Nicht höher als 150 Meter

Verglichen mit anderen europäischen Großstädten ist die Höhenentwicklung der Kölner Stadtsilhouette eher moderat. Doch die Aktivitäten im Hochhausbau nehmen zu. Barbara Schlei beschreibt die jüngsten Entwicklungen und klärt deren Verhältnis zur hiesigen Stadtbautradition.

 

Hochhäuser sind komplexe Maschinen, hybride Gebäude – mit meist überraschend wenig Nutzfläche. Sie verbrauchen extrem viel Ressourcen, müssen hohe Brandschutzauflagen erfüllen, die Fassadenkonstruktion ist überaus aufwändig und die vertikalen Erschließungsflächen benötigen enorm viel Platz. Wenig ist so irrational wie der Bau von Hochhäusern – vielleicht noch die Hoffnung, die Hochhäuser und ihre ästhetische Wirkung erzeugen. Seit dem legendären Turmbau zu Babel hat die suggestive Kraft aus der Verbindung von Ästhetik und Technik die Fantasie und den konstruktiven Eifer der Architekten nicht mehr verlassen. Nach wie vor gilt das babylonische Prinzip, je höher desto besser; es demonstriert die Wirtschaftskraft des jeweiligen Bauherren und pflegt das Image der Kommunen mit Weltstadtflair. Selbst die Attentate auf das World Trade Center haben daran wenig geändert. Obwohl die Terroristen das WTC eben wegen seiner Symbolik als Ziel aussuchten, hat sich daraus zwar eine Debatte um das Hochhaus im Allgemeinen entwickelt, Folgen hat sie jedoch nicht gehabt.
Die Erfindung des Aufzugs und die Entwicklung des Stahlbaus waren die grundlegenden Voraussetzungen für den Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden Hochhausbau. In den USA entstanden in den Stadtzentren dicht gedrängte Hochhauskulissen. In den meisten europäischen Städten hingegen wurde nur vereinzelt und dispers außerhalb der historischen Stadtzentren gebaut. Erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts setzte eine verstärkte Bautätigkeit ein. Städte wie München, Zürich oder Mailand erließen Gestaltungsrichtlinien, die der Erhaltung der historischen Stadtkrone dienen und dezentrale Hochhausstandorte entwickelten: Ähnlich den Ringkonzepten der mittelalterlichen Wehrtürme werden weit über die Dachlandschaft der Stadt hinausragende Solitäre entlang der stadtbildprägenden Verkehrsachsen aufgereiht.
Doch auch Interpretationen des amerikanischen Weges, die Konzentration von Hochhausensembles in bestimmten Arealen, lassen sich in Europa beobachten: in Paris und in Frankfurt am Main etwa. In der französischen Metropole hat man die Hochhäuser ins Getto verbannt: La Défense, eine monofunktionale Bürostadt in der langen Achse des Arc de Triomphe. In Frankfurt, der deutschen Stadt, in der sich eine Hochhausentwicklung am deutlichsten durchgesetzt hat, wurden auf Drängen finanzstarker Bauherren die europäischen Grundlagen des Städtebaus verlassen. Dicht an dicht wachsen in unmittelbarer Nähe zum Stadtkern Bürobauten bis zu 265 Meter in den Himmel. Der Turm der Commerzbank von Norman Foster ist das derzeit höchste Bürogebäude Europas.
Köln hat sich besonders lange Zeit damit gelassen, die Türme zu bauen, über die heute jede Großstadt glaubt verfügen zu müssen. Es sprießt zwar nur vereinzelt, aber deutlich in die Höhe: das Ringkarree am Friesenplatz, der KölnTurm im Mediapark – Hochhäuser für den Rheinauhafen und den Rudolfplatz befinden sich sogar erst im Entwurfsstadium. Doch seit kurzem ist es soweit. An eine Realisierung ist auch nach dem 11.9. nicht zu zweifeln, die Höhe des WTC wird schließlich nicht annährend erreicht. In den politischen Fachausschüssen war denn auch die Sicherheit von Hochhäusern im Erdbebenfall das große Thema, nicht die Sicherheit vor Attentaten.
Die Stadt war früher schon einmal von Hochhauseuphorie erfasst. Konrad Adenauer holte 1920 eigens den Hamburger Stadtbaumeister Fritz Schumacher für drei Jahre nach Köln, um das Gefüge und Bild der Stadt durch Hochhäuser zu verändern. Durch dessen maßgebliches Engagement entstanden 1924 das damals höchste Bürohaus Europas, das 18-geschossige Saturn-Hochhaus von Jakob Koerfer, und der 1926 von Adolf Abel entworfene Messeturm.
