit gewidmet und frei zugänglich zu halten.«

 


Gastronomen in Köln könnte die Debatte und ihre Wucht nun doch noch vor Umsatzeinbußen bewahren. Die grundsätzliche Frage aber bleibt: Wem wollen Stadt, Politik und Stadtgesellschaft öffentlichen Raum zur Verfügung stellen, um den immer heftiger gebuhlt wird? Was also ist wich­ti­ger: Aperol-Spritz am Tisch für sieben Euro, Parken mit dem privaten PKW oder freie Fahrt für Menschen mit Rollator? Grundsätzliche Fragen benötigen mehr als kleinteilige Antworten.