Foto: Manfred Wegener

Interview zur Stammzellforschung

Nach der Entscheidung des Bundestages, den Import humaner embryonaler Stammzellen zu erlauben: Ein Gespräch mit dem Mediziner Heribert Bohlen von der Uni Köln über die Unterschiede der Forschung an embryonalen und adulten Stammzellen und über bioethische Debatten

In diesen Tagen wird viel über embryonale Stammzellen gesprochen. Kommt man sich da als jemand, der an adulten Stammzellen forscht, nicht total unzeitgemäß vor?

Nein. Eher zeitgemäß, denn im Augenblick stehen ausschließlich die adulten Stammzellen in ausreichender Menge zur Verfügung. Außerdem forscht man seit über 15 Jahren an ihnen. Der Wissensvorsprung gegenüber der Forschung an embryonalen Stammzellen ist extrem groß.

Was sind adulte Stammzellen genau?

Im Unterschied zu embryonalen Stammzellen können adulte nur noch eng umrissene Aufgaben erledigen. Die embryonalen Zellen können sich stufenweise in ganz unterschiedliche Zellarten ausdifferenzieren, in Muskelzellen, Hautzellen oder Darmzellen. Dort finden sich die sogenannten adulten Stammzellen. Wir versuchen diese adulten Stammzellen wieder soweit zu dedifferenzieren, dass daraus erneut alle Zellarten entstehen können. Genau genommen, versuchen wir sie in das 32-Zellstadium der menschlichen Entwicklung zurückzuversetzen. Das Problem ist, wir können auch im 4-Zellstadium landen. Dann könnte theoretisch ein Mensch entstehen.

Wie funktioniert die Dedifferenzierung?

Das können wir im Moment nur bei der Maus machen. Wir verraten aber nicht wie, weil das im Moment außer uns kaum einer kann.

Wie weit sind Sie in der Forschung?

Wir sind zurzeit nur in der Lage Blutstammzellen zu isolieren, also Zellen, die zu Knochenmark werden. Das tun wir, wenn jemand an Leukämie erkrankt ist. Nach einer Chemotherapie injiziert man die Stammzellen wieder. Ist das Knochenmark schon befallen, muss man auf die Stammzellen eines fremden Spenders zurückgreifen – und hat das Problem der Abstoßungsreaktion: Das Immunsystem des Spenders agiert gegen den Körper des Empfängers. Das ist übrigens auch das Problem bei der Therapie mit embryonalen Stammzellen.

Weil die immer von einem fremden Spender stammen ...

... wenn es sich nicht um therapeutisches Klonen handelt.

Wäre das ein Argument für das therapeutische Klonen (d.h., das Erbgut des Patienten wird in eine entkernte Spenderzelle transferiert)?

Wäre es. Aber, das therapeutische Klonen ist zu teuer. Bevor Sie damit anfangen, müssen Sie sicher sein, dass es einen volkswirtschaftlichen Nutzen hat. Vorher müssen große Studien gelaufen sein. Dann müssen zumindest ein Wissenschaftler und zwei, drei technische Assisten für jeden Patienten ein halbes Jahr lang eine Zelllinie entwickeln. Man muss den Kern transferieren, man muss schauen, ob diese Zelle tut, was man will. Man muss sie vermehren ... und dann einbauen. Wobei gänzlich unklar ist, wie die Qualitätssicherung aussehen könnte.

An Tieren ist der Kerntransfer schon vollzogen worden.

Ja, aber Sie gehen in den Körper und erlauben der Zelle dort alles zu machen. Da müssen Sie sicher stellen, dass Sie nur das macht, was Sie wollen.

Kann man das sicherstellen?

Theoretisch gibt es da viele Möglichkeiten. Nehmen wir an, Sie wollen mit Stammzellen ein Stück Herz implantieren. Diese Zellen können auch Haut herstellen. Im schlimmsten Fall tut das eine von der einen Million, die Sie implantiert haben. Deshalb denkt man darüber nach, Selbstmord-Gene einzubauen. Bei Kontakt mit bestimmten Substanzen schalten sich diese Zellen komplett ab. Dann praktiziert man aber schon Gentherapie.

Sind das Argumente für die adulte Stammzellforschung?

Nein, Argumente für eine ehrliche Debatte. Niemand kann sagen, ob es vernünftig ist, ausschließlich mit den adulten Stammzellen weiterzuforschen. Wir wissen noch nicht, ob wir sie immer zielgenau dedifferenzieren können. Die Forscher an embryonalen Stammzellen wissen noch nicht, ob sie diese sicher transplantieren können. In fünf Jahren weiß man vielleicht mehr. Letztlich, glaube ich, macht aber nur eine Therapie das Rennen: one syringe, one product. Man versucht, die Stammzellen im Körper so zu manipulieren, dass sie dort das machen, was man will.

Sie argumentieren als Wissenschaftler. Können Sie
verstehen, dass Ethiker an der Unverfügbarkeit des menschlichen Körpers festhalten wollen?


Das kann ich extrem gut nachvollziehen. Eine ethische Diskussion müsste allerdings umfassend geführt werden. Dazu müsste man sich auf wichtige Eckpunkte einigen. Einer wäre: der Mensch entsteht aus der Verschmelzung der Ei- und der Samenzelle und nicht erst am 40. Tag durch göttliche Einhauchung. Eine ethische Debatte müsste aber auch die Frage beantworten, ob es Sinn macht eine Abtreibung in Kauf zu nehmen, wenn man sie mit der Präimplantationsdiagnostik hätte vermeiden können.