Die Uneindeutigkeit ist Programm

Mit einer Vortragsreihe startete im Januar am Museum Ludwig ein Ausstellungsprojekt, das zentrale gesellschaftliche Fragestellungen ins Museum trägt: »Ökonomien der Zeit«. Künstlerische und theoretische Positionen untersuchen aktuelle Zeit- und Wertvorstellungen, fragen nach Bildpolitik, Geschichtsschreibung und alternativen Erzählungen. Melanie Weidemüller sprach mit den beiden Initiatoren Astrid Wege und Hans-Christian Dany vor der Ausstellungseröffnung.

»Wir merken selber, dass es schwer ist, das Thema dieser Ausstellung in ein paar Worten zu umreißen« Ein aus Platznot gestrichener Satz von Kurator Hans-Christian Dany gegen Ende des Interviews. Dass es schwer ist, kurz auf den Punkt zu bringen, worum es bei »Ökonomien der Zeit« geht, liegt in diesem Falle allerdings weder an der mangelnden Eloquenz des Kurators noch spricht es gegen das Projekt. Am Ende des Interviews ist auch klar: Die Uneindeutigkeit ist Programm. Sie ist das Antidot gegen einen ökonomischen Diskurs, der auf Eindeutigkeiten, Effektivität und verwertbare Ergebnisse aus ist und dabei komplexere Zusammenhänge ständig ausblendet. Die theoretischen und künstlerischen Ansätze, die Astrid Wege und Hans-Christian Dany versammelt haben, untersuchen und dekonstruieren ihn und entwickeln eigene Strategien für ein anderes Denken. Und das heißt unter anderem: Mehrdeutigkeiten produktiv machen.
Astrid Weges Satz »Uneindeutigkeit meint allerdings keineswegs Unklarheit« flog auch raus, gilt aber dennoch. Wie für jede vernünftige Ausstellung gibt es natürlich auch bei »Ökonomien der Zeit« eine spezifische Fragestellung. Astrid Wege im Vorgespräch: »Wir machen keine allgemeine Ausstellung über das Thema Zeit. Unser Ansatz kommt tatsächlich aus Beobachtungen der letzten zehn Jahre, sowohl als Personen, die schon lange Kunst ansehen und reflektieren, als auch als aufmerksame Zeitungsleser. Dabei haben sich Fragen zu dem ergeben, was den zweiten Begriff im Titel ins Spiel bringt, den der Ökonomie: Unsere Alltagswahrnehmung scheint sich in sehr kurzfristigen Zeitspannen zu organisieren, sich auf das jeweils Aktuelle – oder was uns als solches suggeriert wird – zu verengen und in die Beobachtung von Einzelphänomenen aufzulösen. Längerfristige oder auch umfassendere Auseinandersetzungen mit bestimmten Fragestellungen und Themen werden dabei gerne ausgeblendet – das ist erst mal eine Diagnose. Auf der anderen Seite haben wir beobachtet, dass sehr viele künstlerische, philosophische und theoretische Positionen ganz andere »Ökonomien« von Wahrnehmung entwickeln, und um genau solche geht es in unserem Projekt.«
Hans-Christian Dany, ebenfalls gestrichen: »Als Ausgangspunkt würde ich die Selbstwahrnehmung nennen, ein Unbehagen, das man an sich selber wahrnimmt angesichts dieser Fokussierung auf Gegenwart, und über das man dann einen Dialog anfängt: Existiert es auch bei anderen, findet man gegenläufige Sichtweisen, oder entdeckt man künstlerische Praktiken, wo sich dieses Unbehagen schon viel länger und deutlicher zeigt?«
Welchen Umgang mit Zeit und Ökonomie sie beobachtet haben und wo sie das Potenzial für künstlerische Praktiken sehen, erklären die beiden Gastkuratoren im Interview. (Astrid Wege lebt in Köln, ist Kritikerin und frühere Redakteurin von Text zur Kunst, Hans-Christian Dany lebt in Brüssel und arbeitet u.a. als Künstler u. Publizist)

StadtRevue: Mit dem Thema Zeit haben sich Philosophen und Künstler eigentlich schon immer beschäftigt. Wie beziehen sich denn bei Eurem Projekt die beiden Begriffe, Zeit und Ökonomie, aufeinander?

