»Das war gut fürs Ego!«

Alexander Haas hat sich mit Karin Beier über ihre erste Spielzeit als Kölner Schauspielintendantin unterhalten

Karin Beier hat einen ziemlich glänzenden Start hingelegt. Publikum und Presse, regional wie überregional, haben den ersten Spielplan goutiert. Es gab echte Hits (und ein paar Ausfälle). Neben der Schauspiel-Installation »Die Erscheinungen der Mar­tha Rubin« des dänischen Performanceduos Signa war das zum Beispiel auch die »Köl­ner Affäre«, die dem Publikum besser gefiel als der Presse (die Auslastung lag bis Mai bei 85 Pro­zent). Ihr Regisseur Alvis ­Hermanis hat sich als Glücksfall für Beier erwiesen mit seiner Mi­schung aus dokumentarischem Zugriff und ei­ner eher linearen, auf Einfühlung zielen­den Spiel- und Erzählweise. So etwas geht in Köln gut.

Beiers Erfolg besteht insgesamt darin, dass sie dem Haus ein glaubwürdiges ästheti­sches Profil gegeben hat. Die Auswahl der ­Stü­cke und der Regisseure gelang, verzeich­ne­te echte Spitzen mit den radikal herausfordern­den Arbeiten von Laurent Chétouane oder den immer noch spannenden Performances von Gob Squad. Ein weiterer Höhepunkt gelang Beier mit ihrer eigenen Inszenierung von Grillparzers »Goldenem Vlies«. Geschickt verbindet die In­ten­dantin Positionen avancierter Ästhetik mit Spiellaune und Sinnlichkeit. Die kommende Saison führt mit der Leit­frage nach einer »deutschen Identität« viele Ansätze aus der ersten (»Migration«) fort.

Entscheidend für die Zukunft wird sein, ob es Karin Beier gelingt, formal und inhaltlich einerseits Kontinuität zu beweisen und anderseits immer wieder Raum für Neues zu lassen. Fürs erste dürfte sie sich an die Theaterspitze in NRW geschossen ­haben, das machen Seitenblicke auf die Konkurrenz-Häuser in Bochum, Düsseldorf und Essen deutlich.

StadtRevue: Frau Beier, Sie haben eine intensive Spielzeit hinter sich. Wie haben Sie sie überstanden?

Karin Beier: Seitdem meine letzte Regiearbeit, »Das Goldene Vlies«, hinter mir liegt, geht es mir wieder gut. Das waren sehr anstrengende Proben, was an der finsteren Materie des Stücks liegt. Jetzt befinde ich mich in einer schönen Lebenssituation. Die erste Spielzeit war erfolgreich, meiner Familie geht es gut. Ich versuche, das wirklich zu genießen, weil ich weiß, dass es selten ist, wenn wichtige Parameter des Lebens glücklich zusammenfallen.

Wie viel Genuss ist möglich angesichts der Doppelbelastung als Intendantin und Regisseurin?

Beier: Die Intendantenaufgabe finde ich bedeutend weniger anstrengend als die Regieaufgabe. Bei der Hausleitung handelt es sich um Anforderungen, die nicht ganz in die Seele eindringen. Beim Inszenieren nützt es mir nichts, schon siebzig oder mehr Inszenierungen gemacht zu haben oder Intendantin zu sein. Man ist in der Regie genauso angreifbar wie vor zehn Jahren.

Schauen wir auf’s Publikum. Wie hat es ihren ­experimentierfreudigen Spielplan angenommen?

Beier: Ganz unterschiedlich. Ich war bei manchen Arbeiten erstaunt, dass sie so toll angenommen wurden. Zum Beispiel die Dauerperformance von Signa in Kalk. Die hat richtig eingeschlagen. Und zwar bevor sie zum Berliner Theater­treffen eingeladen wurde. Bei Laurent Chétou­ane hingegen war es uns klar, dass die ­Mischung aus Hölderlin und Brechts »Fatzer« und der eher spröden und auch intellektuellen Arbeits­weise von Chétouane im Großen Haus nicht unproblematisch sein würde. Es war aber wichtig, so etwas zuzumuten. Wir arbeiten weiter mit Laurent zusammen.

Was hat nicht funktioniert?

Beier: Die Choreografie mit Schauspielern »Heute in Raum Lumina« wurde von den Zuschauern nicht angenommen. Das hindert uns nicht daran, so eine Theaterform weiterhin zu suchen. Wir machen jetzt ein Projekt mit Guy Weizmann und Roni Haver zusammen mit Amanda Millers Pretty-Ugly-Kompanie. Ich sehe sehr, sehr gerne Tanztheater.

