Nuestro tiempo

 

Carlos Reygadas erzählt mit beeindruckenden Natur­bildern von einer Dreiecks-­Geschichte

Mit Kindern, die an einem See spie­len, und die dann bedeckt mit Schlamm nach Hause laufen, geht alles los. Die Verbindung von Mensch und Natur scheint hier noch ungebrochen. Dann sind die älteren Freunde und Geschwister zu sehen, die pubertierenden Mädchen sind fast schon junge Frauen und reden über Schmuck und darüber, ob der Schlamm wohl gut für die Haut wäre. Noch etwas ältere Jugendliche haben zum ersten Mal Sex, irgend­wo im Gras unter einem Baum.

 

Ganz nahe an der Erde dran ist und bleibt vieles in diesem Film, der sich von Anfang an alle Zeit der Welt nimmt — so wie er zunächst von immergleichen Tagen erzählt, deren Rhythmus von der Sonne bestimmt wird, und von einer Zivilisation, die noch nahe dran am Naturzustand zu sein scheint. Und doch herrscht hier alles andere als paradiesische Unschuld.

 


Es ist zwar eine Dreiecks-Liebesgeschichte, also der klassische Stoff, aus dem Kinomelodramen sind, die in »Nuestro tiempo« erzählt wird. Und doch ist es nicht die Handlung, die vom neuen Film des Mexikaners Carlos Reygadas (»Stilles Licht«) am stärksten im Gedächtnis bleibt, sondern die Bilder. Western-Bilder, in denen die Natur groß und die Fähigkeiten der Menschen wie ihre Moral begrenzt sind. Sie zeigen Landschaften von überwältigender Schönheit, aber diese Natur soll immer wieder gebändigt werden.

 


Juan und Ester, ein Paar mit drei Kindern, züchten Kampfbullen. Tag und Nacht arbeiten sie auf ihrer Farm. Allerdings ist Juan auch ein weltweit erfolgreicher Schriftsteller, und Esther eine Frau, die ihre Dienstboten per Walkie-Talkie kommandiert. Als sie eines Tages mit dem US-Cowboy Phil eine Affäre anfängt, ist das nicht sofort der Einbruch des Natur­zustands. Zum gedämpften Liberalismus des Paar-Lebens gehört das Versprechen einer offenen Beziehung wie die Tatsache, dass sich Juan und Phil freundschaftliche E-Mails schreiben. Aber das zivilisierte Verhalten hält nicht lang. Nur die Bilder bleiben nüchtern. Die wunderschöne Kameraarbeit, die den Schweiß der Rancheros ein­fängt wie die Kraft der unbezwingbaren Bullen, machen »Nuestro tiempo« zu einem der beeindruckendsten, skrupulösesten und aufrichtigsten Filme des Jahres.

 


Der Film ist nach allen Seiten offen: natürlich ein Spiel um die Macht der Männer und der Frauen, über den Ernst der Leidenschaften. Ein Spiel mit Verweisen auf Friedrich Wilhelm Murnaus »Sunrise«. Und ist dies möglicherweise nicht auch ein eigenwilliger Kommentar auf das Verhältnis Mexikos zu den USA, den Gringos aus dem Norden? Zwei Bullen kämpfen am Ende. Einer siegt. Es ist die Natur, kann man das lesen, die sich durchsetzt und zu der nicht nur dieser Film zurückkehrt.

 



(dto) MEX/F/D/DK/SW 2018, R: Carlos Reygadas, D: Natalia López, Carlos Reygadas, Phil Burgers, 173 Min. Start: 27.6.