Das Straucheln des Blicks

Als der französische Fotoreporter Didier Lefévre 1986 zum ersten Mal nach Afghanistan reist, hat der seit 1979 tobende Kampf zwischen sowjetischen Invasionstruppen und aufständischen Mudschaheddin schon unzählige Opfer gefordert. Den Überlebenden will eine Gruppe junger Mediziner der Organisation »Ärzte ohne Grenzen« helfen. Lefèvre begleitet ihre Expedition von Pakistan aus auf ihrem Marsch ins afghanische Kriegsgebiet.

Seine Erlebnisse und Beobachtungen veröffentlichte Lefévre nicht nur als gewöhnliche Fotoreportage. Zusammen mit dem Zeichner Emmanuel Guibert und dem Koloristen Fréderic Lemercier entstand die dreibändige Comic-Reportage »Der Fotograf«, deren erste zwei Teile nun in deutscher Übersetzung erschienen sind. Der erste Band (»In den Bergen Afghanistans«) erzählt vom beschwerlichen Weg über Gebirgspässe und wacklige Brücken, von nächtlichen Märschen durch Kälte und Schnee, in ständiger Furcht, von russischen Kampffliegern entdeckt zu werden. Der zweite Band (»Ärzte ohne Grenzen«) dokumentiert die eigentliche Arbeit der Ärzte in der Region Bakshavar – den Aufbau eines Lazaretts unter notdürftigsten Bedingungen, von Operationen an jungen Mudschaheddin-Kämpfern mit zerschossenem Kiefer, an Kindern, die ein winziger Granatsplitter ihr Leben lang lähmen wird. Oft können die Helfer das Sterben ihrer Patienten nicht aufhalten, sondern nur den Schmerz lindern. Und erfahren gerade dafür großen Dank der Familien, die die Gewissheit tröstet, dass ihre Angehörigen umsorgt gestorben sind. Zwischen solchen erschütternden Schilderungen schleicht sich immer wieder der Alltag ein – eine Gruppe von Kindern etwa, die auf der Straße Kopfstand üben.

Nun kennt man Berichte aus Afghanistan seit Jahren aus dem Fernsehen. Sie zeigen ein vom Krieg geschundenes, scheinbar nur von Terroristen und Frauenunterdrückern bevölkertes Land. Dass es dem »Fotografen« nun gelingt, den immer gleichen Bildern eine andere Sicht entgegenzusetzen, hat neben der wachen, von großer Humanität geprägten Neugier Lefévres auch mit dem ungewöhnlichen medialen Mix dieser Comic-Reportage zu tun: Die tiefenscharfen Schwarzweiß-Aufnahmen Lefévres wechseln sich mit den Bildern Guiberts und Lemerciers ab, deren matt kolorierte Panels deutlich in der Nachfolge der »ligne claire« von Hergés »Tim und Struppi«-Bänden stehen. Der in keinem vorgegebenen Rhythmus stattfindende Wechsel beider Formen sorgt für eine nie ganz gelöste Spannung und eine bewusste Entschleunigung des Blicks. Wie Didier Lefévre selbst gerät man als Leser im unwegsamen Gelände dieser einzigartigen graphic novel immer wieder ins Straucheln. Der dritte Band soll Anfang 2009 erscheinen.

Guibert/Lefévre/Lemercier: Der Fotograf, Bd. 1: Aus den Bergen Afghanistans, Bd. 2: Ärzte ohne Grenzen, Edition Moderne, Zürich 2008, jeweils 80 S., 24 Euro€