Foto: Manfred Wegener

»Klüngel ist demokratiefördernd«

Der Politologe Frank Überall hat den Kölner Klüngel wissenschaftlich untersucht.

Ein Interview über Vetternwirtschaft, Vorurteile und die Verharmlosung eines Begriffs

 

StadtRevue: Herr Überall, ist Vetternwirtschaft in einer Demokratie manchmal erwünscht?

Frank Überall: Vettern sind ja erst mal Verwandte, und wenn Verwandte zusammenarbeiten, ist das prinzipiell nichts Schlech­tes. Demokratie kann ohne eine Form von Kooperation nicht funktionieren, sonst gäbe es keine Kompromisse. Meine These ist, dass der Aspekt der Kooperation in der Klüngel-Forschung bislang viel zu kurz gekommen ist. Soziologen haben Klüngel oft einfach mit Korruption gleichgesetzt. In dem Begriff steckt aber mehr – und Formen des Klüngels sind in der Politik positiv und notwendig.

Geben Sie doch mal ein Beispiel für die positive Variante.

Bei der Verlegung des Kölner Stra­ßenstrichs hat man es geschafft, alle beteiligten Gruppen – die Prostituierten, die Verbände, die Polizei – an einen Tisch zu bekommen und erst mal hinter verschlossenen Türen miteinander zu reden. Diese Klüngelei im Vorfeld hat viel dazu beigetragen, zu einer guten Lösung zu kommen. Das zeigt: Es muss nicht alles von allen diskutiert werden. In der Demokratie gilt die Mehrheitsentscheidung, aber es gibt immer eine kleine Minderheit, die eine Sache ins Rollen bringt.

Eine These in Ihrem Buch ist: »Klüngel kann sogar die Demokratie fördern, indem er die Schwelle zur Beteiligung herabsetzt.« Wie darf man das verstehen?

Das bedeutet, dass durch Klüngel mehr Menschen die Möglichkeit haben, an Politik teilzunehmen. In einer fast dörflich strukturierten Stadt wie Köln kommt man schnell in Kontakt mit jemandem, der jemanden kennt, der im Stadtrat sitzt – oder in einer Partei oder Bürgerinitiative aktiv ist. Nicht jeder geht direkt ins Rathaus, um einen kommunalpolitischen Vorschlag zu machen. Man kennt das »niedrigschwellige Angebot« aus der Drogenhilfe: Jemand, der in eine offizielle Einrichtung niemals reingehen würde, ist durch Streetworker eher zu erreichen. So verstandener Klüngel ist demokratiefördernd.

Warum ist Klüngel denn gerade in Köln immer wieder Thema?

Kungeleien sind kein rein kölsches Phänomen, die Kölner haben nur einen Begriff dafür gefunden. Außerdem haben sie im Laufe ihrer wechselvollen Stadtgeschichte viel Erfahrung darin gesammelt, sich gegen Obrigkeiten aufzulehnen und mit Regeln locker umzugehen. Das trägt dazu bei, dass der Kölner mit dem Klüngel etwas offener verfährt als andere. Aber eine informelle Ebene der Politik gibt es fast überall.

Ein Klüngel-Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist der Neubau der Messehallen. Warum ist das für Sie negativer Klüngel?

Weil dort hinter verschlossenen Türen und durch produzierten Zeitdruck Entscheidungen vorbe­reitet wurden, die nicht transparent waren. Viele Ratsmitglieder haben damals gar nicht gewusst, worüber sie abgestimmt haben. Wer hat denn in den Vertrag mit der Oppenheim-Esch-Holding mal reingeschaut? Wer hat ihn überhaupt verstanden? Wenn Fritz Schramma, gegen den ja ermittelt wurde, keine Sanktionen befürchten musste, liegt das auch daran, dass selbst er möglicherweise die Tragweite dieser Entscheidung nicht ganz erfasst hat.

Der Korruptionsforscher Peter von Blomberg hat über den Skandal um die Messehallen gesagt: »Köln hat keinerlei Grund, auf den Klüngel stolz zu sein. In dem Begriff schwingt vielmehr eine Tendenz zur Verharm­losung mit.« (StadtRevue 04/06) Liegt in der Verniedlichung nicht gerade die Gefahr?

In der Tat muss man aufpassen, dass man Korruption nicht verniedlicht. Die Gefahr liegt darin, dass für jeden Korruption auf einer anderen Stufe anfängt. Man wird ja nicht von heute auf morgen bestechlich, das hat eine Geschichte. Das Bundeskriminalamt spricht von »Anfütterung« – man könnte es auch Klüngel nennen. Es gibt eine Grauzone zwischen den Polen Kooperation und Korruption.

Haben wir zu schlechte Gesetze, die diesen Graubereich nicht fassen können?

Daran liegt es nicht. Auch das, was gesetzlich geregelt ist, ist oft umstritten. Es wird auch der Rea­lität nicht gerecht, alles regeln zu wollen. Insofern ist es Sache der Justiz, jeden Einzelfall zu prüfen. Demokratie ist manchmal anstrengend.

Zur Person
Dr. Frank Überall, 37, arbeitet als Polito­loge und Journalist (u.a. WDR, StadtRevue) in Köln. Gerade erschien seine Doktorarbeit »Der Klüngel in der politischen Kultur Kölns« (Bouvier Verlag, Bonn 2007, 271 S., 19,90 €).
Lesungen
Do 14. 2., 20 Uhr, Alte Feuerwache. Gäste: Jörg Frank (Grüne), Axel Kaske (SPD)
Fr 15. 2., 19.30 Uhr, Friedensbildungswerk. Gäste: Rainer Zinkel (KIMM), Thorsten Sterk (Verein »Mehr Demokratie« NRW)
Di 26. 2., 19.30 Uhr, Der Andere Buch­laden (Weyertal), veranstaltet vom ­»Forum Politik Köln«