Foto: Jörn Neumann

»Alibi-Programm für Arme«

Die Landesregierung will sieben Studienkollegs

in NRW schließen – auch Köln ist betroffen

 

Lautes Stimmengewirr schallt über den Campus des Kölner Studienkollegs. Vor dem betonfarbenen Flachdachbau an der Dürener Straße drängeln sich zahlreiche Studenten. In die lebhaften Gespräche mischen sich russische, indonesische oder arabische Wortfetzen. Einige junge Frauen tragen Kopftuch, andere Baseballkappen. Auf ihren Gesichtern Trauer, Wut, Fassungslosigkeit. Es sind nicht die bevorstehenden Klausuren, die sie bewegen, sondern ein Kabinettsbeschluss der Landesregierung. Laut Vorlage sollen sieben staatliche Studienkollegs in Nord­rhein-Westfalen ab 2009 geschlossen werden. Bisher konnten sich ausländische Studienbewerber, deren schulische Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden, in diesen Bildungseinrichtungen innerhalb von zwei Semestern auf ein Studium in NRW vorbereiten.

»Wir können die Entscheidung einfach nicht verstehen. Das Studienkolleg ist für uns wie ein Friedensprojekt. Ich habe Freunde aus der ganzen Welt gefunden«, macht der 21-jährige Mohammad-Jawad Shirzai, der vor zwei Jahren aus Afghanistan nach Köln gekommen ist, auf die Bedeutung des Kollegs aufmerksam. Auch für seine Kommilitonin Natalia Chigarena bedeutet das Studienkolleg mehr als deutsche Grammatik, Kurvendiskussionen oder volkswirtschaftliche Theorien. Die 21-jährige Russin hat die geglückte Integration selbst erfahren. »In Deutschland spricht jeder von Parallelgesellschaften. Hier funktioniert multikulturelles Miteinander. Warum also wollen die Politiker die Kollegs abschaffen?«

Unwirtschaftlichkeit ist für Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart das Schlagwort. In der Begründung bezieht sich die Landesregierung auf eine Untersuchung des Landesrechnungshofes, der bemängelt, dass nur jeder zweite Absolvent der Vorbereitungskollegs ein Studium in NRW aufnimmt. Von jährlich 1100 ausländischen Interessenten hätten 800 die Feststellungs­prüfung zur Anerkennung ihres Abschlusses abgelegt, erklärt Ministeriums­sprecher André Zimmermann. »Tatsächlich bei einer Uni eingeschrieben hat
sich aber nur jeder zweite«, so Zimmer­mann.

Harald Klingel, Leiter der Kölner Studienkollegs an der Universität und der Fachhochschule, steht den Effizienzargumenten skeptisch gegenüber. »Die Mischung von Zahlen ist völlig irreal. Hier werden Fakten interessensgeleitet zusammengetragen, die eigentlich nicht in Beziehung gesetzt werden können«, sagt Klingel. An den Kölner Kollegs werden jährlich rund 370 Bewerber unterrichtet, etwa 75 Prozent von ihnen schaffen den Abschluss. »Alle unsere Absolventen gehen auf die Uni, nur eben nicht zwingend in NRW – weil sie hier keinen Studienplatz bekommen«, erklärt der Direktor. Auch die Studienergebnisse sprechen für den Erhalt der Einrichtungen: »Die Erfolgsquote der ausländischen Hochschul-Absolventen, die zuvor ein Studienkolleg besucht haben, ist doppelt so hoch wie die der anderen.«

Eine Abschaffung der Kollegs hält der Pädagoge für eine »bildungspolitische und menschliche Katastrophe«. Klingel hängt an seiner multikulturellen Institution: Seine Studenten kommen aus Asien, Afrika oder Südamerika, aber auch junge Menschen aus EU-Ländern wie Litauen, Slowakei oder Polen müssen sich ihre Zugangsberechtigung für die Uni erst erarbeiten. »Mit der internationalen Attraktivität der NRW-Hochschulen ist bald Schluss«, so sein Fazit. Klingel befürchtet, dass ausländische Studenten zukünftig in andere Bundesländer abwandern werden.

Auch das alternative Stipendienprogramm, mit welchem die Landesregierung zukünftig »besonders begabte ausländische Studierende« vor allem aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara mit jährlich 3,1 Millionen Euro fördern möchte, sieht Klingel kritisch. »Wenn man ein Vollstipendium mit rund 100.000 Euro ansetzt, können gerade mal 31 junge Menschen unterstützt werden.« Bisher kosteten die Studienkollegs rund sieben Millionen Euro – förderten aber jährlich 1100 Bewerber. Konfliktpotenzial befürchtet der Leiter der Kölner Studienkollegs auch auf politischer Ebene. Nach seiner Einschätzung werden sich vor allem die islamischen Länder Nordafrikas ausgegrenzt fühlen: »Das ist politischer Sprengstoff und entwicklungslandfeindlich – ein reines Alibi-Programm für die Ärmsten der Armen.«

Für Heike Gebhard, bildungs­politische Sprecherin der SPD im Landtag, sind junge Menschen wie Mohammad-Jawad Shirzai und Natalia Chigarena »Türöffner«. »Sie haben unsere Kultur und unser Denken kennengelernt und können dies in die Welt hinaustragen.« Auch Natalia, die im Sommersemester ein VWL-Studium in Köln beginnen möchte, plant eine Rückkehr in die Heimat. »Mit dem hier erworbenen Wissen kann ich in Russland vielen Menschen helfen.« Mohammad-Jawad hat ebenfalls ambitionierte Ziele: »Ein Politiker ohne Lügen, das möchte ich werden.«