»Psychologisierung macht blind für gesellschaftliche Probleme«

 

Susanne Heinrich über ihren Debütfilm »Das melancholische ­Mädchen«, Verfremdungs­effekte und die Ästhetik der Glätte

 

»Das melancholische Mädchen« erzählt in 15 oftmals komischen Kapiteln von verschiedenen Begegnungen der Titelfigur in einer Großstadt. Was den Film politisch macht, kann man weniger anhand der Geschichte oder den Dialogen erklären als anhand der besonderen filmischen Form. Würden Sie dem zustimmen? Das ist richtig. Ein Großteil der Aussage meines Films liegt in seiner Form. Für mich war wichtig, mich vom Naturalismus und den Psychologisierungen herkömmlicher Filme zu entfernen. Nachdem ich das Drehbuch innerhalb weniger Tage geschrieben hatte, habe ich mich gefragt: Was ist das überhaupt? Wie will das gesprochen werden? Daraufhin habe ich mit klugen Leuten darüber gesprochen, unter anderem mit einer Dozentin von mir an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, die ich sehr verehre. Sie meinte: Lies mal Brecht, schau dir den Verfremdungseffekt an. Dann habe ich mich auf diese Fährte begeben. Ich überzeichne den oft so alternativlos erscheinenden neoliberalen Alltag auf komische Art und zeige die Verhältnisse so modellhaft im Film, um den Blick auf Strukturen zu wenden. Ich will nicht bei der Psychologisierung hängen bleiben, weil diese Art der Identifikation blind macht für gesellschaftliche Probleme. Man klebt dann an der Figur und kann bestenfalls mitfühlen und ein kathartisches Erlebnis haben. Aber eigentlich ist das ein Zustand der Passivität, weil man es mit einer sehr berechenbaren Form zu tun hat. Da wollte ich von weg. Das sagt zumindest mein jetziges Ich über das, was ich damals gemacht habe.

 

 


Wie spielt man nicht-psychologisch?

 

Erstmal mussten die Schauspielerinnen und Schauspieler alles, was man auf der Schauspielschule lernt, vergessen, und auch diese winzigen Bewegungen unterdrücken, die ein Körper macht, diese kleinen Unsicherheitsgesten. Dadurch tritt etwas anderes hervor. Man hört ganz anders auf den Text. Es zerfällt diese Einheit der psychologischen Figur. Das war ein gemeinsames Suchen bei den langen Proben.

 

 



Ich stelle mir vor, dass das für die DarstellerInnen schwierig war, so wenig zu spielen. Gab es Konflikte?

 


Konflikte nicht, aber wir hatten Sprachprobleme am Anfang. Sie sind natürlich gewöhnt, ständig aufgefordert zu werden, Gefühle zu produzieren. Ich habe oft nur gesagt: höher sprechen, tiefer sprechen, langsamer, schneller, den Arm so heben. Das ist natürlich unbefriedigend, weil die Darstellerinnen und Darsteller dachten, sie machen zu wenig. Es geht eben nicht um Affektproduktion. Es war schwierig, dafür eine Sprache zu finden, also mehr zu sagen als: »Hab keine Gefühle.« Aber ich glaube, am Ende hat es allen Spaß gemacht und sie haben nicht daran gezweifelt, dass es Sinn macht. Schauspielerinnen und Schauspieler, die sonst fürs Fernsehen arbeiten, sind auch dankbar, wenn sie mal was anderes machen dürfen. Es war eher eine Choreographie als ein Schauspiel.

 

 



Auffällig sind auch Farbgebung und Beleuchtung im Film. Warum dieser cleane Pastel-Look?

 

Diese Baby- oder Kinderfarben haben mit der Infantilisierung der Gesellschaft zu tun. Außerdem wollten wir insgesamt eine Ästhetik der Glätte durch eine sehr starke Aufhellung und eine gleichmäßige Beleuchtung — keine Schatten, nichts, was sich dem Blick entzieht. Das Bild sollte außerdem sehr flach sein, immer nur Menschen, die vor Hintergründen stehen, keine Fluchten, keine Perspektiven, keine Zimmerecken, sondern nur eine Staffelung, sodass alles zu einer Oberfläche verschmilzt. Die Körper sind auch so beleuchtet, dass sie sich gar nicht so stark ausformen. Byung-Shul Han hat in einem Buch über die Glätte als Signatur unserer Zeit geschrieben. Da hat er glattrasierte Frauenbeine mit Jeff-Koons-Kunst und Handyoberflächen verglichen. Zu dieser Glätte passen die Werbefarben gut, die eine verführerische, leckere Künstlichkeit haben, die Farben der Anbiederung, die Farben der Verführung, die Farben des Likes.

 

 


Apropos Likes. Der Film besteht aus 15 nur lose verbundenen Sequenzen. Die einzelnen Kapitel könnte man sich auch gut als Youtube-Serie vorstellen oder auch als Buch. Warum wurde daraus ausgerechnet ein Kinofilm?

 

Erstmal ist Film ein sehr potentes Medium, das viele Dinge zusammenführt, die ich schon lange gemacht habe: Schreiben, Musik usw. Als Youtube-Serie kann ich mir den Film nicht so gut vorstellen, weil ich sehr kritisch bin, was das emanzipatorische oder politische Potenzial von solchen Internet-Formaten ist. Und auf ein Buch wäre ich wahrscheinlich gar nicht gekommen. Nachdem ich mich wegen einer Schreibkrise dem Film zugewandt habe, hat sich auf der Filmhochschule mein Gehirn umformatiert — ich habe angefangen, in Filmen zu denken statt in Büchern. Ich habe das Gefühl, dass man mit Filmen nicht ganz in der Bubble bleibt. Ich träume natürlich davon, dass dass er schon ein paar Leute unvorhergesehen trifft.

 

 


Im Netz wäre das sicher noch eher möglich.

 

Das ist ein Gedanke, den ich am Anfang auch hatte. Ich wollte »Das melancholische Mädchen« gerne kostenlos ins Netz stellen, aber in dem Moment, in dem ein Produzent an Bord kommt, weil Geld fehlt, muss alles in den klassischen Auswertungsstrukturen laufen. Jetzt gehört er mir ja auch nicht mehr. Vielleicht wird er ja geleakt, und es wird ein Trend, die Szenen umzuschneiden und ganz viele Ver­sionen davon zu machen. Fände ich schön, wenn er wieder Material wird.