Astrid Wege: »Ökonomien der Zeit« setzt die Ökonomien ja als Plural. Das ist wichtig. Wir verwenden den Begriff in verschiedener Weise: Einerseits geht es tatsächlich um eine Auseinandersetzung mit Ökonomie, also welche Form des Wirtschaftens, aber in anderem Sinne auch um so was wie »Haushalten« oder die Strukturierung von Zeit. Wie wird Zeit organisiert, welche Formen von Erzählung entstehen? Mit welchem Gestus werden werden sie vorgetragen, werden sie als scheinbar einzig mögliche dargestellt, oder fließt das Bewusstsein um die eigene Verwobenheit in diese Prozesse ein? Ein solches, auch kritisches Sich-Einschreiben in vorhandene Erzählungen, ist eine Vorgehensweise, die in der Kunst seit den frühen 90ern stark gemacht wird.

Könnt ihr Eure Diagnose, diese Fokussierung auf Gegenwart, die ihr beobachtet habt, noch genauer erläutern? Wie zeigt die sich?

Hans-Christian Dany: Fokussierung auf Gegenwart meint, dass Handlungen und Informationen vorwiegend isoliert wahrgenommen werden. Permanent werden von verschiedenen Instanzen Dringlichkeiten hergestellt, und diese Dringlichkeiten erlauben es angeblich gar nicht mehr, den Hergang von etwas zu beobachten – der momentane Blick zählt und es müssen abrupt Lösungen produziert werden.

Wege: Damit wird natürlich Politik gemacht, auf verschiedensten Ebenen. Das erachte ich schon als sehr gefährlich und problematisch.

Dany: Ich erlebe diese Betriebsamkeit auch als eine unheimliche Form von Trägheit: diese rasenden Ereignisse, und dann springt man raus und schaltet sich mit einer bestimmten Zeitverzögerung wieder ein und merkt, dass es eigentlich keine wirkliche Bewegung ist, dass die daraus resultierenden Veränderungen relativ sind. Das ist ein Leerdrehen, eine Form von Aufgeregtheit. Versprechen auf Beschleunigung, die stattfinden wird, sich aber die ganze Zeit nicht einlöst, sondern permanent aufgeschoben wird.

Wege:Es geht auch darum genau hinzuschauen, wie solche medialen Erzählungen funktionieren. Es ist ja nicht so, dass Vergangenheit kein Thema wäre – gerade in den letzten Jahren wurde in den Medien unglaublich viel über Geschichte und Geschichtsaufarbeitung geredet. Aber der Umgang mit Vergangenheit gerinnt zu einzelnen Bildern, als Beweise, oder auch als Statthalter für eigentlich viel verzweigtere Zusammenhänge. Und dann kommt eben die nächste Story und löst die vorhergehende ab.

Ihr habt das, was ihr im Konzept »verabsolutierte Gegenwart« nennt, als Entwicklung der letzten zehn Jahre wahrgenommen, also nach ‘89. Wenn es um Ökonomien und Umgang mit Geschichte geht, ist das ja ein entscheidendes Datum.

Wege: Solche »Zäsuren« zu setzen ist schwierig, aber für uns, die wir hier leben, war sicherlich die Auflösung der zwei politischen Machtblöcke eine Verschiebung. Zumal danmit sofort die Behauptung einher ging, dass es eben nur noch eine bestimmte Wirtschaftsform gäbe, nur noch eine Form von gesellschaftlichem Zusammenleben, und dass das eben auch die Bessere sei. Gegen diese Form von vermeintlicher Ausschließlichkeit oder Alternativlosigkeit gibt es natürlich viele andere Ansätze und Praktiken, nicht erst seit den letzten Jahren.

Wie weit ist denn die Kritik an einer bestimmten ökonomischen Diskursart ganz einfach Kapitalismuskritik?

