Theo Eshetu, Portrait from Atlas Fractured, 2017, Video-Still | Courtesy Theo Eshetu

Projektionsmythen

Die Bonner Ausstellung »Maske. Kunst der Verwandlung« verunsichert durch Verfremdung

Um erst gar keine falschen rheinischen Erwartungen aufkommen zu lassen: Der Karneval bleibt in der Ausstellung außen vor. Den braucht es auch nicht, denn die Kunst der Verwandlung ist seit jeher eine beliebte und über alle Kulturen hinweg erprobte Auseinandersetzung mit dem verbergenden und verborgenen Ich.

 


Das Spiel mit wechselnden Identitäten, Posen und zu Fratzen erstarrten Seelenzuständen einerseits und die Funktion der Maske im tribalistischen, religiösen, gesellschaftlichen oder politischen Kontext andererseits hat immer auch Künstler*innen auf den Plan gerufen. Kuratorin Barbara Scheuermann hat in ihrer groß angelegten Bonner Schau das zur Maske auf­gesetzte, natürliche oder geschminkte Gesicht fast gänzlich ausgespart. Die konzeptionelle Konzentration auf fassbare Objekte wird in drei Motivwelten illustriert: transkulturelle, digitale und Geschlechtermaskeraden.

 


Der Rundgang beginnt mit transkulturellen Maskeraden. Edson Chagas (*1977) aus Luanda eröffnet mit seiner »Passfoto«-Serie den ethnologischen Diskurs: Welches Gesicht hat er wohl hinter den traditionellen Holzmasken mit ihren zu Schlitzen verengten Augen und Mündern versteckt? Und welcher Hautfarbe sind die Träger*innen? Das Outfit — Business-Style mit Sakko, Oberhemd und Krawatte — deutet nur auf einen urbanen Hintergrund irgendwo auf der Welt. In der subtilen Arbeit der in Johannesburg lebenden Zanele Muholi (*1972) »Green Market Square« versteckt sich die Künstlerin mit ernster Miene in einer Ansammlung dunkler Masken. Man erkennt das einzige lebendige Gesicht erst auf den zweiten Blick. Weil es »keine Bilder von schwarzen Lesben gab«, hat sie es sich »zur Aufgabe gemacht, sicherzustellen, dass wir sichtbar sind«.

 


Zu Beginn des 20. Jahrhundert hatten sich besonders die Expressionisten von afrikanischen Ritualmasken inspirieren lassen. Auch in den Strömungen von Dada und Surrealismus war das Interesse an Masken groß. Von den Exponaten der Ausstellung stammen die von Heinrich Campendonk, Max Ernst, Meret Oppenheim und Pablo Picasso aus der eigenen Sammlung. Den damals noch »unschuldigen« Umgang mit kolonialer Vergangenheit und mögliche rassistische Deutungen kann sich die zeitgenössische, westlich geprägte Kunst nicht mehr erlauben. Wenn aber die Inderin Gauri Gill (*1970) die Gesichter ihre Landsleute mit rituellen Bahora-Masken fotografiert, nimmt ihr das niemand übel. Im Gegenteil: Die ernsten und ausdrucksstarken Visagen und Tierköpfe, die sich beim Arzt, Brettspiel, im Zug oder Wartezimmer verdingen, sind zutiefst anrührend.

 


Die Installation von Wiebke Siem (*1954) leitet über zu den Geschlechtermaskeraden. Einige ihrer »Maskenkostüme«« stehen als leere Hüllen dreidimensional im Raum, in andere ist sie hineingeschlüpft und hat sich ablichten lassen. Diese Fotos sind ein Lehrstück darüber, wie Masken und Kostüme ihre Träger*innen brauchen, um sich in ihrer Transformation zu entfalten. So war es ein guter Schach­zug der Kuratorin, fast ausnahmslos nur Arbeiten ausgesucht zu haben, bei denen es um »den performativen Akt des Tragens einer Maske« geht. Siems Maskenkostüme sind eine Wucht für sich: massige, perfekt gearbeitete und haptisch-reizvolle Stoff-, Pelz- oder Holzhüllen mit überlangen Armen, ausgestellten Brüsten oder riesigen Schwänzen. Ihnen aufgesetzt sind unbemalte Holzmasken, die je nach Lesart streng, zornig oder staunend wirken.

 


Die Kunst der Verwandlung ist oft auch ein Spiel mit männlichen und weiblichen Projektionsmythen. Die großartige Miriam Cahn (*1949) malt unheimliche, lebensgroße Menschenwesen mit bleicher, graugrüner Haut, überdimensionierten Geschlechtsteilen, haarlosen Köpfen und dunklen Augen wie Löchern. Ihr leerer und starrer Blick trifft die Betrachter*innen auf Augenhöhe und zielt auf die Frage der Geschlechteridentität.

 


Sehr erfreulich: Künstlerinnen sind in dieser Ausstellung in der Überzahl. Sie sind es auch, die die Selbstbefragung und -optimierung sowie den zwanghaften Schönheitswahn thematisieren, darunter besonders eindrucksvoll Cindy Sherman, Gillian Wearing und Orlan. Sherman (*1954), die in dieser Schau nicht fehlen durfte, inszeniert sich seit über vierzig Jahren mit überzogenen Kostümierungen, Maskeraden und falschen Körperteilen. Immer geht es ihr um das gesellschaftliche Bild der Frau. Sherman spielt Frauen in fiktiven Filmszenen und in berühmten Gemälden, sie verwandelt sich zur Sexikone, Hausfrau, Business-Frau, Femme Fatale… Hier verkörpert sie eine Frau mittleren Alters, die mit einer gewissen Traurigkeit in die Kamera blickt. Auch starke Schminke und eine extravagante Bluse können nicht ihre Hilflosigkeit übertünchen gegenüber der Einsicht in die Vergänglichkeit ihrer einstigen Schönheit.

 


Die Britin Gillian Wearing (*1963) arbeitet mit Maskierungen ganz eigener Art: Für eine Serie mit Selbstporträts fertigte sie von Gesichtern von Familienmitgliedern mit Unterstützung von Bildhauern, Malern und Perückenmachern zunächst naturgetreue Masken an. Hier inszeniert sie sich als »my Mother Jean Gregory« und »my Father Brian Wearing« und fragt indirekt, wie viel Elternanteile in ihr stecken.

 


Spannend ist die Frage, ob und wie kommende Künstler-Generationen ihre früheren Identitäten visuell aufarbeiten, wo doch jeder Moment ihres Lebens bereits digital gespeichert ist. Das Einstudieren neuer Selfie-Posen samt Bildbearbeitung gehört zum täglich Brot des Smartphone-Menschen. Insofern kann man Wearings Fotografie »Self Portrait of me now in Mask« auch als Abgesang auf die analoge Kunst der Verwandlung betrachten.

 



Bis 25.8., Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2, Bonn. Infos und Öffnungszeiten unter


kunstmuseum-bonn.de