In den 70er und frühen 80er Jahren ließ der Kölner Oberbaudirektor Werner Baecker an wichtigen Verkehrsachsen vereinzelt Solitäre bauen. Ein Kranz von Hochhäusern sollte sich um die historische Kernstadt legen. Diese durchaus konzeptionelle Anordnung der Hochhäuser entlang der Ringe und Radialen ist im realen Stadtkontext indes schwer zu erkennen. Zu vereinzelt stehen das Colonia-Haus, das Uni-Center, das Arbeitsamt und das Justizzentrum, das Hochhaus an der Herkulesstrasse und das der Deutschen Krankenversicherung.
Das größte Potenzial für den Hochhausbau liegt ohnehin im rechtsrheinischen. Auf der Schäl Sick bieten die großen aufgelassenen Industriebrachen in Deutz, Kalk und Mülheim und die beiden Häfen viel Platz für eine großflächige Erweiterung der City. Stadtentwicklungsdezernent Karl Otto Fruhner sieht durch den neuen ICE Bahnhof eine Aufwertung des Wirtschaftsstandorts Messe und durch die Erweiterung des Innenstadtbereiches über den Rhein bis nach Mülheim einen Strukturwandel, der Köln im nationalen und internationalen Vergleich nach vorne bringt. Steuerungsprozesse für das gesamte Entwicklungsgebiet sind indes noch nicht in Sicht.
Zwar wurden, um die erfolgreiche Urbanisierung zu sichern, mehrere Wettbewerbe ausgelobt und entschieden. Allesamt hatten sie aber offensichtlich Testcharakter. Die meisten der Pläne verschwanden wieder in den Schubladen, oder die beteiligten Stadtplaner und Architekten wurden aus den Verfahren ausgeschlossen. So geschehen beim geplanten ICE Terminal in Köln-Deutz. Der im Wettbewerb siegreiche Entwurf der Kölner Architekten Jaspert & Steffens zeichnete sich durch ein urban verdichtetes Konzept aus, das vermietbare Flächen mit öffentlichen Räumen verband: eine zentrale Wegeführung vom Haupteingang am historischen Bahnhofsgebäude über einen großzügigen, belichteten Platz unter den Gleistrassen bis hin zu einem neuen Hauptfoyer der Messe mit vorgelagerter Freifläche. Ebenfalls vorgesehen sind drei Hochhäuser, eins davon für die Messe AG.
Nach mehrfacher Überarbeitung des Entwurfs, bei der vor allem die Interessen der Hochbauinvestoren und der Messe AG zum tragen kamen, sind vom ursprünglichen Konzept nur noch Rudimente erhalten. Korrespondierten im Wettbewerb die drei 80 bis 120 Meter schlanken Türme noch miteinander, so wurden sie in der Überarbeitung auf Investorenwunsch zu 140 Meter hohen Scheiben und mit der Breitseite parallel zum Fluss gestellt, um möglichst viel vermietbare Fläche mit Domblick anbieten zu können. Nicht nur die räumliche Beziehung untereinander wurde aufgegeben, auch führt die Breitseitenstellung zur Addition der Flächen: der Blick auf Dom und Altstadt würde so aus vielen Sichtachsen verstellt.
Vor diesem Hintergrund ist die derzeit geführte Diskussion um einen vierten Hochhausneubau für die Rheinische Zusatzversorgungskasse, zwischen Hermann-Pünder-Strasse und der Rampe zur Hohenzollernbrücke, umso unglaubwürdiger. Der aus einem Wettbewerb von Anfang der 90er Jahre stammende Entwurf des Kölner Büros Gatermann & Schossig sah einen 106 Meter hohen Turm mit Reuleaux-Grundriss, einer Art abgerundetem Dreieck, benannt nach dem Mathematiker Franz Reuleaux, und ausgewogener Proportion vor. Nach jahrelangem Dissens soll der Turm jetzt gebaut werden. Jedoch um entscheidende 16 Meter gekürzt, weil, so die offizielle Begründung, der Turm sich zwar auf der anderen Rheinseite, jedoch direkt vis-á-vis des Dom befindet – genau wie der geplante 120 Meter hohe Turm der Messe AG.
Die spektakulären Großbauvorhaben im Bereich des ICE Terminals und die damit verbundene Vision einer neuen Deutzer Skyline haben abermals eine lebhafte Debatte um die Zukunft der Kölner Stadtsilhouette und vor allem den erneuten Wunsch nach einem richtungsweisenden und verpflichtenden Kölner Hochhauskonzept ausgelöst. Dabei hatte das Stadtplanungsamt, um Wildwuchs zu verhindern, bereits 1994 Richtlinien, die mögliche Hochhausstandorte festlegen, erarbeitet und in den darauf folgenden Jahren mehrfach ergänzt.
Als Kriterien für das Kölner Hochhauskonzept wurde ein Netz von Blickbeziehungen auf den Dom und weitere wichtige Baudenkmäler entwickelt. Diese Sichtachsen sollen von Hochhausbebauung frei gehalten werden, um das prägnante Stadtpanorama – die niedrige Stadt mit dem Kranz der romanischen Kirchtürme, die sich um den Dom gruppieren – zu erhalten. Neben der Silhouettenentwicklung und den vorhandenen Stadtstrukturen wurden auch ökologische Aspekte wie Ventilationsschneisen, Grünzüge und die Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr für die Standortwahl berücksichtigt. Mit Blick auf besonders sensible Bereiche verbannt das Konzept weitere Hochhausexperimente hinter die Ringe und weist neue Areale für einen Maßstabssprung in Deutz und Mülheim aus.