Dany: Kapitalismus ist eines der uns selbst auferlegten Tabuwörter (Erheiterung...) – nein: Es gibt einen kapitalismuskritischen Diskurs, der inzwischen selbst in großen Tageszeitungen bestens funktioniert; diese Form von Kapitalismuskritik ist inzwischen integraler Bestandteil. Das würde ja keiner mitmachen, wenn er nicht jeden Tag lesen würde, dass das scheiße ist. Das macht ja auch die Rezeption vieler Ansätze in der Kunst in den letzten zehn Jahren so schwierig: In dem Moment, wo ich sage, dass ist Kunst die kritisiert den Kapitalismus, bin ich schon in der Effizienzlogik drin. Zu sagen, das ist politische Kunst, ist letztlich Affirmation des Kapitalismus. In dieser Form lässt sich das nur noch sehr bedingt machen, und es geht genau darum, wie sich das anders sagen lässt.

Wie lässt es sich denn gerade mit künstlerischen Strategien anders sagen?

Dany: Die Ausstellung versucht mehreres. Was mich an Kunst interessiert ist, dass sie ganz bestimmte Möglichkeiten hat Zeichen zu produzieren, die andere Systeme so nicht erlauben, weil sie abgesteckter sind. Das Feld der Kunst erlaubt da ein relativ offenes Denken. Es gibt eine Grundthese, auch eine sehr markante; in der Ausstellung und Publikation existieren wiederum sehr unterschiedliche Ansätze, und das ist auch bewusst so: Es geht nicht darum, unsere These zu illustrieren. Es geht darum einen Raum zu aufzumachen, ein offenes Feld, und auch Uneindeutigkeiten zuzulassen.

Uneindeutigkeit als Konzept: Kann man so auch dem ökonomischen Diskurs was entgegensetzen, indem man das zulässt?

Dany: Ja sicher. Diese Forderung der klaren Antworten, der schnellen und eindeutigen Lesbarkeit, das hat ja alles mit bestimmten Verwertungsmechanismen zu tun. Um so schneller etwas lesbar ist, ist es auch verarbeitbar, umso schneller etwas zuzuordnen ist, ist es auch als Masse manövrierbar. Ganz klar geht es darum, sich bestimmten Sachen auch zu entziehen.

Wege: Sich zu entziehen klingt so negativ. Es geht auch darum eigene Sprachen zu entwickeln. Die Frage ist ja tatsächlich, womit sich der Text von Antonio Negri in der
Publikation beschäftigt: Wie können wir uns eigentlich überhaupt etwas vorstellen wie Zukunft oder etwas Zukünftiges, das wir uns ja de facto nicht vorstellen können? Wie ist das fassbar in einer Sprache, die vielleicht eine andere sein müsste als diejenigen Sprachen, die jetzt greifen, um die Gegenwart und auch eine Vergangenheit zu beschreiben?

Wie gehen denn Arbeiten konkret vor, die ihr in der Ausstellung zeigt?

Dany: In der Arbeit des Brasilianers Edson Barrus z.B. geht es genau um die ganzen Verschränkungen. In dem einen Video flicht er -seit neun Jahren jetzt – an einem Rosenkranz, in den er alle Steuerzeichen aller seiner Zigaretten einflicht, also alle Abgaben, die er dem Staat machen muss für den Genuss, aber auch für die Selbstzerstörung, die er an sich betreibt. Einerseits sieht man wie er flicht, die Verwertung seines eigenen Körpers, andereseits erkennt man auch den Genuss an der meditativen Tätigkeit. Dem stellt er eine andere Ökonomie gegenüber, die des Drogenhandels, die in Brasilien eine gesellschaftstragende Kraft ist – das ist so ein neoliberales Land, wie mancher hier sich das wünscht, mit bestimmten Grauzonen, wo Leute, weil es kein Sozialsystem gibt, z.B. durch Drogenhandel eigene Ökonomien entwickeln. Er beschreibt seine Ambivalenzen dazwischen, zeigt alle Widersprüche, in denen er sich auch bewegt, zieht diese Fragen alle rein und gleichzeitig produziert die Arbeit eine weitere Ebene, die nicht in der anderen aufgeht.

Wege: Ein ganz anderer Ansatz, wo es tatsächlich um Wertschöpfungsprozesse geht, ist die Arbeit von Christian Phillip Müller. Er bezieht sich auf Schokolade, die bei den Azteken ein Zahlungsmittel war, also Schokolade als Tauschwert, und indem er sie u.a. in Form von Souvenirs in einer Vitrine in den musealen Kontext bringt, thematisiert er dabei auch das Museum als Ort, der in der Hierarchie des Kunstsystems immer noch an oberster Stelle einer bestimmten Erzählung von Wertsteigerung gesehen wird.

