»Wir wollen nicht, dass dich deine Arbeit im Netz aufreibt«: Ex-Pirat Thomas Hegenbarth, Foto: Dörthe Boxberg

»Es wird ruckeln«

 

Ex-Pirat Thomas Hegenbarth über seinen Wechsel zur SPD, Digitalisierung und soziale Politik im Rat

 

Vor fünf Jahren zogen die Piraten in den Stadtrat ein. Doch 2017 traten Hegenbarth und seine Parteifreundin Lisa Gerlach bei den Piraten aus und machten im Rat als Gruppe Bunt weiter. Nun wechselt Hegenbarth zur SPD.

 

 



Herr Hegenbarth, was hat Sie nach den Europawahl-Ergebnissen ab­gehalten, sofort wieder aus der SPD auszutreten?

 

Ich mache doch inhaltliche Entscheidungen nicht von Wahlergebnissen abhängig!

 

 


Was ist für Sie im Gegensatz zu vielen Wählern an der SPD attraktiv?

 

Als Piraten und später Gruppe Bunt hatten wir in Köln schon viele inhaltliche Überschneidungen. Für unsere Themen waren Sozialdemokraten immer leichter zu begeistern und zu überzeugen als etwa die Grünen.

 

 


Sie selbst haben viele Themen ge­setzt: Fahrscheinloser ÖPNV, Coffee-to-go-Pfandsystem, Can­nabis-Legalisierung — coole, urbane Themen. Das hat Ihren Marktwert sicher hochgetrieben. Was bekommen Sie von der SPD für Ihren Wech­sel?

 

Es gibt keine Geschenke! Keinen roten Teppich! Es gibt inhaltliche Möglichkeiten. Neben der Verkehrs­wende und der Wohnungspolitik ganz klar die Digitalisierung.

 

 


Sie erklären der SPD das Internet?

 

Digitalisierung ist nicht nur für die SPD eine Herausforderung. Ein Großteil der Menschen hat heute den Lebensmittelpunkt im Netz. Wir müssen dafür sorgen, dass sie sich ernst genommen und auch dort mit ihren Inhalten angesprochen fühlen — und zwar nicht nur die jungen Leute, die jetzt vermehrt auf die Straße gehen. Das geht bis in die Generation X, meine Generation. Die SPD hat sehr gute Ansätze, aber da ist noch Luft nach oben. Ich will mich mit meinem Wissen und meiner Erfahrung einbringen.

 

 


Internet und SPD, das passt bislang nicht so gut zusammen.

 

Das passt sehr gut zusammen! Aber da muss noch mehr gehen — bei allen Parteien. Es gibt Unterschiede zu anderen, die muss die SPD klar in Inhalt und Kommunikation herausstellen. Wir brauchen im Bereich der Digitalisierung eine soziale Grundhaltung! Ich sehe dies bei der Sozialdemokratie.

 

 



Viele Menschen, die sich von Projekt zu Projekt hangeln, empfinden das als zeitgemäß oder gar als ­Statussymbol.

 

Es gibt immer mehr Freiberufler, Arbeit in Pro­jekten, Arbeitsverhältnisse jenseits von Tarifstrukturen. Es ist wichtig, hier den sozialen Aspekt reinzubringen. Das ist eine Herausforderung, wenn nicht mehr über einen Acht-Stunden-Tag gesprochen wird. Oft sind es Zehn-Stunden-plus, damit man sich finanziert bekommt. Die Botschaft muss sein: Wir wollen nicht, dass dich deine Arbeit im Netz aufreibt. Immer Vollgas weiter, das darf nicht die Lösung sein. Die Arbeit mag cool sein. Aber 14 Stunden täglich, um über die Runden zu kommen, ist verdammt uncool.

 

 



Die SPD schafft es nicht, das urbane, akademische, postmateriell eingestellte Milieu zu erreichen — warum wählt man dort grün?

 

Es fehlt die Glaubwürdigkeit in der Kompromisslandschaft der Berliner Groko. Die SPD muss klare Kante zeigen. Zielorientierte Politik für die Arbeit­nehmerschaft, Verbesserung des Arbeitsumfelds, soziale Absicherung ...

 

 



Was sind für Sie die Kölner Themen?

 

Ein großes Thema ist Wohnungsnot. Die Menschen müssen die SPD als Partei wiederentdecken, die hierzu Ideen hat. Auch die Verkehrswende muss endlich kommen, die Grünen verpassen das mit Rücksicht auf die CDU. Seilbahn-Ideen, der Kompromiss zur Ost-West-Achse — das ist alles Symbolpolitik. Die Grünen sind in Köln nicht mehr als eine weitere CDU.

 

 


Zum Top-Thema Klimawandel kommt von der SPD so gut wie nichts.

 

Die SPD diskutiert das derzeit sehr stark, auch aufgrund des Wahlergebnisses. Man hat es sich bislang nicht leicht gemacht bei dem Thema. Wir müssen Antworten auf diese Fragen liefern. Nicht nur, weil sie wahlentscheidend waren. Sondern weil wir das nachfolgenden Generationen schuldig sind.

 

 


Die SPD wettert vor allem gegen OB Henriette Reker.

 

Frau Rekers Schwäche ist, zwischen denen, die sie ins Amt gebracht haben, zu lavieren. Auch beim Thema Bürgerbeteiligung kam nur ein halbgarer Vorschlag: Nach fünf Jahren endet das erst mal in einem Testlauf in Nippes — das kann nicht sein. Etliche andere Städte sind da weiter, weil sie mutiger waren.

 

 



Ist die SPD bereit für mehr Dialog mit den Bürgern?

 

Ich habe auf einer Fraktionssitzung gesagt, es gehe jetzt nicht darum, in den Mittelpunkt zu stellen, gewählt zu werden — sondern erst mal von den Menschen wiederentdeckt zu werden. Wir brauchen niedrigschwellige Angebote. Das tut weh, es wird dauern, das nervt, das kenn ich aus Zeiten bei den Piraten. Neue Formen des Dialogs und der Auseinandersetzung müssen sein. Da wird es ruckeln, im positiven Sinne.

 

 


Wenn Youtuber Rezo auch noch die Kölner SPD zerstören wollte, würden wir Ihre Videoantwort aber zu sehen bekommen, oder?

 

(lacht) Timo Wölken, Europaabgeordneter der SPD, hat das sehr cool gemacht. So geht authentisch. Sich von einer Agentur Youtuber-Sprache zeigen zu lassen, ist lächerlich. Rezo ist nicht Ursache der Probleme von Union und SPD, er ist das Symptom.