Lass dich ein!

Karin Beier eröffnet ihre ­Intendanz am Schauspiel mit drei radikal verschiedenen Theaterformen

Das Warten hat ein Ende, der Spielzeitauftakt von Karin Beier als Intendantin des Kölner Schauspiels ist vollzogen – und mit ihm ein auch für ein »Metropolen«-Theater (Beier) nicht ganz üblicher Genremix aus Klassikern, kunstnaher Installation und Diskurs-Revue.

Den Auftakt setzte die neue Chefin selbst mit Friedrich Hebbels »Nibelungen«, einem mächtigen, beladenen Stoff. Der gut dreieinhalbstündige Abend kündet in seiner Intensität von ­einer großen Kraftanstrengung. Anderseits schnurrt die Inszenierung durchaus allzu flott durch die Überfülle des zu vermittelnden Stoffes. Der aus Kroatien stammende Carlo Ljubek spielt Siegfried mit viel junger, draufgängerischer Frische. Patrycia Ziolkowksa gelingt als Kriemhild in ihrer schönen Strenge ein eindruckvoller Zugriff auf die ­Figur. Hier im privaten Dreieck, wo ­Karin Beier die verhängnisvolle Geschichte von Sieg­fried, Kriemhild und der dritten im gestörten Bunde, Brunhild, mit viel raumgreifender, vitaler Energie erzählt, bringt sie uns die alte Geschichte nah. Der Stoff bleibt gleichwohl ein Heroenepos. Wer glaubt, »Helden« und »großen« Gefühlen auf einer Theaterbühne nicht mehr trauen zu können, hat mit dem Abend seine Probleme.

Deshalb macht Beier das Deutschnationale, Sippen- und Machtfixierte vor allem der Männerfiguren um König Gunther lächerlich; schiebt ironische Simu­lation von Politreden über unsere demokratische Kultur ein oder Bushs enduring freedom-Geraune. Das wirkt aber mehr wie eine ­politisch korrekte Pflichtübung. Verballhornte Kritik am Machtdiskurs und an nationalen Tümeleien sind im Theater häufig bloß noch state of the art. Das reicht nicht mehr aus. Zurück bleibt ein Abend, der zu fesseln vermag, aber die Größe des Stoffs nicht immer gelungen brechen und seine Ferne nicht immer überwinden kann.

Totaler Formatwechsel. In der Museumshalle Kalk erstreckt sich die Performance-Installation »Die Erscheinungen der Martha Rubin« vom dänisch-österreichischen Künstlerduo Sig­na (Signa Sørensen und Arthur Köstler). Das Team hat in der alten Industriestätte die Stadt Ruby Town errichtet, eine Siedlung aus alten Wohnwagen und Holzbaracken. Die Installation ist eine Dauerperformance, die an drei aufeinander folgenden Wochenenden jeweils nonstop bis zu 84 Stunden lang gespielt wird.

Die meisten Bewohner der Siedlung stammen von Martha Rubin ab, die 1913 namenlos in einem Wanderzirkus auftauchte. Dort war sie eine Attraktion, weil sie über seherische Fähigkeiten verfügt. Jetzt ist sie zurück und die Bewohner erhoffen sich neue Orakel.

Um mehr von dieser seltsamen Welt zu erfahren, muss man die Grenzstation von Ruby Town passieren und damit die Patroullien des umgebenden »Nordstaates«. Man wird angeherrscht. Erste Zweifel am Theater-Status der betretenen Welt tun sich auf. Einmal drinnen, kommt alles darauf an, wie lange man bleibt und wie sehr man teilnimmt am Leben der Bewohner und an ihren Beziehungen zueinander. Nur so, im Modus der Langsamkeit, der ­dieser Produktion zutiefst inne wohnt, erschließt sich mehr vom Geschehen. Erlaubt ist alles, solange die Spieler in ihren Rollen bleiben, sagen die Macher. Es gibt einen Süßwarenladen, eine Bar, eine Peepshow.

Während der insgesamt fünfeinhalb Stunden, in denen der Rezensent bis nachts in Ruby Town war, passierte wenig Aufsehenerregendes. Doch um nichts weniger geht es als um ein Spektakel. Nur über Gespräche mit mehreren Personen aus den unterschiedlichen Familien, gewinnt man einerseits Einblick in die Qualität der Beziehungen, verflüchtigt sich anderseits das Bewusstsein, im Theater zu sein. Die neue Realität verschafft sich ihr Recht. Man hat teil an den Prozessen, die sich im Blick auf das Wesen von Ruby Town ergeben: der bereitwillig tolerierten oder verhassten Abhängigkeit von einem Kontrollstaat, der Verehrung des Orakels Martha Rubin, die in einem begehbaren Schrein somnambul vegetiert, von jedem angesprochen werden kann und nichts erklärt. Man hört vom Verschwinden von Leuten, erhält aber nie Aufklärung. Wie die Installation im Blick auf die »Handlung« endet, war zum Zeitpunkt des Besuchs ungewiss. Jemand spekulierte, Martha sei doch bloß vom Nord-Militär eingesetzt, um das Dorf still und kontrollierbar zu halten. Möglich.

Noch ein harter Schnitt. Halle Kalk. Nebenan, die Revue »Fordlandia« steht an. Die dritte Premiere ist eine Zusammenarbeit von Regisseur Tom Kühnel und Diskurs-Komiker Jürgen Kuttner. Hier geht es nicht um Teilnahme, sondern um Collage, Verfremdung, Unterhaltung und Wissens­vermittlung. Die beiden ha­ben ei­ne dokumentarisch-thea­trale Show entworfen über die Autofirma Ford und vor allem über deren so­zialgeschichtliche Funktion in der Bundesrepublik und speziell in Köln. Film- und Ton-Einspieler aus dem Off von Berich­ten über den legendären »Türkenstreik«, der Ford im Sommer 1973 lahmlegte, werden lippensynchron von den Schauspielern nachgesprochen. Eine lustige Verfremdung, bei der man manches lernen kann.

Am Ende ist es ein leicht klappernder, mehr oder weniger neuer Versuch, politisches Theater anders zu machen. In seiner Heterogenität – Mittel des Kabaretts, des Liederabends, der Revue, des Vortrags, des szenischen Spiels wechseln sich ab – allerdings ein Gewinn im theatralen Formenkanon.

Alles in allem ist Karin Beiers Start gelungen. Ein Start, der in seiner ästhetischen Vielfalt Lust auf noch mehr macht. Darun­ter geht es nicht.

»Die Nibelungen«, 27., 28.10., 7., 10., 15.11., 19.30 Uhr

»Die Erscheinungen der Martha ­Rubin«, 25..11., 12 Uhr – 28.11., 24 Uhr

»Fordlandia«, 27., 28., 30., 31.10.,
8.-10., 13., 14., 16.-18.11., 19.30 Uhr