Als wir unsterblich waren

Die Liebe wird sie auseinander­reißen: In »Control« erzählt ­Fotograf Anton Corbijn das ­Leben von Joy-Divison-Sänger Ian Curtis als Ehedrama.

Wie legt man die Nacherzählung eines Lebens an, das gerade einmal 23 Jahre währte und 1980 durch eigene Hand ein abruptes Ende nahm? Dessen kurzer Ruhm zu Lebzeiten durch den Suizid als riesige Projektionsfläche für die popkulturelle Ewigkeit konserviert wurde? Die Gelegenheit erscheint günstig nach Spuren in der lebensabweisenden Lyrik des Joy-Division-Sängers Ian Curtis zu suchen, wie es bereits Kolonien seiner Fans bei der Exegese vor den Lautsprechern taten und dem Ganzen mit der Epilepsie noch die Krankheit zum Tode hinzuzufügen, ohne dabei die Tragik unglücklicher Liebe zu vernachlässigen. Regisseur Anton Corbijn hat nichts von alledem unberücksichtigt gelassen, seinen Schwerpunkt aber so entschieden auf den Liebesaspekt gesetzt, dass bei seinem ersten Kinofilm ohne weiteres von einem Ehedrama gesprochen werden darf.



In Cannes gefeiert

Corbijn stützt sich auf die Erinnerungen von Ian Curtis’ Witwe Deborah, die unter dem Titel »Touching from a Distance« erschienen sind. Dass die Ehe an seiner Geliebten Annik Honoré zerbrach, führt Deborah Curtis aus, ohne weiter auf sie einzugehen. Das aber hat Corbijn getan, der Interviews mit der Belgierin führte, die im Film von Alexandra Maria Lara gespielt wird. Diese Gewichtsverlagerung ließ Deborah Curtis, die auch als Co-Produzentin geführt wird, auf Distanz zu dem in Cannes gefeierten Ergebnis gehen.


Sam Riley spielt – und singt – einen bestürzend authentischen Ian Curtis, der keinen Vergleich scheuen muss mit den Originalaufnahmen, die hoffentlich bald auch hier in dem im Spätsommer auf dem Filmfestival von Toronto präsentierten Dokumentarfilm »Joy Division« von Grant Gee zu sehen sind. Corbijn erzählt chronologisch und in Schwarzweiß, beginnt im mit Lou Reed und David Bowie tapezierten Jugendzimmer eines Tagträumers, der nach dem explosionsartigen Erscheinen der Sex Pistols weiß, dass er eine Band und eine Bühne braucht, um leben zu können. Doch während er nachts in der aufgewühlten Szene Manchesters unterwegs ist, verlässt er morgens Reihenhaus samt Frau und Kleinkind, um einer geregelten Tätigkeit im Staatsdienst nachzugehen. Als ihm in der nächtlichen Existenz dann die neue Liebe begegnet, wird der Zerreißpunkt absehbar. »Es ist wie bei der Bibel«, sagt Corbijn, »jeder kennt das Ende«. Also müsse man sich auf die Geschichte besinnen, und seine ist die einer Zerrissenheit.



Mittelmäßige Musiker mit intensiver Wirkung

Warum gerade jetzt das Interesse an Ian Curtis und Joy Division? Zwei neue Filme seit »24 Hour Party People« (2002), dazu mit »Torn Apart« eine weitere Curtis-Biografie sowie eine Art historisch kritische Gesamtausgabe ihres Schaffens auf fünf CDs mit dem Titel »Heart & Soul«. Joy Division waren nicht die beste Band ihrer Zeit, mittelmäßige Musiker mit begrenzten Möglichkeiten, die es gerade mal auf zwei Studio-Alben brachten, »Unknown Pleasures« und »Closer«. Aber sie waren die Band mit der intensivsten Wirkung. Dazu trugen maßgeblich ihr Protegé Tony Wilson, der Cover-Designer Peter Saville sowie Martin Hannett, der als Produzent dem Existentialismus einen Sound gab, bei. Und nicht zuletzt auch der damals gerade in England angekommene junge niederländische Fotograf Anton Corbijn, zu dessen ersten Aufträgen eine Foto-Session mit der Band gehörte. In Schwarzweiß.


Alle zusammen haben eine Corporate Identity geschaffen, deren morbide Anmut in Curtis’ Selbstmord die tragische Vollendung fand. Anders als der Film legt das Buch von Deborah Curtis tatsächlich den Schluss nahe, dass ihr Mann den Suizid als Bestandteil jenes Ruhms vorgesehen hatte, den er wollte. Die gegenwärtige Faszination für Joy Divison lässt sich natürlich auch auf das mittlerweile schon seit mehreren Jahren andauernde Post-Punk-Revival zurückführen – unzählige junge Bands klingen heute nicht viel anders als Ian Curtis’ Band vor 25 Jahren. Zwei Punkte können zur Erklärung hinzukommen. Die Band hatte keine Gelegenheit – auch nicht die Zeit – sich zu korrumpieren. Keine abgeschmackten Rockstarposen, kein erbärmliches Comeback wie bei den Sex Pistols, keine verlogenen Allianzen. Die zeitlose Ästhetik der wenigen Fotografien und der solitäre Sound ihrer Songs lassen keine Verwertung unter der Etikette »Retro« zu. Somit fällt die Besinnung auf Joy Division leichter, wenn die überlebenden Musiker und ihre Fans nun an einen Punkt kommen, an dem sich biographische Bestandsaufnahmen und Rückblicke auf die Zeit, »als wir unsterblich waren« (Tony Parsons) mehren – sie geben keinen Anlass zur Scham.


Control (dto) GB/USA 07,
R: Anton Corbijn, D: Sam Riley,
Samantha Morton, Craig Parkinson,
121 Min. Start: 10.1.


Post-Punk bei Pop am Rhein

Den Schockwirkungen der Punk-Explosion kann man im Januar auf Kölner Leinwänden nicht nur in »Control« nachspüren. Wobei die subkulturellen Erschütterungen – man muss es zu­geben – in Düsseldorf deutlicher zu ­spüren waren als in Köln. Das Programm »Punk Explosion, Part II« (3.1.) im Rahmen von »Pop am Rhein« ­präsentiert drei kurze Filme, die sich ­alle mit der Endsiebziger-Szene rund um den dortigen Ratinger Hof beschäftigen. »Finger für Deutschland« etwa zeigt Ausschnitte aus dem gleich­namigen Festivals aus dem Jahr 1980, ­in dem neben Mitgliedern von Mittagspause und den Fehlfarben auch Martin Kippenberger eine denkwürdige ­Performance abliefert.


Doch es geht nicht nur um den Post-Punk: Jeden Donnerstag wird bis Anfang Februar im Filmforum NRW eine Szene bzw. Epoche des popkulturellen Untergrunds am Rhein aufgearbeitet, von den späten 60ern bis zur Techno-Szene Kölns in den 90er Jahren. (Sven von Reden)



Filmprogramm »Pop am Rhein«:
immer donnerstags, 20 Uhr,
Filmforum NRW im Museum Ludwig.