Im Schauspiel inszeniert in der nächsten Saison ­Nicolas Stemann als Koproduktion mit dem Thalia Theater Hamburg Jelineks neues Stück, Jan Bosse mit dem Berliner Gorki Theater »Leonce und Lena«. Sind Regisseure dieser Katego­rie nur noch über Koproduktionen zu finanzieren?

Beier: Nein, mit Koproduktionen spart man kaum Geld. Ich komme aber so an bestimmte Regisseure heran, die ich unbedingt haben möchte. Bei Jan Bosse kann man an einer Hand abzählen, für welche Produktio­nen er Berlin verlässt. Ich habe ihn kriegen können, weil ich gesagt habe, okay, wir proben in Berlin. Manche Regis­seure haben auch an unseren Schauspielern Interesse. Das ist ebenfalls ein Anreizpunkt zur Koproduktion.

Thematisch wollen Sie sich in der zweiten Spielzeit der Frage »deutscher Identität« widmen.

Beier: Das Thema steht natürlich in Zusammenhang mit den Fragen nach Fremdheit und Migration der ersten Saison. Es wird spannend sein zu be­obachten, wie wir uns mit diesem Ensemble, in dem es sehr viele Migrationshintergründe gibt, mit dieser Frage auseinandersetzen. Da sich die Gründung der BRD zum 60. Mal und der Fall der Mauer 2009 zum 20. Mal jähren, bietet sich das Thema an.

Wie bilanzieren Sie die Uraufführungen von ­Nuran Calis (»Stunde Null«), Zaimo˘glu und Senkel (»Schattenstimmen«) und Christoph Nuss­baum­eder (»Mördervariationen«)?

Beier: Sie sind alle im grünen Bereich. »Stunde Null« halte ich für in sich richtig, auch wenn man die Inszenierung zu sehr »eins zu eins« finden kann. »Schattenstimmen« ist für mich nicht Zaimog˘lus stärkstes Stück. »Mördervariatio­nen« finde ich ein sehr schönes Stück. Dem sind wir in der Umsetzung nicht gerecht geworden. Das kann passieren.

In der kommenden Saison machen Sie weniger Uraufführungen. Ein Rückzug?

Beier: Das würde ich so nicht sagen. Wir machen Auto­ren­theater auch auf andere Weise. Der kommen­de »Parzifal« von Tom Kühnel und Jürgen Kutt­ner ist zum Beispiel auch eine Art Uraufführung. Denn mit der Entwicklung ihrer Arbeit lassen sie schon ein neues Werk entstehen. Das­selbe gilt für »MS Adenauer« von Schorsch Kamerun. Da wird ein neues Stück, wenn nicht geschrieben, so doch »gemacht«. Oder bei Anna Viebrock. Da wissen wir, dass sie ihren ei­genen Abend macht, der in dem Prozess kreiert wird, in dem er mit seiner Sammlung von Texten und Ideen vorbereitet und geprobt wird.

Von Ihrem Ensemble konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Einzelleistungen die Gruppenleistungen übertreffen.

Beier: Ein Ensemble braucht Zeit, um zusammenzuwachsen. Ich finde aber, dass wir etwa in den »Nibelungen« eine ganz starke Truppe waren.

Könnte der Eindruck mit den Stars zu tun haben, die Sie verpflichtet haben? Die sind in der Regel nur in den Probenphasen am Haus und erschweren die Bildung eines homogenen Ensembles.

Beier: Ich glaube, es hat viel mit der Stadt zu tun, in der ein Theater steht. Und da hat Köln es schwer. Es ist wesentlich einfacher, ein Theater in Berlin zu leiten, wo ohnehin alle wohnen. Wir mussten sehr viele Verträge machen, die bei den Rollen oder anderen Punkten Einschränkungen beinhalten. Das bringt uns den Vorteil, dass wir viele Schauspieler haben, die wir sonst nicht hätten. Den Schauspielern bringt es die Möglichkeit zu drehen. Ich würde ungern »Spitzen« abschneiden, um ein stärke­res Ensemblegefühl zu bekommen. Also müssen wir versuchen, die Schauspieler, die die gro­ße Bühne füllen können und eine exzeptionelle Kraft haben, möglichst fest an uns zu binden.