Gegenläufige Bewegungen

Fatih Akın und Nuri Bilge Ceylan ent­wickeln in ihren neuen

Filmen über die Türkei ganz ­unterschiedliche Filmsprachen

 

Der Hamburger Fatih Akın emp­fand die Bezeichnung deutsch­-türkischer Filmemacher lange Zeit als einengend, stigmatisierend. Nach seinem Erfolg mit »Gegen die Wand« kann er sie sich wieder gefallen lassen. Schließ­lich produziert er hüben wie drüben, spielt am Bosporus in Nebenrollen mit und engagiert sich für den Umweltschutz in der Türkei. Sein aktueller Film »Auf der anderen Seite« – der zweite Teil der Trilogie »Liebe, Tod und Teufel« – ist ein reiferes Werk als der jugendlich-ungestüme Vorgängerfilm, das Erzähltempo ist ruhiger. Akın verknüpft über ein Dutzend Einzelschicksale Leben und Tod, zwei Länder und mehrere Generationen miteinander.

Der alte Arbeitsmigrant Ali unterhält ein Verhältnis zur Prostituierten Yeter, die ihrer Tochter Ayten das Studium in der Türkei finanziert. Als Yeter nach einem heftigen Streit mit Ali tödlich verunglückt, geht Alis Sohn Nejat in die Türkei, um Ayten zu suchen. Sie ist Mitglied einer extremistischen Organisation und nach Deutschland geflüchtet. Dort trifft sie auf Lotte, verliebt sich in sie, wird aber wieder abgeschoben.

Akıns in Cannes prämiertes Drehbuch ist durchzogen von gegenläufigen Bewegungslinien, von denen einige jäh abgeschnitten werden. Wie er das Unausweichliche und zunächst Sinnlose des Todes inszeniert, erinnert stellenweise an antike Dramen. Das türkische Element bleibt Grundmelodie, die einer Erzählung über Fremdsein, Heimat, Verlust unterlegt ist.

Angesichts der gegenwärtigen politischen Großwetterlage dürfte der Film Debatten über realistische und/oder stereotype Darstellungen des migrantischen Milieus auslösen. Akıns Stärke liegt nun einmal darin, dass er Klischees und Kontraste nicht meidet, sondern wirkungsvoll gegeneinandersetzt. Und vom türkischen Germanistikprofessor bis zur lesbischen deutschen Weltverbesserin ist alles dabei. Dass er mit Tuncel Kurtiz eine Legende des türkischen Kinos und mit Hanna Schygulla (als Lottes rigide Mutter Susanne) eine Ikone des deutschen Autorenfilms besetzt, ist clever. Es zeugt von Geschichtsbewusstsein. Der jüngeren Generation steht im Film hier wie dort eine ältere gegenüber, die Jahrzehnte vor den aktuellen Debatten um Islamismus und Irakkrieg mit dem türkischen Militärputsch und Vietnamkrieg Vergleichbares erlebt hat.

Die Lebensläufe aller Figuren sind mit aktuellen Diskursen verwoben: Kurden- und Menschenrechtsfrage, EU-Mitgliedschaft, Migration, Wertewandel. Um Absolutheitsansprüchen auszuweichen, erzählt Akın in mehrfacher Brechung: über unterschiedliche Charaktere, Kulturen, Generationen.

Zeitgleich startet ein genuin türkischer Film, dem man solche Aktualitätsbezüge auf den ersten Blick nicht ansieht: »Jahreszeiten – Iklimler« von Nuri Bilge Ceylan. Er zählt zu den türkischen Filmemachern, die die Personalunion von Produzent, Regisseur und Drehbuchautor anstreben, um ihre künstlerische Integrität zu wahren. In seinem jüngsten Werk spielt er auch die Hauptrolle, seine Frau Ebru den Widerpart. Für das, was sich im Film zwischen den beiden abspielt, ist das Wort »Beziehungskrise« ein Euphemismus. Es ist ein Abgrund, eine ewige Vorhölle der Unentschiedenheit: Kunstdozent Isa lässt seine Beziehung zu der um einiges jüngeren Bahar auslaufen, weiß mit seiner zurückeroberten Ex-Geliebten aber auch bald nichts mehr anzufangen und jagt erneut der jüngst Abgelegten hinterher, die inzwischen zu Dreh­arbeiten nach Anatolien geflüchtet ist.

Aufgehellt wird die Tristesse durch atemberaubend lichtdurchtränkte Bilder. Zwischen Schnee und Strand, Ruinen und Großstadtkulisse spielt die Kamera mit Farbkompositionen, Schärfen und Hintergründen, dass es eine Augenweide ist. Weite Landschaftstotalen und Plan­sequenzen zitieren die Intensität eines Theo Angelopoulos (»Die Ewigkeit und ein Tag«), die enge Komposition mancher Dialogszenen scheint an Fassbinder geschult – wenige Schritte der Protagonisten teilen die Leinwand plötzlich in Lebensräume und Todeszonen.

War Ceylans voriger Film, der in Cannes ausgezeichnete »Uzak«, trotz ähnlicher visueller Brillanz oft von einer bleiernen Statik, durchzieht die Bilderpracht von »Jahreszeiten« eine vorwärts drängende Bewegung: ein Flugzeug am Himmel, eine Möwe, eine rollende Nuss, eine Schneeflocke, ein Regenschauer. »Iklimler« bedeutet in einer genaueren Übersetzung »Wetterverhältnisse«. Vorläufig und unergründlich wie das Wetter sind auch die emotionalen Zustände der Handelnden. Die Prognose des Handlungsverlaufes entspricht der einer Wettervorhersage. So hofft der Zuschauer bis zum Schluss auf eine innere Bewegung, eine Einsicht des Helden Isa, der den Frauen nachläuft, bis er einen Grund findet wieder zu fliehen.

Man mag darin Jahrhunderte alte Gewohnheiten erkennen, die sich hinter der modernen Charaktermaske verstecken. Erwägungen über den Chauvinismus türkischer Männer lassen sich aber ausweiten zu einer allgemeinen Unausdeutbarkeit des Anderen: die Filmfigur als Rorschach-Testbild. Darin erinnert Ceylan an Antonioni und Bergman, die Altmeister des existenzialistischen Films.

Das Schweigen des Protagonisten fällt auf den Filmemacher zurück: Trotz des Spiels mit Horizonten, Landschaften und Tiefenschärfen ist »Iklimler« vor allem großes Referenzkino. Verbleibt Ceylan auf Seite der Finesse, so bewegt sich Akın auf der anderen: der des Statements.



Auf der anderen Seite. D 07, R: Fatih Akın, D: Bakı Davrak, Nursel Köse, Tuncel Kurtiz, 122 Min. Start: 27.9.

Jahreszeiten – Iklimler (Iklimler). TR 06, R: Nuri Bilge Ceylan, D: Ebru Ceylan, Nuri Bilge Ceylan, Nazan Kesal. 104 Min. Start: 27.9.