Magie der Entzauberung

Die neuen Leiter von »Impulse« Tom Stromberg und Matthias von Hartz über ihre erste Ausgabe des wichtigsten deutschsprachigen Festivals für freies Theater

StadtRevue: Was ändert sich beim Impulse-Festival unter Ihrer Leitung?

Matthias von Hartz: Hoffentlich das Gefühl und das Programm. Wir haben versucht, Termine an Wochenenden und in Städten zu bündeln und wir haben »Marathons« eingerichtet, damit man mehrere Produktionen an einem Tag sehen kann. Das geht mit einem Bus, in dem Tom Stromberg die Leute ausgiebig amüsieren wird... Wir glauben, dass so ein dichteres Festival-Erlebnis entsteht. Und mehr Spaß. Vor allem gibt es aber eine Internationalisierung des Festivals. Es bleibt das deutschsprachige Bestenfestival, aber dazu gibt es zwei internationale Stücke und neue Wege, das Fes­tival ins Ausland zu transportieren.

Kommt interessantes freies Theater heute vor allem aus Berlin?

Tom Stromberg: Nein! Die Auswahl ist erfreulich breit gefächert: Gießen, München, Wien, Zürich, Hamburg, natürlich auch Berlin.

Hartz: Man muss trotzdem sagen: Ohne den Hauptstadtkulturfonds gäbe es in Deutschland keine freie Szene. Wenn man ein bestimmtes Niveau erreichen will, ist das nur noch in einem Koproduktionsverbund möglich. Dazu gehört zwingend Berliner Geld, ob es nun vom Berliner Senat oder vom Hauptstadtkulturfond kommt. Das gibt es in Hamburg nicht, das gibt es München nicht, das gibt es in NRW nicht.

Leidet die freie Szene in Deutschland nicht immer unter Geldsorgen, weil die Mittel vor allem an Institutionen gehen?

Stromberg: Wir sehen ebenfalls, dass Institutionen mehr gefördert werden als Künstler. Deshalb wollen wir zeigen, wie in anderen Ländern produziert wird. Und dass künstlerische Arbeiten auf höchstem Niveau entstehen können, die nicht aus einer Betonburg namens Stadttheater kommen. Natürlich wollen wir nicht die freie Szene gegen das Stadttheater ausspielen. Wir treten für Kulturpolitiker ein, die Produktionszentren für freies Theater einrichten. Und Intendanten, die sich trauen, ihren Betrieb zu öffnen.

Hartz: In anderen Ländern gibt es das Wort »freie Szene« gar nicht. Dort wird einfach »Theater gemacht«. In Holland oder Belgien werden bestimmte Künstlergruppen gefördert. Das ist ein anderer Vorgang.

Wie leben freie Gruppen in Deutschland vom Theatermachen?

Hartz: Das funktioniert oft über eine Form von Kreuzsubventionierung, indem man sich selber für die freie Produktion ausbeutet und das Geld woanders verdient. Daran erkennt man, dass das Selbstverständnis von freien Gruppen anders ist. Es ist eher so wie bei bildenden Künstlern, die sich sagen: Ich mache Kunst. Und nicht: Ich bin angestellt. Es geht um eine andere Idee als die, die im Stadttheater vorherrscht. Da muss nicht Repertoire gefüllt oder im Spielplan noch ein Loch gestopft werden. Da wird Theater gemacht, weil man es unbedingt will.

Aus NRW ist 2007 kein Stück bei den Impulsen dabei. Wie kommt das?

Stromberg: Das ist Zufall. Aber natürlich fehlt zum Beispiel Köln ein Produktionshaus, so etwas wie das FFT Düsseldorf oder Kampnagel in Hamburg.

Hartz: Oder so etwas wie eine Förderstruktur, die Künstlern mittelfristig eine Arbeits- und Entwicklungsperspektive bietet.

Stromberg: Ich glaube, das weiß auch Kulturdezernent Professor Quander. In dieser Richtung wird im Moment gedacht. Nicht ohne Grund unterstützt Köln die Impulse sehr stark. Ich glaube, dass wir hier kulturpolitisch etwas bewirken können, indem wir in der Stadt eine große Eröffnungsfeier machen und etwa den Kunstverein für das Theater entdecken.

Was waren denn Ihre Auswahlkriterien?

Hartz: Auf der Webseite stand die Aufforderung an alle Gruppen, sich zu melden. Die Jury hat versucht, alles anzugucken, was in der Szene aufgetaucht ist und sich überraschen lassen. Wir hätten nie gedacht, dass wir ein Kinderstück einladen oder Puppentheater oder eine Oper. Ein wichtiges Kriterium war: mutige Projekte.

Stromberg: Plus Intelligenz und Spielfreude.

Was sind Ihre persönlichen Lieblingsstücke?

Stromberg: Der »Räuber Hotzenplotz« von Showcase Beat Le Mot. Nachdem ich das gesehen hatte, habe ich nachts alle angerufen. Ich finde das einen Meilenstein. »Räuber Hotzenplotz« deckt alle Theatermittel für Kinder so auf, dass sie Magie haben, aber gleichzeitig desillusioniert werden.

Hartz: Am überraschendsten finde ich die Gruppe Monster Truck, weil da Studenten aus Gießen kommen, die ja dafür bekannt sind, spröde zu sein. Und plötzlich machen die bildstarkes und barockes Theater. Dann sind mir natürlich Gruppen wie Das Helmi sehr ans Herz gewachsen, die einfach so, ganz anarchisch, ihr Puppentheater in die DDR-Toilette am Helmholtzplatz in Berlin gezimmert haben.

Sie haben in zwei Jahren etwa 400 Aufführungen gesehen. Kann man daraus Entwicklungen des Gegenwartstheaters ableiten?

Stromberg: Es gibt weniger den Versuch, die klassischen Theaterstücke nachzuspielen. Anstatt Stücke zu interpretieren, erfindet man sie selbst.

Hartz: Es wird viel kollektiver produziert als noch vor fünf Jahren. Und viele Gruppen setzen sich mit der Frage auseinander: Was machen wir hier eigentlich? Zum Beispiel die »Relevanz-Show« von She She Pop, die das Festival eröffnet. Sie stellt die Frage: Wie relevant ist Theater heute, und das freie Theater innerhalb des Theaters?


Theater Festival Impulse
21.11.-2.12. in Köln, Düsseldorf, Bochum, Mülheim.

Kölner Aufführungsorte: Kunstverein,
Alte Feuerwache, Schauspielhaus,
Studiobühne, Theaterhaus

21.-24.11. Festivaltanzhalle im
Kunstverein mit DJ-Abenden.



Impulse Festival:
Der Räuber Hotzenplotz
1.12., Alte Feuerwache, 15 Uhr

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