Foto: Jörn Neumann

Immer die gleichen Gesichter

Studenten sitzen in Grüppchen beisammen und unterhalten sich. Es gibt ein paar Infostände und eine kleine Bühne für die Redner. Auf einem Grill brutzeln Würstchen vor sich hin und Protestbanner dienen als Netz, um Federball zu spielen – die Auftaktveranstaltung zum NRW-Boykott gegen die nordrhein-westfälische Hochschulpolitik der schwarz-gelben Landesregierung erweckt nicht den Eindruck, als könnte viel bewegt werden. Nur etwa 300 Studenten versammeln sich Ende Mai auf dem Albertus-Mag­nus-Platz – 40.000 sind eingeschrieben. Sie demonstrieren gegen Studiengebühren, Kommerzialisierung der Uni und den neu­en Hochschulrat – denn obwohl dort zukünftig wichtige Themen der Hochschulpolitik entschieden werden sollen, sind Studenten nicht im Rat vertreten.

Neues Spitzengremium ohne Studenten

Seit Ende Mai gibt es dieses neue Spitzengremium. Die Uni ist gesetzlich dazu verpflichtet. Der Hochschulrat überwacht das Rektorat, ähnlich wie ein Aufsichtsrat den Vorstand eines Unternehmens. Das Gremium wählt den Rektor, muss Wirtschafts- und Hochschulentwicklungsplan zustimmen und bestimmt damit, welchen Weg die Uni in Forschung und Lehre einschlägt. Dass darin kein Student sitzen darf, steht allerdings nirgendwo. Trotzdem berief die Findungskommission keinen Studentenvertreter in den Rat. »Begründet hat man das mit mangelnder Erfahrung«, schimpft der Asta-Vorsitzende Oliver Jesper. Stattdessen sitzen im Hochschulrat vor allem Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft. Nur drei seiner Mitglieder kommen von der Uni, sieben von außerhalb. Prominentestes Mitglied ist Hermann-Josef Lamberti, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank.

»Die Hochschulen verändern sich heute stärker, als das seit 1968 jemals der Fall war«, meint Christoph Butterwegge. Der 57-Jährige ist Professor für Politikwissenschaften an der Uni Köln und kritisiert seit Jahren die nord­rhein-westfälischen Bildungsreformen. Erst die Studiengebüh­ren, dann die Bachelor- und Masterstudiengänge und jetzt die Ein­richtung von Hochschulräten: ­Ei­ne Verbesserung für die Studenten kann Butterwegge darin nicht erkennen, im Gegenteil: »Der Leistungsdruck hat enorm zugenommen in den letzten Jahren, viele haben Angst.« Angst davor, das erhöhte Lernpensum nicht zu schaffen oder am vorgeschriebenen Seminar nicht teilnehmen zu können. Angst davor, länger als die vorgesehenen sechs Semester für den Studienabschluss zu brauchen. Regelmäßig muss Butterwegge in seiner Sprechstunde Studenten trösten.

Massenproteste wie 1968 sind nicht in Sicht. »Es sind immer die gleichen Gesichter die man auf den Protesten sieht«, meint ein Student. Ein paar von ihnen starten die Besetzung des Rektorats, bei der über hundert Studenten mitmachen. Claire, die dabei ist, um ein Zeichen zu setzen, sagt: »Ich finde es bombastisch. Es wird viel geredet und da ist so eine klare, konkrete Handlung einfach wichtig.«

Keine Zeit für Revolte

Am zweiten Aktionstag des Boykotts umstellen Polizisten die Uni. Das Polizeiaufgebot lässt auf einen Ausnahmezustand schließen. Parolen wie »Das ist unser Haus« nützen nichts – die Entmachtung der Studenten durch den Hochschulrat wird durchgesetzt. Vielleicht auch, weil die Studentenschaft in sich gespalten ist. Als der Protestzug durch den Hörsaaltrakt zieht, um die Kommilitonen zu mobilisieren, raffen sich nur wenige auf. »Lasst mich in Ruhe. Das interessiert doch keinen«, murmelt eine Studentin vor ihrem Laptop.

Keine Zeit für Revolte – für Butterwegge auch eine Folge der Überlastung. »Hier wird eine ­Fabrikmentalität erzeugt, die kritisches Denken abtötet.« Holger Burckhart von der Philoso­phi­schen Fakultät sieht das anders. Als Prorektor der Uni ist er zuständig für die Umsetzung der Reformen. »Das Studium ist zwar verschulter geworden, von vielen Studenten wird aber ge­rade das als angenehm empfunden.« Wo sich die Studenten früher Seminare einzeln aus dem Vorlesungsverzeichnis pickten, gibt es heute detaillierte Studienpläne für jedes Semester. In tra­ditionell stark struk­­turierten Fächern wie Jura oder den Naturwissenschaften falle den Studen­ten die Umstellung leichter. Geis­teswissenschaftler hät­­ten größere Schwierigkeiten, meint Burckhart: »Mit einer Kultur des Verweilens und Reflektierens geht das nur schwer zusammen.«

Oliver Jesper fürchtet, dass die Studenten in Zukunft noch weniger mitreden dürfen. Deshalb ruft er weiterhin zum Protest auf. Dass sich der Kampf ­lohne, zeige sich in Hessen, wo die rot-rot-grüne Mehrheit im Landtag versucht, die Studien­gebühren wieder abzuschaffen. Auch in NRW könnte es dann wieder rumoren. Vielleicht ein bisschen wie 1968.