»Man ist nie fertig mit den Taten seiner Eltern«

Die Regisseure Ingo Haeb (»Neandertal«) und Florian Mischa Böder (»Nichts geht mehr«) über die Ausbildung an der Kunsthochschule für Medien und die allgegenwärtigen 68er

StadtRevue: In letzter Zeit sind erstaunlich viele Produktionen von KHM-Absolventen ins Kino gekommen. Sie sind allerdings nicht durch eine gemeinsame Handschrift gekennzeichnet, wie die Filme der »Berliner Schule« um Christian Petzold, Thomas Arslan und Angela Schanelec. Bedauern Sie das?

Ingo Haeb: Überhaupt nicht. Ich glaube, die meisten, die der sogenannten »Berliner Schule« zugeordnet werden, sind mit dieser Kategorisierung gar nicht so glücklich. Da hat man schnell ein Label weg, obwohl man sich als junger Filmemacher noch entwickeln will.

Florian Mischa Böder: Diese Beobachtung spricht für mich für die KHM und ihre Ausbildung. Die Schule ist extrem offen angelegt. Während der Studienzeit habe ich mir manchmal sogar mehr »klare Ansagen« oder Regeln gewünscht, an denen man sich leicht festhalten kann. Die bekommt man aber nicht. So ist man dazu gezwungen, für sich selbst herauszufinden, was in einem schlummert und worüber man erzählen will. Im Nachhinein weiß ich das extrem zu schätzen. Hätte einen die Schule zu sehr auf eine Form oder eine Handschrift geeicht, hätten viele Studenten sie wohlmöglich nur als Masche bedient. Das verstehe ich aber nicht unter kreativer Arbeit. Die Tatsache, dass viele Filme von KHM-Absolventen ins Kino kommen, bestätigt, dass dieses Konzept funktioniert und die Filmlandschaft bereichert.

Ihre Debüts scheinen in der Tradition von Hans Weingartners »Die fetten Jahre sind vorbei« zu stehen – zumindest was den Umgang mit Politik angeht. Gibt es da eine gewollte inhaltliche Kontinuität unter den KHM-Absolventen oder ist das Zufall?

Haeb: Die teilweise Ähnlichkeit zwischen Hans’ Film und »Neandertal« resultiert wahrscheinlich eher daraus, dass wir ein Jahrgang sind und uns für ähnliche Themen interessieren.

Böder: Sicherlich gibt es eine motivische Nähe zwischen »Nichts geht mehr« und »Die fetten Jahre sind vorbei«. Das sind aber nur äußerliche Parallelen. Hans’ Filme haben allesamt eine starke Botschaft. Er will die Menschen aufrütteln, sie auf Missstände aufmerksam machen. Ich ticke da ganz anders: Es hat mich nie interessiert, einen moralischen Ton anzuschlagen. Ich wünsche mir viel mehr, dass die Zuschauer aus meinen Filmen gehen und ich ihnen eine veränderte Perspektive auf die Dinge des Lebens geben konnte. Meine Figuren stecken tief in ihrem Schlamassel, aber der Zuschauer soll die Möglichkeit bekommen, mit etwas Abstand über sie und ihre Probleme lachen zu können, und damit letztlich auch über sich selbst.
Zurzeit geistern wieder die 68er durch die Medien, die große Erzählung von der jugendlichen Revolte scheint nie zu enden.

Auch in Ihren Debüts gibt es Nachwehen, man diskutiert am WG-Küchentisch revolutionäre Aktionen, der Blick ist aber auffällig selbstironisch. Sind die 70er-Jahrgänge mit den Heldentaten ihrer Eltern immer noch nicht fertig?

Haeb: Die Eltern und ihre Kumpels sitzen ja heute zum Teil ganz oben und man hat nicht selten damit zu kämpfen, dass sie genauso altbacken und borniert denken, wie die, die sie damals zu Recht bekämpft haben. »Unter den Wollpullovern der Muff von 40 Jahren« – reimt sich nur leider nicht.

Böder: Man ist wohl nie ganz fertig mit den Taten seiner Eltern, aber wenn man sie ironisch zeigt, dann ist man doch auf einem guten Weg, oder?

Jutta Ditfurth hat kürzlich gesagt, sie habe das Gefühl, manche Spätgeborenen seien teuflisch neidisch, dass sie so eine spannende Zeit wie 68 nie hatten, weil sie viel zu früh Karriere gemacht haben und sich wahrscheinlich furchtbar langweilen. Ist da was dran?

Haeb: Das hat mit Karriere nichts zu tun. Ich bin eher neidisch, dass sich in den 90ern nicht mehr so ein Druck bilden konnte, der eine echte Gegenbewegung formt. Das war einfach in den 80ern durch, als die Popper die Punks konterten. Da hat sich der Kreis geschlossen. Und als ich 18 war, kam Grunge auf. Das war aber erstens schon ein Retro-Trend und zweitens innerhalb eines Jahres voll kommerzialisiert.

Böder: Das würde ich ganz unabhängig von einem Generationenkonflikt sehen. Wenn man früh Karriere macht, dann kann es doch sicherlich passieren, dass man irgendwann seinen Traum erreicht. Und was dann? Der eine mag sich als Reaktion darauf langweilen, der andere steckt sich neue Ziele! Aber einen Neid auf eine spannende Zeit, die meiner gesamten Generation verwehrt sein soll, daran glaube ich nicht.


Die Fragen wurden beiden Regisseuren per E-Mail vorgelegt.



Ingo Haeb (*1970) studierte an der Kunsthochschule für Medien (KHM) und an der Berliner Film- und Fernseh­akademie (dffb). Er schrieb Drehbücher u.a. für »Am Tag als Bobby Ewing starb« und spielte in »Sie haben Knut« mit. Seit 2002 ist er Lehrbeauftragter an der KHM und seit 2006 Professor an der HFBK Hamburg.

Sein Film »Neandertal« läuft ab
1.5. in der Filmpalette


Florian Mischa Böder (*1974) studierte an der KHM. Er war Regisseur für die »Harald-Schmidt-Show« und Drehbuchautor für »Die Sendung mit der Maus«. Für »Ich muss gehen« bekam er 2001 den Max-Ophüls-Preis in der Kategorie Kurzfilm. Als Filmregisseur war er zuletzt an dem Episodenfilm »Die Österreichische Methode« beteiligt.

Sein neuer Film »Nichts geht mehr« läuft ab 8.5. im Odeon.