Aus Rücksicht auf wirtschaftliche Standortinteressen – die Nähe zur historischen Kernstadt gilt als attraktive Adresse – konnte sich die Lokalpolitik jedoch nicht dazu durchringen dem schlüssigen und einsatzbereiten Konzept Rechtsverbindlichkeit zu verleihen. Zu groß sind die potenziellen Verlockungen potenzieller Investoren. Dabei stehen die Hochhausinvestoren in der Domstadt nicht gerade Schlange. Wohl deshalb lässt sich eine Skyline im linksrheinischen immer noch nicht ausmachen, auch wenn es kurz unter der respektvollen 150 Meter-Grenze dichter wird.
Das Hochhaus ist wieder Thema in Köln: Wie kann man auch ohne verbindliches Hochhauskonzept dafür sorgen, dass Hochhäuser das Stadtbild positiv beeinflussen? Wie kann die Stadt ihr historisches Erbe bewahren, die unverwechselbare Silhouette erhalten und dennoch dem Investorenwunsch nach Repräsentationsbedürfnis entsprechen?
Mit der großflächigen Stadterneuerungsmaßnahme des früheren Güterbahnhofs Gereon, heute Mediapark, wurde noch auf die Weiterentwicklung der linksrheinischen Kernstadt mit ihrer kleinteiligen Struktur gesetzt. Städtebauliche Dominante des neuen autonomen Stadtquartiers, realisiert auf der Grundlage des 1987 von Eberhard Zeidler aus Toronto gewonnenen Wettbewerbs, ist der mit 148 Metern neun höfliche Meter niedriger als der Dom aufragende KölnTurm. Entworfen von Jean Nouvel aus Paris lag dessen Ausführung in keiner glücklichen Hand. Die ehemals raffinierte interaktive Medienfassade vermag im aktuellen Zustand wenig zu überzeugen. Als Dauerspiegelbild finden sich, wie könnte es anders sein, der Dom und die Altstadt in Siebdruck-Wölkchen auf den Fassadenelementen. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde die Grundfläche des ursprünglichen Entwurfs vergrößert, was die Eleganz beeinträchtigt. Dennoch integriert sich der Turm als vertikaler Akzent in der Sichtachse des Rings ausgezeichnet ins Stadtbild.
Städtebaulich weniger signifikant, und fast unmerklich noch innerhalb der Ringe platziert, ist Kölns jüngster Hochhauszuwachs, die neue Zentrale des Gerlingkonzerns am Friesenplatz. Konzipiert ist das Ringkarree des britischen Stararchitekten Norman Foster als eine siebenstöckige Blockrandbebauung, die drei bis zu 64 Meter hohe Scheiben umgreift. Die Ringfassade greift die Traufhöhe der Umgebung auf, die darüber hinausragenden Türme steigen Stufe für Stufe darüber empor, ohne den proportionalen Bezug zur Umgebung zu verlieren – wenn auch etwas leger mit der Abstandsflächenverordnung umgegangen wurde.
Um andere Hochhausstandorte dürfte demnächst kontroverser diskutiert werden. Die Zeichen für das Projekt Rheinauhafen stehen auf Baubeginn. Kernstück ist der Wettbewerbsentscheid von 1992, der die drei so genannten Kranhäuser der Architekten Bothe Richter Teherani (BRT) aus Hamburg favorisiert. Die damals noch im Rhein fußenden und nun nach mehrfacher Überarbeitung auf dem Trockenen stehenden konstruktivistisch anmutenden Bügelhäuser werden, so befürchten Gegner, den Stadtmaßstab sprengen und das Rhein-Panorama entscheidend verändern. Die unzweifelhafte Dominanz der drei annähernd 60 Meter hohen Gebäude und das Vermarktungsprinzip des mehrheitlich stadteigenen Projektentwicklers Modernes Köln lässt sowohl in der öffentlichen als auch in der Gestaltungsdiskussion kaum Raum für die übrige, teils unter Denkmalschutz stehende Bebauung des Hafenareals. 2006 soll die Bauphase abgeschlossen sein.
Bei den derzeit 17 Hochhäusern, die die 100 Meter Marke überschreiten, wird es nicht bleiben. Mit den Turmbauten im Rechtrheinischen werden zudem zwei unterschiedliche, aber dennoch korrespondierende Städte entstehen: die historische mit den sakralen Türmen im Westen und als Pendant die Kathedralen der Neuzeit auf der anderen Rheinseite. Türme und Zeichen hier wie dort. Allerdings – in die Höhe bauen, dafür ist der Dom ein prägnantes Beispiel, kann in dieser Stadt etwas länger dauern.