»Five Fingers for ­Marseille«

 

Michael Matthews inszeniert bildgewaltig einen Italo-Western — in Südafrika

 

Am Anfang war die Landschaft. Dann kamen die Eisenbahngleise. Und mit den Gleisen die Wirtschaft und der Handel. Und die Städte. Nein, wir sind nicht im alten Westen der USA, dem Urboden zahlreicher Kinomythen um Land und Gleise, von John Fords »The Iron Horse« bis Sergio Leones »Spiel mir das Lied vom Tod«. Wir befinden uns in Südafrika, zu Zeiten der Apartheid. Was auch heißt: Mit den Gleisen, dem Handel und den Städten kommen auch die Slums — kleine Satellitensiedlungen in Sichtweite zu den Städten. Die Wei­ßen leben in den Städten, trei­ben Handel, kontrollieren die Polizei. In den Slums verelenden die Schwar­zen, abhängig vom wirtschaftlichen Auf und Ab der Städte.

 


Fünf Jungs, fünf Freunde, die »Five Fingers of Marseilles« leben hier — erleben Abenteuer, führen spielerisch Duelle auf, erzählen sich Geschichten. Und wehren sich, als sie mal wieder die üblichen Schikanen der Polizei ertragen sollen. Tau, einer der Jungs, den seine Freunde den »Löwen« nennen, verliert die Kontrolle. Er schießt — zwei Tote, Flucht, viele Jahre Gefängnis. Als er zurückkehrt, ist er ein Anderer, ist die Stadt eine andere und auch der Slum. Er ist der Namenlose ohne Geschichte, der in eine Stadt kommt, in der Politik und organisiertes Verbrechen die Geschäfte unter sich ausmachen — wie Clint Eastwood so ein Namenloser war, der bei Leone zwischen die Fronten geriet.

 


Und auch Taus Freunde von früher mischen bei dem Geschäft mit. Eigentlich hatte er der Gewalt abgeschworen, doch Tau muss feststellen, dass seine Gewalttat eine Entwicklung in Gang gesetzt hat, die ihn bis in die Gegenwart heimsucht.

 


Der Zivilisationsprozess als Ur-Mythos des Western, betrachtet aus postkolonialer Perspektive — so lässt sich Michael Matthews’ extrem souverän inszeniertes Langfilmdebüt auf den Punkt bringen. Ähnlich wie Sergio Leone in seinen großen Western-Opern versteht Matthews die Dynamik zwischen Langsamkeit und plötzlicher Entladung, zwischen Zerdehnung und Verdichtung, Schicksalshaftigkeit und Souveränität.

 


Hinzu kommt ein Gespür für wuchtige Bilder, erhabene Landschaften — und eine genaue Kenntnis der Genre-Motive. »Five Fingers for Marseilles« ist ein politischer Film, insbesondere weil er klarstellt, dass es nicht die Hautfarbe ist, der Unterdrückung folgt, sondern Wirtschaft und Macht. Aber es ist eben auch ein Genrefilm mit einem Titel, der sich stilecht wie der eines alten, vergessenen Italowestern liest.

 



(dto) SA 2017, R: Michael Matthews, D: Vuyo Dabula, Zethu Dlomo, Hamilton Dhlamini, 121 Min. Start: 27.6.