Herzblut statt Schweiß

Testosteron-Soul, Ringkampf, die Band als verschworene ­Gemeinschaft: Hot Chip stellen Jungsrituale auf den Kopf

 

Im System Pop funktioniert selbst das mäßig aufregende Alltagsgeschäft als ein ständiger Kampf mit Widersprüchen. Heute ist das Match »inhaltliche Ansprüche vs. leidige Rahmenbedingungen« angesetzt. Für Alexis Taylor im Augenblick ein geradezu existenzieller Kampf. Von der PR-Maschinerie regelrecht in die Mangel genommen, denkt der für seine sanfte Stimme geschätzte Sänger der Band Hot Chip für einen kur­zen Moment daran, das Handtuch zu werfen: »Ich verliere hier gleich den Verstand«, flüstert Taylor nach einem zweitägigen Interviewmarathon mit angeschlagener Stimme und entschuldigt sich im vorhinein für den inkohärenten Blödsinn, den er even­tuell von sich geben werde: »Mir kommt es vor, dass ich dauernd nur dieselben Phrasen benutze. Ich habe gar keine Kontrolle mehr über das, was ich sage. Ich bin wie ein Roboter.«

Mit einer solchen Roboter-Werdung wären Alexis Taylor und Hot Chip da angelangt, wo sie erklärtermaßen nicht hinwollen: in einem Popbusiness voll perfekt designter, ferngelenkter Marionetten. Ihr Anspruch dagegen lautet, Hits mit, Tatsache, dem Faktor Menschlichkeit und echt empfundenen Gefühlen aufzuladen, was zwei Alben über großartig geklappt hat. Zum Glück machen Taylor und sein Bandkollege Owen Clarke auch beim soundsovielten Interview des Tages am Ende doch noch einen einigermaßen souveränen Eindruck.

Das Bild, eine ebenso geniali­sche wie selbstbestimmte Band zu sein, die Indie-Schluffigkeit mit Club­­erfahrung und dem Poten­zial zur Erstürmung der Charts zu­sammenbringt, ist auch nach dem kommerziellen Erfolg von »The Warning« (2006) und den entsprechend hochgeschraubten Erwartungen an ihr drittes Album noch überzeugend. Die Jungs kommen einfach authentisch ­rüber. So nerdig und androgyn hat sich eine Hand voll Jungs mit dem Willen zum Popstar lange nicht präsentiert. Die Auszeichnung und die Bürde, gerade das heiße Ding zu sein, werden die fünf Londoner Musiker bestimmt noch ein Weilchen zu tragen haben.

Denn da, wo Hot Chip derzeit sind, strahlt das Spotlight des medialen Konsenses – von wegen Dunkelheit, wie der Titel des neuen Albums »Made In The Dark« suggeriert! Dieser Konsens ist so einfach wie schwierig zu erklären. Einfach, weil das Phänomen Hot Chip ein bisschen wie ein Gemischtwarenladen wirkt, in dem die unterschiedlichsten Bedürfnisse bedient werden: ­Melodie und Bassdrum, Funk und Folk, Humor und Intelligenz. Und schwierig aus genau dem gleichen Grund: Weil nämlich der Wille, sich zwischen alle Stühle – oder im Fall von Hot Chip: auf alle Stühle gleichzeitig zu setzen, oft ganz schön ange­strengt wirkt
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Darauf angesprochen, kann Keyboarder und Gitarrist Clarke im PR-Marathon gerade noch die letzten Reserven mobilisieren. »Wir haben versucht, nicht so sehr darüber nachzudenken, wovon die einzelnen Songs beeinflusst sind und wie sie am Ende klingen werden«, erklärt er den großartig bunten Eklektizismus des neuen Albums. »Das ist einer der Gründe, warum das Album ›Made In The Dark‹ heißt. Wir wollten eine Arbeitsweise finden, mit der wir eigentlich alles ausprobieren können, anstatt immer bewusst zu überlegen: Bringen wir das jetzt in diese oder in jene Richtung? Wir haben den Stücken erlaubt, sich auf eine gewisse Weise selbst zu erschaffen.« Der Widerstreit der so zahlreichen wie unterschiedlichen Einflüsse wurde direkt in die Musik hineingelegt. Diese Erklärung klingt fast so nonchalant wie die Songs, ist aber wohl eher Ausdruck eines übertriebenen Understatements.

Bisher waren Hot Chip – zumindest abseits der Bühne – eine Zwei-Mann-Show: Taylor und sein alter Schulfreund Joe Goddard haben die ersten beiden Alben mehr oder weniger im Alleingang geschrieben und aufgenommen, und zwar zu Hause. Die weiteren drei Mitglieder wurden zunächst für die Live-Umsetzung engagiert, haben diesmal aber ­wesentlich zum Songwriting beigetragen. Was das Schillern der zugrunde liegenden Einflüsse natürlich abermals verstärkt. R’n’B und HipHop, verquere Pop-Avant­garde, Minimal Techno, ­Indie-Rock, Folk, Soul – die Liste könnte fast beliebig erweitert werden.

Der Ringkampf wird als Analogie für die Arbeitsweisen von Hot Chip inzwischen fast überstrapaziert. Doch die Band läutet mit dem Stück »Wrestlers« eine weitere Runde im Metaphern-Fight ein: »Das Lied ist eine Ode an American Wrestling«, erklärt Taylor mit schwindender Kraft und todernster Miene. Wenn aber Typen wie Hot Chip eine Ode ans Wrestling schreiben, die noch dazu vom Testosteron-Soul eines R. Kelly inspiriert ist, dann steht sie natürlich unter besonderen Vorzeichen. Es fließt kein Schweiß, sondern Herzblut. Der Kampf Mann gegen Mann wird zur Nerd-Hymne der Selbstermächtigung – und endet trotzdem mit einer amourösen Niederlage. Die wahre Stärke liegt darin, aus einer solchen Niederlage einen großen Song zu machen, mit Zeilen und Melodiebögen, an die sich noch der verschüchtertste Jüngling voll Vertrauen anschmiegen kann.
Schöner als Hot Chip hat viel­leicht niemand zuvor den Moment besungen, in dem das Handtuch in den Ring flattert.


StadtRevue präsentiert
Tonträger: »Made In The Dark« (EMI), bereits erschienen

Verlosung
Konzert: Di 11.3. Gloria, 20 Uhr
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