Ihr habt theoretische, philosophische und künstlerische Positionen eingeladen. Inwiefern sprechen die unterschiedliche Sprachen?

Wege: Es gibt verschiedenen Arbeitsweisen, visuelle oder textuelle oder eher theoretische Ansätze, und auch verschiedene Bezugsfelder, aber ich würde gegen eine strikte Trennung Kunst/nicht Kunst sein. Viele Beteiligte arbeiten ihrerseits in verschiedenen Bereichen, mit Überschneidungen, wie z.B. Ariane Müller oder Peter Fend – der sagt, dass er Architekt ist und nicht an erster Stelle Künstler -, und das kann sehr produktiv sein. Schon in den 60er und 70er Jahren war das ein Anspruch: Klare Abgrenzungen oder Identitäten, die geschaffen werden, oder auch die Rollenzuschreibungen oder Rollenselbstbeschreibungen, so nicht aufrecht zu erhalten. Das ist nach wie vor eine wichtige Forderung.

Wenn z.B. Ariane Müller in einem Vortrag von ihrer Arbeit für die Uno berichtet, oder Künstler die Sozialistische Selbsthilfe Mühlheim einladen – wie verhält sich das im Kontext einer Kunstausstellung?

Dany: In ihrer Doppelrolle als UNO-Beraterin und Künstlerin kann Ariane Müller natürlich einen anderen Blick auf die UNO werfen: Sie bewegt sich innerhalb dieses Systems UNO, mit ganz bestimmten klar abgesteckten Grenzen, aber wenn sie dieses andere Zeichenfeld als Künstlerin betritt – sie hat das in ihrem Vortrag als ein Hin- und Herwandern beschrieben –, erlaubt ihr das eine jeweils andere Perspektive: Sie kann von außen die Tätigkeit, die sie macht, beobachten und bestimmte andere Schlüsse und Verknüpfungen ziehen. Genauso die SSM, die von den Künstlern Jelka Plate und Malte Willms eingeladen wurde: Es geht nicht darum, die UNO oder die SSM zur Kunst zu erklären, sondern die Künstler gucken mit einer bestimmten Fragestellung aus einem System auf ein anderes. Bei Plate/Willms geht es um eine Reflexion, mit welchem Begriff von Öffentlichkeit der Architekt Rem Koolhaas das Foyer des Museum Ludwig umbaut. Dem wird die Vorstellung von Öffentlichkeit gegenübergestellt, wie sie SSM entwirft. Durch solche Bewegung zwischen verschiedenen Bereichen können Perspektiven oder Erzählungen oder Reflexionen entstehen, und das ist vielleicht das Hauptpotenzial, das die Kunst heute hat.

Ausstellung:
»Ökonomien der Zeit« im Museum Ludwig vom 16.3. bis 2.6, Eröffnung am 15.3. um 19 Uhr. Anschließend geht die Ausstellung nach Berlin (Akademie der Künste) und Zürich (Migros Museum für Gegenwartskunst).
Vorträge:
In der Vortragsreihe zu »Ökonomien der Zeit« (Cafeteria des Museum Ludwig, jeweils Dienstag 20 Uhr) findet noch statt: Am 26.2. Peter Fend: Art-based developement for a distresses planet. Fend lebt in New York und ist Künstler und Architekt. Er realisiert Ausstellungen und Projekte, 1980 gründete er die »Ocean Earth Construction and Developement Corporation«.
Am 5.3. Andrea Fraser: Art years, people years, and dog years. Fraser (New York) wurde in den 80er Jahren als Künstlerin bekannt, die in Performances, Videos, Installationen und Publikationen mit Formen der Institutionskritik experimentierte; in Köln zeigte sie zuletzt 2001 eine Kippenberger-Performance in der Galerie Christian Nagel.
Publikation:
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog: Über eine bloße Dokumentation hinausgehend, sind für das Buch theoretische und künstlerische Text- und Bildbeiträge häufig hybrider Formate entstanden, die der Fragestellung der Ausstellung mit eigenen Mitteln nachgehen (der Katalog erscheint bei Revolver. Archiv für aktuelle Kunst, Frankfurt a.M. 2002, 365 S.).