Die Welt braucht mehr Interaktion

Inmitten einer digitalen Welt ist die Kleinstadt Passaic in New Jersey eine Art Zentrum für analoge Kultur. Hier leiht man sich seine Filme noch auf VHS-Kassetten aus und Gemeinschaftlichkeit und Nächstenliebe zählen noch etwas. In der Videothek »Be Kind, Rewind« von Mr. Fletcher (Danny Glover) spielt der neue Film von Michel Gondry (»The Science of Sleep«). Der 44-jährige Franzose versammelt dort einen Videothek-Mitarbeiter (Mos Def), einen Dorfverrückten (Jack Black) und eine junge Frau (Melonie Diaz) und lässt sie ihre Lieblingsfilme von »Ghostbusters« bis »2001« auf Analogvideo nachdrehen. Innerhalb kürzester Zeit sind die Bänder heiße Ware auf den Straßen Passaics und die drei ziehen ein Geschäft mit den, wie sie es nennen, »geschwedeten« Fassungen bekannter Filme auf.
»Abgedreht« war der Abschlussfilm des Wettbewerbs der diesjährigen Berlinale. An einem Februartag hockt Michel Gondry in Trainingsweste im Hilton-Hotel am Potsdamer Platz und beschäftigt sich mit einem Rubik-Würfel.

StadtRevue: In einem Internetkurzfilm von Ihnen lösen Sie einen Rubik-Würfel mit ihren Füßen, allerdings mit einem kleinen Trick.

Michel Gondry: Ja, aber ich habe den Film aus dem Netz genommen, weil ich ständig beleidigt worden bin. Die haben geglaubt, dass ich damit angeben wollte. Das ist dann fünf Minuten lang lustig. Aber wenn man 2000 Mails bekommt, in denen man als beschissener Betrüger bezeichnet wird, dann reicht es. Irgendeinem besonders blöden Typen habe ich zurück geschrieben: »Deine Mutter ist ein Elefant!«

Einige Regisseure haben ihre Karriere in einer Videothek begonnen, Sie auch?

Nein, ich bin kein Filmverrückter. »Abgedreht« sollte auch nicht von Filmliebhabern oder Experten handeln. Deshalb haben wir auch Filme geschwedet, die jeder kennt und die nicht den Geschmack von Spezialisten ausdrücken.

Mos Def und Jack Black durften angeblich die Filme nicht wiedersehen, die sie dann nachspielen sollten.

Das stimmt. Es gibt eine Tendenz zur Imitation, vor allem bei US-amerikanischen Schauspielern und Regisseuren. Die denken, dass man dadurch einen bestimmten Look reproduzieren kann. Ich finde nicht, dass das kreativ ist, und mir gefällt diese Art von Schauspiel auch nicht. Ich habe mir einige der Filme zu Informationszwecken angesehen, aber meine Schauspieler und die Crew gebeten, sie sich nicht anzuschauen. Denn je weiter die geschwedeten Fassungen von der Realität entfernt sind, desto kreativer sind sie auch.

Ihre früheren Filme hatten allesamt einen persönlichen Ausgangspunkt, gab es einen solchen auch für »Abgedreht«?

Der Ausgangspunkt war eine persönliche Utopie, die ich bereits seit langer Zeit habe. Es wäre doch toll, wenn Menschen ein leeres Theater zur Verfügung gestellt bekämen und dort alles drehen könnten, was sie möchten, und es sich hinterher gemeinsam ansehen. Sie würden ein bisschen Geld verdienen, um den nächsten Film finanzieren zu können. Es ist wie ein Heimvideo, aber es ist ein Dorfvideo.

Ist das eine Art von Kino-Kommunismus?


Ich bin Kommunist und glaube daran, dass sich Leute selbst organisieren können.

»Abgedreht« recyclet alte Filme. Sie sind also auch eine Art filmischer Umweltschützer?

Ich bin gegen den Konsum. Das System lässt einen glauben, dass die Gesellschaft nur dann funktionieren kann, wenn Leute immer mehr Geld ausgeben. Das ist grundlegend falsch und irgendwann hat auch die Erde genug davon. Wir müssen uns ein anderes System überlegen, das mehr auf gegenseitigem Austausch aufbaut. Wir brauchen weniger Produktion und mehr Dienstleistung, aber leider läuft die Welt in die andere Richtung. Fährt man zum Flughafen, dann steht dort eine Maschine, die einem das Ticket ausspuckt. Das macht doch jeden unglücklich, außer die Leute, die die Maschine gebaut haben.

Sie porträtieren diese Gemeinschaft von Filmverrückten, aber die bleiben zu Hause und sehen sich Videos an, während Kinos schließen müssen. Bedrückt Sie das nicht?

Das Glück liegt in sozialer Interaktion. Wenn du einen Abend mit deinen Freunden verbringst, dann bist du glücklich. Ich versuche die Leute dazu zu bringen, wieder mehr miteinander zu reden. Kurz vor dem Tod begreift man, dass alles Materielle vergänglich ist. Alles was einem bleibt, sind die Beziehungen zu Menschen. Deshalb ermuntere ich die Leute rauszugehen. Es stimmt, dass eine Videothek kein Kino ist, aber ich erinnere mich, glückliche Stunden in einer Videothek zugebracht zu haben.

Haben Sie Ihre Filmsammlung von VHS auf DVD kopiert?

Ich habe viele DVDs, da ich das Fernsehen so verabscheue. Diese Reality-Formate versuchen immer zu beweisen, dass die Menschen gemein, selbstsüchtig und hässlich sind. Ich hasse sie wirklich, ich hasse auch »Jackass«. Die zeigen dir was und sagen dann »Bitte zu Hause nicht nachmachen!« In meinem Filmen heißt es immer: »Bitte, bitte zu Hause nachmachen!«. MTV zeigt so viele Drogenabhängige, ich hasse es, wie die den Rock ’n’ Roll abbilden.

Interessant, dass diese Kritik von Ihnen kommt, wo Sie doch selbst so viele Musikvideos gedreht haben, etwa für Künstler wie die White Stripes und Björk.

Ich war ja nie ein Star auf MTV! Vielleicht in Europa, aber nicht in den USA. Manchmal höre ich, dass ich der Liebling der MTV-Kultur sei. Ich sage: Scheiß drauf!


Infos

Abgedreht (Be Kind Rewind) USA 07,
R: Michel Gondry, D: Jack Black, Mos Def, Mia Farrow, 101 Min. Start: 3.4.