Werkschau

In den letzten Kriegswirren flieht die Mutter mit Gerhard Roth und seinen zwei Brüdern nach Deutschland zum Vater, der dort stationiert ist. Als sie durch ein Stoppelfeld hasten, liegt auf der Erde ein Gefallener. »Ein Blut‑ faden rinnt aus dem Mundwinkel, die Lider sind halb geschlossen und die Augäpfel verdreht, dass man das Weiß sieht. Es ist der erste Tote, den ich zu Gesicht bekomme, ohne zu wissen, dass es ein Toter ist und was der Tod bedeutet«, schreibt Roth Jahrzehnte später in seinen Kindheitserinnerungen. Geboren wurde er 1942 im österreichischen Graz.

Bald entdeckt er die Welt der Bücher für sich »Der Einstieg in das Lesen war wie eine Droge, ich finde keinen anderen Vergleich. Es war die Möglichkeit, aus der drückenden Atmosphäre meiner Kindheit in eine fantastische Welt, eine Parallelwelt einzusteigen.« In den 60er Jahren beginnt Roth ein Medizinstudium, das er wieder abbricht. Einige Jahre verdingt er sich als Programmierer im Grazer Rechenzentrum. Seit 1976 ist er freier Autor und lebt heute abwechselnd in Wien und in der Steiermark.
Das beachtliche Werk des Alfred-Döblin-Preis-Trägers umfasst bisher einen siebenteiligen Romanzyklus, zwölf eigenständige Romane, drei Erzählbände sowie etliche Dramen, Hörspiele, Drehbücher und Essays. Darin geht es auch mal um das Landleben in der Steiermark oder um eine Fuchsjagd mit Max Frisch an den Ufern des Züricher Sees. Sein Lieblingsthema aber ist der Wahnsinn, den er in vielen Variationen
multiperspektivisch verarbeitet. »Manchmal«, so heißt es im Roman »Das Labyrinth«, »beneide ich die Wahnsinnigen um den Wahnsinn, einen Wahn, der mich vielleicht das Universum besser begreifen ließe.«

Im Rahmen des Festivals »scene: österreich in nrw« widmet das Literaturhaus dem Schriftsteller eine mehrteilige Werkschau, in der er selbst sein literarisches wie auch filmisches Schaffen vorstellt und erläutert:. Dabei liegen Expeditionen in die Grenzbereiche von Wahn und Wirklichkeit im Fokus, seine Reisen in den »realen und seelischen Untergrund« der Stadt Wien und sein autobiographisches Romanprojekt »Das Alphabet der Zeit«.