Zuhause am Kamin

Es ist ruhig geworden im Indie-Rock: »Quiet Is The New Loud« heißt das Motto der Stunde. Martin Büsser fragte sich beim Hören der aktuellen Alben von Lambchop und St. Thomas, ob diese Sanftheit mehr als nur eine Regression ins Private bedeutet.

Auf »Lambchop Is A Woman«, ihrem aktuellen Album, hat sich die ohnehin immer schon ruhige Band noch einmal gezügelt. Nun klingen sie wie eine Valium-Variante ihrer selbst, gedämpft, gedimmt, benommen. Diese Musik hat alle Rock-Attitüde abgestreift und wirkt so, als ob sie in schweren Ohrensesseln eingespielt worden wäre. Alles an der Zurückgenommenheit scheint im Sinne des letztjährigen Albumtitels »Quiet Is The New Loud« der Kings Of Convenience, mit dem diese »neue Stille« im Indierock ja fast den Charakter eines Manifests bekam. »Ich sehe diese Tendenz zur Ruhe«, sagt Lambchop-Gitarrist und Sänger Kurt Wagner, »aber wir unterscheiden uns von fast allen anderen stillen Bands. Wenn ich mir all die Gruppen ansehe, die diese Art von neuer Softheit vertreten, Belle & Sebastian zum Beispiel, dann wundere ich mich, wie laut sie doch live rüberkommen. Auf der Bühne mutieren diese Bands dann doch wieder zu Rockern und hauen drauf, was das Zeug hält. Wir dagegen bemühen uns, auch live so still und langsam zu sein wie auf Platte, wenn nicht sogar noch stiller.«
Kurt Wagner sagt dies nicht als Abgrenzung oder Wertung, sondern lacht über seine eigene Feststellung: »Wir lieben diese Herausforderung. Und glaube mir, es gibt nichts Schwereres und Disziplinierteres, als mit einer Band wie Lambchop, die aus so vielen Instrumentalisten besteht – aus jeder Menge Gitarren, Keyboards und Bläsern – gleichzeitig so leise, so zart wie möglich zu spielen.«
In gewisser Hinsicht lassen sich Lambchop mit der deutschen Band FSK vergleichen. Wie FSK benutzen Lambchop Country- und Folk-Elemente in ihrer ganzen Klischeehaftigkeit, um sie auf vielfältige Weise zu demontieren, nicht zuletzt auch auf der Textebene, die so gar nicht zur vermeintlichen Gemütlichkeit ihrer Musik passen möchte. Dieses Prinzip ist seit ihren frühen Platten Programm. Der Song »I Sucked My Bosses Dick« auf ihrem 96er Album thematisierte nicht nur sexuelle Penetration auf dem Arbeitsplatz, sondern liest sich auch wie ein ironischer Kommentar auf die von Männern mit tiefen Stimmen und Cowboyhut bestimmte Countryszene, die zugleich durch und durch homophob ist. Ähnliches drückt ihre neueste Platte bereits mit dem Titel aus: »Lambchop Is A Woman« trifft natürlich keineswegs zu – das Bandkollektiv von zehn bis fünfzehn Musikern zählt momentan nur eine Frau in ihren Reihen –, verweist aber auf den blinden Fleck einer Szene, die auf verträumter, melancholischer Männerromantik aufbaut. »Wir sind durch Punk sozialisiert worden«, erläutert Wagner, »diese Respektlosigkeit gegenüber den gesellschaftlichen Werten und Normen, aber auch gegenüber musikalischen Wertestandards, ist uns erhalten geblieben. In unseren Texten wird all das, was in der Country-, aber auch in der Indie-Country-Szene als meistens unausgesprochene Konvention mitschwingt – von der Rolle der Frau bis zur Homophobie – thematisiert, allerdings meistens auf eine eher verschmitzte Art.«
Den Kontrast zwischen herkömmlicher US-Songwriter-Musik und Lambchops verfremdender Herangehensweise bekam ich eine Woche vorm Interview mit Kurt Wagner beim Konzert von Steve Earle zu spüren. Alleine mit Akustikgitarre und Mundharmonika auf der Bühne bediente Earle sämtliche chauvinistischen Klischees vor begeistert johlendem Publikum. Ansagen wie »The next song is for the girl called forgot-her-name« sorgten ebenso für Brüller wie »coming home to your family shows you that freedom is worth fighting for«. Dieser aus »girl«, »father« und »home« zusammengesetzten Country-Standards, in denen der Mann als herumstreunender Träumer zwischen Whiskey und Nutten schwankt, um sich am Ende dann doch an die eigentlichen Werte zu erinnern, hat sich auch die Indie-Variante des Countryfolk gerne und sattsam bedient. So manche Nummern von schätzenswerten Bands wie Giant Sand und Palace Brothers basieren auf der Melancholie des einsamen Mannes, der sich nach nichts so sehr wie dem Eigenheim sehnt, ganz dem Schlüsselsong dieser weinerlichen Tradition folgend: »A Man Needs A Maid« von Neil Young.
