Der provozierende Purist

Der umstrittene Regisseur Laurent Chétouane inszeniert am Kölner Schauspiel

Eigentlich wollte Laurent Chétouane Ingenieur werden. Dann brachte den Franzosen eine Bochumer Heiner-Müller-Urauffüh­rung so durcheinander, dass er einen Job absagte, um nach Deutschland ans Theater zu gehen. Seit er am Hamburger Schau­spielhaus seine ersten Stücke insze­nierte, gehört er hierzulande zu den wichtigsten Regisseuren. Seine spröden, puristischen, text­intensi­ven Arbeiten stürzen Sehgewohnheiten um, befragen das Verhältnis von Zuschauer und Schauspieler, erscheinen viel zu lang. Wenn man sich auf sie eingelassen hat, wirken sie umso intensiver und nachhaltiger. Intendantin Karin Beier will Chétouane am Kölner Schauspiel regelmäßig inszenieren lassen. Den Anfang machen sein »Hamlet«-Solo mit dem Schauspieler Fabian Hinrichs und der Brecht-Hölderlin-Abend »Empedokles/Fatzer«.

StadtRevue: In Frankreich sind Sie kaum bekannt, in Deutschland sehr. Was fasziniert Sie am deutschen Theater?

Laurent Chétouane: Es ist nicht das deutsche Theater, das mich fasziniert, sondern deutsche Sprache auf der Bühne. Das Deutsche fließt nicht. Man kann die Wörter wie Perlen aufreihen und kombinieren. Vielleicht passt diese Bastelei ja zu der Ingenieursseite in mir. Ich habe mit Heiner Müller Deutsch gelernt. Ich habe ihn Wort für Wort übersetzt.

Viele Kritiker werfen Ihnen gleichwohl vor, Ihre Art Regie zu führen, sei »französisch« und textlastig.

Ich habe nie in Frankreich Theater gemacht. Meine Sozialisierung im Theater ist total deutsch. Aber natürlich spielen kulturelle Unter­schiede eine Rolle. Wenn ich deu­t­sche und französische Schauspieler vergleiche, finde ich die Bewegungen der Deutschen viel berechenbarer, übertrieben psychologisiert. Das ist oft langweilig. Eine Ausnahme ist Fabian Hinrichs. Der Körper von Fabian ist ihm immer wunderschön im Weg. Wer meine Arbeit textlastig nennt, übersieht völlig die Rolle des Körpers in meinem Theater. Dabei ist es der Körper des Schauspielers, der die Emotionen produziert! Die ganze Theatermaschinerie, die mit Psychologie arbeitet, finde ich schlimm. Ich gehe davon aus, dass das Zentrum der Bühne nicht der Schauspieler ist, der vorgibt, etwas zu fühlen, sondern die Interaktion der Körper mit dem Raum und den Zuschauern.

Mit Fabian Hinrichs haben Sie auch »Hamlet« adaptiert. Was hat Sie an dem Stoff interessiert?

Die Ratlosigkeit von Hamlet. Die ist mir sehr nah. Da ist jemand, der mit der Widersprüchlichkeit der menschlichen Existenz überhaupt nicht klarkommt. Wir haben uns immer gefragt: Wie kann man der Tragödie entgegenwirken? Muss es in diesem Blutbad enden? Wo sind Hamlets Fehler, wo ist er zu blöd? Warum stolpert er derart über seine Mutter? Wir versuchen, die dunklen Zonen dieser Figur zu verstehen.

Sie arbeiten oft mit nur einem Schauspieler. Warum diese kleine Form?

Die Frage beschäftigt mich zur Zeit sehr. Wie situiert sich der Solo-Performer vor dem Zuschauer? Wie Hamlet sich zu den anderen Figuren? Wie konstruiert man einen Raum durch Sprache, wie positioniert sich ein Körper im Raum, in dem ein Text gesprochen wird? Kann man mit drei Menschen auch diese Spannung erzeugen? Die kleine Form ermöglicht es, sehr konzentriert an so etwas zu arbeiten. Auch bei Hölderlin und Brecht sind wir nur drei Männer und eine Tänzerin – eine Tänzerin deshalb, weil ich nicht ertragen kann, wie Brecht mit Frauen umging und eine Frau wollte, die etwas dagegen setzt.

Hölderlin und Brecht: Wie kommt so eine gegensätzliche Kombination überhaupt zustande?

Vielleicht sind sie sich viel näher, als man glaubt. Hölderlin ist einer der größten deutschen Dichter, aber im Theater kommt er kaum vor. Es gibt außer Büchner kaum einen Autor, der mich so berührt und blockiert. Ich war immer unsi­cher, ob ich das inszenieren kann. Dann kam ich auf die »Fatzer«-Frag­mente von Brecht. Weil es auch ein gescheitertes Stück ist. Es sind zwei extreme Außenseiter-Posi­tionen: Fatzer provoziert das Au­ßenseitertum bewusst, Empe­­do­­kles wurde ausgestoßen. Ich finde es auch sehr schön, den »Empedokles« als Lehrstück für unsere Generation zu nehmen. Was passiert, wenn man seine idealisierten Vorstellungen von Natur heute aus­stellt? Die Brecht-Brille ermög­licht es, eine Distanz zu haben und zu fragen: Inwie­fern ist der höchste Materialismus dem hö­chs­ten Idealismus nah? Ein Freund hat mich darauf hin­-ge­wiesen, dass auch Walter Benjamin darüber spricht: Dass man zu Brecht muss über Hölderlin. Das hat mich bestätigt in meiner Intuition.

Es eilt Ihnen der Ruf voraus, anstrengen zu wollen.

Es geht nicht um anstrengend oder nicht. Es geht um relevant oder nicht, eine relevante Arbeit kann anstrengend sein. Wenn man nicht mal akzeptiert, dass eine Arbeit anstrengend ist, dann sind die Zeiten schlimm. In München fordern Kritiker, dass man mir verbieten soll, zu inszenieren – das ist gefährlich.

Woran, glauben Sie, stören sich die Leute?

Ich arbeite sehr bewusst mit dem Blick der Zuschauer, das spaltet sie. Viele Leute ertragen es nicht, so von den Darstellern angeschaut zu werden. Das Objekt, das man anschaut, blickt auf einmal zurück – unverschämt. Es ist fast so, als würde die Frau den Mann, mit dem sie schläft, die ganze Zeit ansehen. Unvorstellbar! (lacht) Für mich ist es eine kleine Revolution: der Aufstand der Zeichen. Da wird plötzlich die Zuschauerposition gebrochen. Du kommst zu uns zu einer Aufführung, du hast gezahlt, aber du hast dir nur ein Recht gekauft, dabei zuzuschauen, was wir machen. Du hast dir nicht das Recht gekauft zu kriegen, was du sowieso schon weißt. Wenn Theater das nicht mehr ertragen kann, dann ist es tief gesunken.

Info
»Ich bin Hamlet«, Halle Kalk,
26. (P), 27.1., 10., 12.2., 19.30 Uhr
»Empedokles/Fatzer«, Schauspielhaus, 22., 26., 27.2., 19.30 Uhr