Foto: Manfred Wegener

Preußische Tugenden

Sorgfalt, Fleiß und Höflichkeit – erstmals seit dreißig ­Jahren haben Schüler in NRW wieder Kopf­noten

bekommen. Insgesamt sechs Bewertungen sollen laut

Beschluss der Landes­regierung das Arbeits- und

Sozialverhalten jedes Schülers auf dem Zeugnis

abbilden. Dagegen regt sich Widerstand: Die Landesschülervertretung hält die Kopf­noten für kontrapro­duktiv und demonstrierte dagegen am 19. ­Januar in

Düsseldorf. Die Lehrer­gewerk­schaft GEW kritisiert

die ­neuen ­Noten als »pädagogischen Unsinn«.

Pro
Heinz Kampermann, 55, ist Schulleiter der Thomas-Edison-Realschule in Düssel­dorf. Der gebürtige Kölner findet Kopf­noten »spannend«

Schon bevor die erste Kopf­note geschrieben wurde, zerbrachen sich viele den Kopf. Die Lehrerschaft klagte wieder einmal über Mehrarbeit, die Schüler befürchteten aufziehendes Unheil.

Dabei fordern Eltern- und Arbeitgeberverbände, Handwerks- und Handelskammern seit langem eine Rückmeldung dar­über, wie Schüler menschlich in der Schule eingeschätzt werden. Ist das verwerflich? Ich finde: Je aussagekräftiger die Zeugnisse sind, desto besser.

Schüler, die mit einer gesunden Portion Leistungswillen und Respekt vor ihren Mitmenschen die Schule besuchen, können gegen die Beurteilung ihres Arbeits- und Sozialverhaltens nichts haben. Warum auch? Ihnen wird attestiert, dass sie neben fachlichen Qualitäten auch menschliche Eigenschaften besitzen. Und kommt das Menschliche in unserem von wirtschaftlichen Zwängen geprägten Alltag nicht sowieso zu kurz? Heute zählt mehr als Fachidiotie: soziale Kompetenz zum Beispiel – also Engagement, Einfühlungsvermögen und Hilfsbereitschaft. Werte, die den Lebensweg entscheidend bestimmen.

Junge Menschen bestehen schließlich aus weit mehr als aus dem, was sie fachlich in der Schule leisten. Deshalb finde ich die neuen Kopfnoten erst einmal spannend. Vielleicht bringen sie frischen Wind in das erstarrte bürokratische System Schule? Ein erfahrener Fachmann für Personalrekrutierung hat einmal gesagt: »Wir werden eingestellt auf Grund unserer guten fachlichen Zeugnisse. Gefeuert aber werden wir wegen unserer mensch­lichen Defizite.« Es reicht nicht, wenn ich den Satz des Pythagoras beherrsche. Ich muss ihn meinen Mitschülern auch erklären können und wollen. Dass dadurch zusätzlicher Leistungsdruck entsteht, vermag ich nicht zu erkennen.

Contra
Lars Repp, 19, ist Abiturient des Deutzer Thusnelda-Gymnasiums und Sprecher der Bezirksschülervertretung Köln. Er will sich von seinen Lehrern nicht psycho­logisch begutachten lassen

Hallo ich bin Lars, und habe sechs Mal die Kopfnote »sehr gut« auf dem Zeugnis. Das ist meine Persönlichkeit, schön Sie kennen zu lernen! Unsere Lehrer in Nord-rhein-Westfalen sind überlastet – und mussten trotzdem gerade über zwölf Millionen Kopfnoten an ihre Schüler verteilen. Lehrer, die dafür nicht ausgebildet sind, werden zu unseren ersten »psychologischen Gut­achtern« und bescheinigen uns Persönlichkeiten. Hier weist kein Amtsrichter eine fachliche Untersuchung an, sondern das Schulministerium eine fachlich fehlerhafte.

Wie soll bei immer noch vorhandenem Frontalunterricht Team­fähigkeit beurteilt werden? Wie kann eine Lehrerin bei einer Klassenstärke von 30 Schülern Selbstständigkeit gerecht bewerten? Ich glaube nicht, dass Persönlichkeiten in der Schule durch Kopfnoten objektiv bewertbar sind, und wie erwartet zeigt sich in den Zeugnissen eine absolute Subjektivität. Das ist nur logisch: Schließlich ist das Verhalten eines Schülers nicht auf jene 30 Stunden in der Woche verteilt, die vom Lehrer wahrgenommen werden können. Das Verhalten zu Hause, der Umgang mit Freunden, außer­schulisches Engagement – all das fällt unter den Tisch.

Trotzdem werden sich viele freuen: »Endlich« haben wir in Problemschulen wieder ein Disziplinierungsmittel. Dass dieses so unfair wie subjektiv ist und zu Schubladendenken führt, ficht die Befürworter nicht an. Willkommen in einem immer reaktionäreren Schulsystem! Auf die Forderung der Wirtschaft nach Kopfnoten hätte die Schule niemals eingehen sollen, denn sie ist Lernort fürs Leben – und nicht Selektionsort für Arbeitgeber.

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