»Wir misstrauen den Gefühlen, die mit einer Musik, wie wir sie spielen, oft ausgedrückt wird«, erzählt Kurt Wagner. »Entspannende, also traditionelle Musik wird gerne dafür eingesetzt, zu suggerieren, dass die alten Werte noch immer die besten sind. Was wir machen, ist ruhige, entspannende Musik, die zugleich immer wieder bohrende, schmerzhafte Stiche versetzt. Wir benutzen Konvention gegen deren herkömmliche Wirkung.«
Aus diesem Grund bekennt Kurt auch im Laufe unseres Gesprächs, dass er ein leidenschaftlicher Fan von Eugene Chadbourne ist, jenem Musiker, der Country vielleicht am weitesten von seiner ursprünglichen ideologischen Bestimmung entfernt hat. Obwohl Chadbourne fast immer auf der Basis von Country und Folk arbeitet, franst die Musik bei ihm an allen Rändern aus, wird fast bis zum Platzen mit widerborstigen Elementen aufgeladen, von Psychedelic bis zu Freejazz, von kommunistischer Arbeiterliedertradition bis zu Marx-Brothers-Slapstick. »Chadbourne stellt Traditionen und festgefügte Weltbilder in jeder Hinsicht in Frage. Er ist so großartig, weil er nie eindeutig wird. Obwohl er wesentlich stranger und kontrastreicher arbeitet als wir, sehe ich einige Gemeinsamkeiten. Auch Lambchop lassen sich auf keinen Nenner bringen. Wir sind ruhig, melancholisch, gleichzeitig aber auch zu keiner Zeit wirklich absolut ernst.«
Es fällt leicht, eine ganze Schule auszumachen, die mit der »neuen Stille« arbeitet und damit an den Rändern von Rock, Pop, Country und Folk für eine Behaglichkeit sorgt, die zugleich symptomatisch den Zeitgeist widerspiegelt. Aus dieser Sanftheit von zupfenden, flüsternden und hauchenden Musikern – die ganze Linie von Sigur Rós bis Savoy Grand, von Low bis zu den sehr still gewordenen Yo La Tengo – spricht sehr viel vom Bedürfnis nach dem Rückzug ins Private, nach dem geheizten Wohnzimmer und dem/
der Partner/in im Arm. Musik als Abwehr. Während draußen der meist imaginierte Feind droht, gegen den Kameras Überwachung als Sicherheit verkaufen, bleibt das zweisame Heim letztes Refugium, das sowohl als sicher wie unüberwacht gelten kann. Gegen dessen vom »New-Quiet«-Sound umspülte Harmonie wenden sich Lambchop mit einer unglaublich harmonischen, aber zugleich hintersinnig bissigen Musik, in deren Texten das Schlachtfeld vor allem im Privaten auftaucht.
Scheinbar ganz im Kontrast hierzu: Das Debüt von Labelkollege St. Thomas aus Norwegen mit dem symptomatischen Titel »I’m Coming Home«. Der schüchterne Einzelgänger hat sich den Slang und die Stimmlage von Neil Young bis zur Ununterscheidbarkeit perfekt angeeignet. Es strotzt nur so vor jenen Klischees, gegen die sich Lambchop mit all ihren Texten richten: Um Alkohol, One-Night-Stands und den Wunsch nach einer Familie geht es da und also um die verzweifelte Sehnsucht nach Ruhe, Heimat, dem »to settle down«. Man sollte sich allerdings davor hüten, diese überzogenen Klischees wörtlich zu nehmen. Das Cover zu »I’m Coming Home« zeigt das Bild einer Einbauküche mit Mustertapete, die jegliches »Homecoming« zur reinen Hölle verzerrt. So herzzerreißend traurig die St. Thomas-Variante der amerikanischen Frau-Hund-und-Herd-Musik daherkommen mag, so überzeichnet ist sie zugleich. »I’m Coming Home« ist die Übertreibung altbackener Countryfolk-Standards im Wissen um deren abgeschmackte Rhetorik. Und genau das gibt der Musik von St. Thomas einen bittersüßen Witz, der Lambchop nicht unähnlich ist. Wo die einen reflektiert Musikgeschichte und deren Klischees sezieren, klingt der andere wie eine Parodie, die gerade dadurch funktioniert, dass sie auf keinerlei Authentizität aufbaut: »I’ve never seen a cowboy before« beginnen die ersten Zeilen des Albums. Die CD endet mit den Stimmen der Musiker, nun in norwegischer Sprache, die sich nach den Aufnahmen auf den Heimweg begeben. Spätestens bei diesem Stapfen auf Kies wird klar, dass alles nur Inszenierung und unerfüllte Projektion ist.
»Lambchop Is A Woman« und »I’m Coming Home« sind beide auf Labels/ Virgin erschienen.

St. Thomas spielt am 24.3. im Prime Club.
StadtRevue verlost 5x2 Gästelistenplätze. E-Mails an verlosung@stadtrevue.de, Stichwort: Komin, Einsendeschluss ist der 20.3.