Unternehmerin, Mäzenin, Regisseurin: Alice Guy-Blaché

Miterfinderin einer Kunst

Die Internationalen Stummfilmtage widmen der Kinopionierin Alice Guy-Blaché einen Schwerpunkt

 

Alice Guy-Blaché gilt als erste Regisseurin der Welt. Und selbst wenn eine andere Frau einen Film vor ihrem Debüt »La Fée aux choux« (1896) gedreht hätte — was möglich ist —, änderte das nichts an ihrer Bedeutung als Kinopionierin. Denn Guy-Blaché, der die Interna­tionalen Stummfilmtage Bonn dieses Jahr einen Schwerpunkt widmen, war sicherlich die erste — und lange Zeit auch einzige — Filmschaffende mit einer substanziellen Karriere. In deren Verlauf drehte sie nicht nur hunderte Filme. Sie war von 1897 bis 1907 künstlerische Leiterin des ältesten französischen Filmkonzerns Gaumont. In dieser Funktion förderte sie diverse Großmeister des frühen Kinos wie Louis Feuillade, Ferdinand Zecca oder Victorin Hippolyte Jasset. Zudem war sie Mäzenin des für die Filmgeschichte wichtigen Erfinders Georges Demenÿ, sowie nach ihrem Umzug in die Vereinigten Staaten im Jahre 1910 Mitbegründerin eines eigenen Studios, The Solax Company, seinerzeit ein Dynamo für den Ausbau von Fort Lee in New Jersey zum ersten zentralen Produktionsstandort des US-Kinos.

Schon 1905 war Alice Guy-Blaché offenbar bekannt genug, dass ihr eine Werbe-Dokumentation, »Alice Guy tourne une phonoscène«, gewidmet wurde. Gaumont war stolz auf die Regisseurin und ließ sie deshalb ihre neueste Technologie-Sensation, den Tonfilm mit synchronisierter Schallplatte, der neugierigen Öffentlichkeit vorführen. Guy-Blaché hat also das Kino als Kunst- und als industrielle Produktionsform miterfunden. Daher lässt sich die Filmgeschichte ohne eine ausgiebige Würdigung ihres Schaffens nicht erzählen. Sollte man zumindest denken.

In Wahrheit musste sich Guy-Blaché selber darum kümmern, dass man sie in die Filmannalen einschrieb. So mancher ihrer Filme wurde wegen der Abwesenheit irgendwelcher Credits diesem oder jenem männlichen Regisseur zugeschlagen. Aber der Grund ist nicht nur Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts. Möglicherweise ähnlich bedeutsam für ihre fehlende Beachtung seit den 20er Jahren war auch die generelle filmhistorisch-kulturelle Verachtung für das Kino vor 1918. Das galt lange lediglich als tollpatschig-amateurhaft, obwohl es, nach heutigem Ermessen, einfach eine völlig andere Kunstform war, mit eigenen ästhetischen Vorstellungen und Werten.

Dazu gehört auch, dass Guy-Blaché ebenso Künstlerin war wie Unternehmerin, ohne dass man die eine von der anderen Funktion trennen könnte. Sie war eine Macherin der Populärkultur, der Konfektion, die sich nicht zu schade war, Kopien oder Variationen beliebter Motive oder Stoffe zu drehen. »Danse ­serpentine par Mme Bob Walter« (1897) und »Lina Esbrard, Danse serpentine« (1902) gehören etwa zu einer Gruppe von Filmen weltweit, in denen der sogenannte Serpentinentanz aufgeführt wurde. In gar nicht so wenigen Fällen hatte Guy-Blaché mit der eigentlichen Realisierung eines Films gar nichts zu tun, das erledigten die Kameraleute, Handwerker und Darsteller auch schon mal ohne ihre Anleitung vor Ort. Manchmal setzte sie aber auch Trends, etwa mit ihrer Serie von Bibel-Szenen (1898-99).

Was man immer im Hinterkopf behalten sollte, wann auch immer irgendwelche These aufgestellt werden zu emanzipatorischen Tendenzen in Guy-Blachés Schaffen: »Madame in Nöten« und »Emanzipation der Frauen« (beide 1906), zu sehen am Eröffnungsabend der Bonner Stummfilmtage, waren wohl eher als Verächtlichmachung weiblicher Verhaltensweise und Begehren gemeint. Gerade letzterer passt gut in einen kleinen Corpus von Filmen jener Zeit, der Feminismus verhöhnte und verspottete. Andererseits fällt, gerade in ersterem, das Spiel mit der Komplizenschaft auf, wenn Guy-Blaché als ihr eigener Star demonstrativ zum Publikum hin agiert, es teilhaben lässt an ihrem Spaß mit den verbotenen Vergnügungen.

Die Bonner Stummfilmtage bieten dieses Jahr die Möglichkeit, einmal den großen Zeh in den Ozean Alice Guy-Blaché zu tauchen: Neben den zwei schon erwähnten Preziosen gibt es im Rheinischen Landesmuseum ein Programm mit Filmen aus ihrer US-Periode zu sehen, sowie zuvor die Dokumentarspiel-Delikatesse »Alice Guy ­Blaché – Hommage an die erste ­Filmemacherin der Welt« (1996) von Katja Raganelli. Die wäre als umsichtige Chronistin weiblichen Filmschaffens weltweit auch mal einen genaueren Blick wert.

Internationale Stummfilmtage Bonn

Das Programm der Internationalen Stummfilmtage bietet jenseits der ­Fil­me von Alice Guy-Blaché noch andere Hö­hepunkte deretwegen man als Stummfilmfan nach Bonn pilgern sollte. Allen voran das proto-»Der sieb­te Sinn«-Verkehrsaufklärungsstück »Gefahren der Großstadt-Straße« (1924) des spä­teren Tier- und Naturfilmfans Toni Attenberger und Marcel Carnés herrlicher Film über proletarische Sonntagsfreuden »Nogent« (1929). Interessant sind auch die Ausgrabungen aus China, Meister Shi Dongshans grimmiges Bruderzwistmelodram »Kampf ums Glück« etwa, und aus der UdSSR zum Beispiel Pawel Petrow-Bytows ästhetisch so strenge wie erzählerisch vorbildlich aufs Wesent­liche reduzierte Gorki-Adaption »Das Lied vom alten Markt« (1929). Ganz wunderbar sind auch die ins Programm eingestreuten kurzen Animationsfilme, etwa Paul Peroffs ­»Willis Zukunftstraum« (1928) sowie zwei Fantasmagorien von Émile Cohl, welche oft besser sind als die Langfilme, die sie als Vorprogramm zieren.

Do 15.8.–So 25.8., Arkadenhof der Universität Bonn. Eintritt frei!
Infos: film-ist-kultur.de