Oh, wie schön ist Schlagenheim

 

Black Midi — die Band der Stunde: Live der Hammer, im Interview standesgemäß maulfaul

Fast jeder wird die Geschichte vom kleinen Bär und vom kleinen Tiger kennen, die sich auf die Suche nach Panama begeben und nach einer großen Runde wieder bei ihrem eigenen Haus landen. Sie wähnen sich im Land ihrer Träume — und sind tatsächlich um einige Erfahrungen reicher.

 


So muss man sich auch die Reise nach Schlagenheim vorstellen, jenem imaginären (?) Ort, der dem Debüt, der heiß gehandelten Londoner Rock-Gruppe Black Midi, seinen Namen verleiht. »Schlagenheim gibt es wirklich. Aber wir können nicht verraten, wo das sein soll. Die Hinweise liegen im Namen selbst«, nuschelt Sänger Geordie Greep mit seinem sehr breiten ­Londonder Akzent, am Rande des mœrs Festivals. Hier hat an Pfingsten das hochgehandelte Ensemble, das neben Greep aus Gitarrist Matt Kelvin, Bassist Cameron Picton und Drummer Morgan Simpson besteht, 45 Minuten lang einen Noise-Jam allererster Güte in das Krach-gewöhnte Publikum geschickt. Getrieben von den synkopierenden Beats Simpsons, der sein Drum-Set prügelt, als gäbe es kein Morgen, schichten die anderen drei Töne und Krach auf- und übereinander.

 


»Wir waren unzufrieden mit den Lautstärke-Bestimmungen auf der Bühne. Normalerweise schrauben wir die Verstärker so hoch wie möglich. Wir brauchen diesen Druck«, zeigt sich Kelvin unzufrieden. Picton und Simpson sind gar nicht erst zum Interview erschienen. Die Band hat einen ganz genauen Plan, welchen Eindruck sie hinterlassen möchte, obwohl alle Bandmitglieder gerade erst die Volljährigkeit erreicht haben. Das liegt auch daran, dass die vier auf der berüchtigten Brit School waren. Eine Elite-Pop-Talentschmiede in London, die schon Adele, Amy Winehouse und King Krule zu ­großen Künstlern machte.

 

 



Ein Festival für improvisierte Musik — fühlt ihr euch hier nicht fehl am Platze? Immerhin klingt euer Debüt »Schlagenheim« gar nicht improvisiert.

 


Kelvin: Unsere Platte ist durch­konstruiert, sehr strukturiert. Wir improvisieren im Proberaum so lange wie es geht. Meistens zwei Stunden. Länger können wir die Energie nicht aufrechthalten. Dann hören wir im Anschluss, was wir gespielt haben und bauen aus den besten Stellen dann Songs, die wir neu aufnehmen.

 

 



Diese komplexen Strukturen haben dazu geführt, dass man euch unter Math-Rock subsumiert. Seid ihr damit zufrieden?

 


Greep: Das passt gar nicht. Uns geht es nicht um konstruierte Komplexität. Wir denken nicht über Taktarten und -wechsel nach. Die Songs passieren halt. Sie müssen gut, emotional, dramatisch sein.

 

 


Ihr heißt Black Midi. Habt ihr etwas mit diesem Coding-Musik-Genre zu tun, wo tausende Noten am PC ­programmiert und dann abgespielt werden?

 


Greep: Ich bin damals auf die Black-Midi-Videos bei Youtube gestoßen. Das Ziel ist dort, die Tracks so zu überladen, dass sie nicht mehr abgespielt werden können. Eine Kunst, die sich selbst zerstört. Das finde ich sehr cool. Trotzdem haben wir darüber hinaus null damit zu tun. Der Name war ein Platzhalter, der nie abgelöst wurde.

 

 


Viele eurer Gitarrenphrasen sind sehr hoch gespielt. Dies vermittelt den Eindruck, als wären sie kaum noch im europäischen Notensystem beheimatet.

 


Greep: Das stimmt. Ich fände es toll, wenn wir mikrotonal Musik machen könnten. Aber gleichzeitig will ich das gar nicht. Die Oberton- und Feedback-Reihen sind ungewohnt für viele Hörer. Das finden wir gut. Das nutzte schon Henry Purcell.
Das machen wir uns da zu eigen.

 

 


Es wurde viel über deine Vocals geredet. Die genannten Referenzen, etwa David Bowie, sind ja häufig Nonsens. Wie stehst du selbst dazu?

 


Greep: Im Mittelpunkt meines Gesangs steht Thetralität. Es soll verkünstelt, interessant und melodisch sein. Mich interessieren Sänger wie Scott Walker, Lotte Lenya oder Marvin Gaye. Gaye ist mein Idol, mein Favorit.

 

 



Das ist eine wilde Mischung. Ihr macht da einen großen Raum auf. Auch auf der instrumentalen Ebenen ruft ihr verschiedene Bereiche auf. Hier spielt ihr bei einem Festival, das vornehmlich für Spielarten des Jazz steht.

 


Kelvin: Jazz ist für uns ein wichtiger Input. Wir hörten und hören das viel. Aber wir sowieso hören alles.

 


Greep: Das Problem mit Jazz ist der Snobismus und der Dogmatismus der Jazzer. Das hat man auch bei Klassischer Musik. Wir sagen: Kein Genre ist per se gut. Es geht um die großen Künstler, nicht um Abgrenzungen. 99 Prozent aller Musik ist Mist. In allen Genres.

 

 


Ihr feiert die großen Namen ab?

 


Greep: Es geht nicht um große Namen, nur um große Künstle­r*in­nen. Leute, die Namen-fixiert sind, sind meistens Puristen. Die wollen alles von Charlie Parker haben. Wir wollen hingegen alles haben. Das volle Potenzial.

 

 


In den Nuller Jahren gab es schonmal eine Welle an Acts, die so ähnlich klangen wie ihr. Bands wie Skeletons oder Liars aus New York oder natürlich die Battles verbanden Stilmittel aus dem Indie mit kompositorischen Elementen aus dem Free Jazz und anderen Außenseiter-Bereichen. Habt ihr damit was zu tun?

 


Greep: Kaum. Indie-Menschen sind die schlimmsten, sehr close-minded. Da gibt es viel Rockismus; Machos mit Gitarren und Drums. Das sind wir nicht. Aber Liars haben meist eine gute Show hingelegt, glaub ich. Den Aspekt finden wir dann gut.

 

 



Man hört, dass ihr euch für den Rapper Danny Brown interessiert.

 


Kelvin: Er macht grandiose Alben. Er macht geniale Musik. Er schreibt perfekte Songs mit verschiedenen Charakteren und einem sehr eigenen Stimmstil. Er ist schlicht sehr gut.

 

 



Tonträger: »Schlagenheim« (Rough Trade / Beggars Group / Indigo) ist bereits erschienen.