»Zwischen den Zeilen«

 

Olivier Assayas blickt erneut klug und humorvoll auf die Digitalisierung unserer Lebenswelt

 

Als der irgendwann mal angesagte Autor Léonard seinen Verleger Alain besucht, ist er sich sicher, dass er auch seinen neuen Roman herausbringen wird — entsprechend tief trifft ihn dessen sehr höfliche, aber bestimmte Ablehnung. Leó­nard war nie ein begnadeter Schrift­steller, aber sein Spiel mit der eigenen Biografie in seinen Büchern hatte eine Zeit lang was. Doch jetzt, wo das Leben ein einziger Exhibitionismus geworden ist, dank Krethis und Plethis Dauer-Selbstdarstellung im Web, hat es seinen Reiz verloren. Oder rächt sich Alain da gerade nur an seinem Nebenbuhler? Denn Léonard hat eine Affäre mit dessen Gattin Selena. Alain wiederum schläft mit seiner Angestellten Laure, einer jungen Spezialistin für die Digitalisierung von Verlagen.

 


Seit der Mitte der 90er Jahre dokumentiert wie kommentiert Olivier Assayas (»Die Wolken von Sils Maria«) in seinen Spielfilmen jeden Entwicklungsschritt der Digitalwelt, in »Zwischen den Zeilen« geht es nun um die Buchbranche im Speziellen wie die Facebook-Kultur im Allgemeinen. Wie geht ein gesetztes Bürgertum damit um, dem diese Dinge eher fremd sind? Es wäre ein Leichtes gewesen, die Eitelkeiten- und Neurosen-Ansammlung der Protagonisten in die Pfanne zu hauen. Aber dafür ist Assayas zu klug, großzügig und auf eine angenehm altmodische Art menschenfreundlich. Weshalb er sie alle zeigt, wie sie ringen mit einer Welt, die immer weniger mit dem zu tun hat, was sie kennen und zu lieben gelernt haben.

 


Brillant wird »Zwischen den Zei­len« aber erst durch Assayas’ oft sardonischen Witz. Zum Beispiel jener Moment, in dem Leónard der Vorwurf politischer Verantwortungslosigkeit gemacht wird, weil er in seinem letzten Roman be­schreibt, wie er sich von seiner Geliebten im Kino bei Michael Hanekes »Das weiße Band« habe einen blasen lasen — wozu die nur verwirrt anmerkt, das sei doch in »Star Wars: Das Erwachen der Macht« gewesen. Lustig ist das, weil beide Filme bei genauerem Hinsehen vielleicht ähnlicher sind, als viele, die das Kino in Arthouse und Multiplex teilen, wahrhaben wollen. »Das Erwachen der Macht« wäre schließlich auch ein guter Titel für »Das weiße Band«. Aber Blasen bei »Star Wars« ist kulturelles slumming und damit bloß peinlich — Blasen bei »Das weiße Band« kann man in die Provokations-Schublade packen und zum Skandälchen machen, wo­rauf Leónard natürlich spekuliert.

 


Um dieses Fehlen jeglicher Tiefe dreht sich »Zwischen den Zei­len« — den milden Schmerz eines Lebens im Dauer-Jetzt, wo alles zum Beißreflex wird und jeder Versuch des Nachdenkens und Abstand-Gewinnens unmöglich.

 


Zwischen den Zeilen (Doubles vies) F 2018, R: Olivier Assayas, D: Guillaume Canet, Juliette Binoche, Vincent ­Macaigne, 107 Min. Start: 6.6.