Evolution geht immer nach oben

Das Neandertal liegt nicht gerade abgelegen: Düsseldorf im Westen Wuppertal im Osten sind keine zehn Kilometer entfernt, Köln und Essen liegen eigentlich auch in unmittelbarer Nachbarschaft. Trotzdem merkt man es dem Tälchen nicht an, dass es inmitten eines der größten Ballungsräume Europas liegt. Hier weht kein Hauch von Urbanität. Vielleicht liegt das daran, dass keine Autobahn die Gegend durchquert. Allein eine enge und kurvenreiche Straße von Erkrath nach Mettmann schneidet das Tal. Trotzdem ist es gut zu finden. Am besten, Sie nehmen von Köln irgendeine der Regionalbahnen, die halbstündlich nach Wuppertal fahren. Nach 25 Minuten Fahrt steigen Sie in Gruiten aus, verlassen den Bahnhof auf der Seite, an der das Bahnhofsbistro steht, halten sich scharf links und kommen dann auf einen völlig überdimensionierten Parkplatz. Augen zu und durch, immer an den Gleisen entlang. Nach fünf bis zehn Minuten Fußmarsch gibt es die ersten Abzweigungen. Man kann die eine nehmen, oder die andere, sie führen immer ins Tal. Der Weg ist schrecklich einfach. Runter ins Tal, weiter geradeaus, immer den Schildern nach. Am Ende werden Sie Gelegenheit haben, zweimal Kaffee zu trinken.

Auerochsen im Düsseltal

Der ganze Spaziergang ist natürlich anspruchsvoller. Zunächst: das Tal ist nicht das Neandertal. Es ist das Düsseltal. Kurz bevor sich die Düssel in ihr Delta ergießt, zwängt sie sich ein paar Kilometer durch die ersten Anhöhen des Bergischen Landes. Diese Strecke werden Sie gehen. Sie werden ein paar merkwürdig hingerotzte Privathäuser sehen (vermutlich wilde Bauten aus den 60er und 70er Jahren), Sie dürfen auf keinen Fall die Kneipe »Zum Kühlen Grund« (was für ein verheißungsvoller Name) verpassen, mindestens eine historische Mühle liegt auf dem Weg und es gibt ein großes Gehege mit Auerochsen (Spezialzüchtungen! Die Tiere dürfte es nach der soundsovielten Eiszeit eigentlich gar nicht mehr geben). Das alles ist sehr hübsch, es strengt nicht an, auch wenn man schon zwei Stunden unterwegs ist, und um einen herum gibt es nur andere entspannte Spaziergänger. Nur, im Neandertal ist man dann immer noch nicht angekommen. Es fängt erst an, wenn Ihre Tour beendet ist.

Johannes Neander: Singen in der Grotte

Das Neandertal, das weltberühmte, ist ganze 800 Meter lang. Die Düssel grub sich hier durch eine Kalkbank, 50 Meter hoch ist die Schlucht. Für diese Gegend ist das eine Menge. In der Schlucht, bis vor 150 Jahren noch Hundsklipp genannt, befanden sich zahlreiche Grotten. Seinen heutigen Namen erhielt das Tal durch den Geistlichen Johannes Neander, der sich hier zwischen 1674 und 1679 zu Liedern und Gesängen inspirieren lies. Die Knochen des merkwürdigen Evolutionsirrläufers Neandertaler wurden 1856 in der Feldhofer Grotte gefunden.
Die Sache liegt aber noch komplizierter: Das Neandertal heute hat nur noch wenig mit dem vor 150 Jahren gemein. Seit 1841 wurde hier Kalk abgebaut; unzählige Kubiktonnen wurden bis 1945 gesprengt und abgetragen. Die Knochenfundstätte wurde schlichtweg pulverisiert. Deshalb markiert das Ende des Ausflugs auch nicht das Tal, sondern das Neandertalmuseum. Danach kommt nur noch die Straße.
Seit 1996 ist das Museum in einem Neubau untergebracht, der so elegant und futuristisch designt ist, nämlich wie ein Kästchen für Schmuck aus dem 22. Jahrhundert, dass sogar die StadtRevue über die Eröffnung berichtete. Man erwartet im Museumsinneren härteste Didaktik (man bekommt sie auch), und stärkt sich vorher in einem der zahlreichen Ausflugslokale mit ber-gischen Waffeln und zimtigem Milchreis. Ausflugslokalwirte sind Tough Guys, das mal zur Warnung.

Gipfel der Evolution: Kaffee und Kuchen?

Im Museum geht es stetig aufwärts. Sie gehen einen einzigen Weg, der sich spiralenförmig nach oben schraubt, und wir ahnen: Das hier ist die Evolution der Menschheit. Es geht immer aufwärts. Die Dauerausstellung (Thema: »Die Evolution der Menschheit«) ist von so unerschütterlichem Old-School-Humanismus durchtränkt, dass selbst der Autor seinen Weltschmerz nicht so ernst genommen hat. Und erst die Pointe! Am Ende der Spirale, an ihrem höchsten Punkt kommt ein Café. Der Gipfelpunkt der Evolution ist ein Café mit urbaner Kuchenauswahl und schöner Aussichtsterrasse! Darauf dann den zweiten Kaffee.