Die schöne und die böse Stadt

Afrikanische Fotografie hat hier in den letzten Jahren durch mehrere herausragende Ausstellungen geradezu einen Hype erlebt: »Snap me one!« 1998/99, »Porträt Afrika« letztes Jahr in Berlin. Was hat die Düsseldorfer Ausstellung »Flash Afrique« dem noch hinzuzufügen, fragt Larissa Förster.

Als Fotograf mache er »nach wie vor« von sich reden in Mali, heißt es im Katalog über Malick Sidibé. Doch in der Ausstellung »Flash Afrique – Fotografie aus westafrikanischen Metropolen« im Düsseldorfer NRW-Forum Kultur und Wissenschaft sehen wir zu einem großen Teil das, was wir bereits kennen: seine Arbeiten aus den 60er und 70er Jahren, in denen er die Aufbruchsstimmung im kurz zuvor unabhängig gewordenen Ghana in den Bildern tanzender, feiernder und posierender Jugendlicher fest hielt. Arbeiten, durch die Sidibé im internationalen Ausstellungsbetrieb bekannt geworden ist; Arbeiten, die so packend sind, dass sie auch Documenta-Leiter Okwui Enwezor in seiner Ausstellung »The Short Century« (Berlin 2001) in der Abteilung Musik unterbrachte. Doch was mag Sidibé bloß in den 80er und 90er Jahren getrieben haben?
Die Kuratoren der von der Kunsthalle Wien übernommenen Ausstellung plagt diese Frage nicht. Setzen sie doch zunächst ohnehin auf die bekannten Highlights afrikanischer Fotografie: die maßgeblichen Arbeiten bereits bekannter Fotografen, wie sie sich in den vergangenen drei Jahren im Ausstellungsbetrieb etabliert haben. Neben Sidibé ist der mittlerweile auf dem Kunstmarkt gut vertretene, jüngst verstorbene Seydou Keïta zu sehen, durch den die Schwarz-Weiß-Studiofotografie Afrikas bei uns »entdeckt« wurde. Ebenso Philip Kwame Apagya, der durch den Einsatz gemalter Hintergrundkulissen einen Stil schuf, der die afrikanische Studiofotografie schließlich allen zeitgenössischen Diskursen von Identität, Hybridität, Modernität und Multimedialität zugänglich machte. Der Ghanaer Apagya war z.B. auch zusammen mit den Likoni-Ferry-Fotografen aus Kenia in der Ausstellung »Abbild« auf dem Steirischen Herbst in Graz vertreten, neben Inkunabeln wie Sherman, Kippenberger, Bourgeoise u.a. Er gehört zu denjenigen Künstlern, die durch wichtige Ausstellungsbeteiligungen und auch Einzelausstellungen auf internationaler Ebene der Kategorie »afrikanische (Studio-)Fotografie« bereits entwachsen zu sein scheinen.
Damit hätte die Vorgabe, eine Ausstellung mit einigen auserlesenen Künstlerpersönlichkeiten der westafrikanischen Fotografenszene zu machen, eigentlich klar sein können. Denn die Arbeiten von Keita und Apagya bestechen in ihrer präzisen Studio-Inszenierung mit den kleinen lebensnahen Brüchen genauso wie die von Sidibé mit ihren wilden Posen aus dem realen Leben. Wären die Ausstellungsmacher doch bloß nicht der Verlockung erlegen, trotz angeblicher Distanzierung vom ethnologisch-soziologischen Blick wieder etwas zutiefst Didaktisches in die Ausstellung hineinzubringen, das den künstlerischen Ansatz geradezu konterkariert.
Als Gegengewicht nämlich zu den konstruierten, inszenierten Studiofotografien hat man sich auf Dokumentarfotografie gestützt, um damit offenbar das Phänomen afrikanischer Megastädte darzustellen. So wurden die Serien »Les fous d’Abidjan« und »Les gamins des Abidjan« von Dorris Haron Kasco und »Les trottoirs de Dakar« von Bouna Medoune Seye den Arbeiten der anderen drei Künstler gegenübergestellt. Beide zeigen Außenseiter der urbanen Gesellschaft und des urbanen Gefüges afrikanischer Städte in kleinformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien: Bettler, Obdachlose, Verrückte, Straßenkinder. Sie zeigen Augenblicke der Verstörung, der Resignation, aber auch des Sich-Eingerichtet-Habens auf den Straßen der großen Städte. Die Fotografen haben sich mit den Fotografierten und ihrem Leben intensiv auseinandergesetzt, so erfährt man im Katalog, doch der Ausstellungsbesucher wird vor einer solchen Menge marginalisierter Figuren leicht zum Voyeuristen.
Und schließlich kann es nicht ausbleiben, dass man sich fragt, wo hier denn eigentlich der städtische Alltag steckt? Irgendwo zwischen den illusionistisch verträumten »Wunschmaschinen« der Fotostudios eines Apagya und dem »Wahnsinn und existentiellen Überborden in den überbevölkerten Metropolen Westafrikas«, wie es auf den Texttafeln der Ausstellung so klischeehaft heißt, muss doch irgendwo auch die ganz normale Stadt und ein ganz normaler städtischer Alltag existieren! Zumal man hinzufügen möchte, dass der »städtische Wahnsinn« mit größter Wahrscheinlichkeit nichts spezifisch Westafrikanisches ist, sondern aus anderen Megastädten wie Kairo, Mexico, oder auch New York genauso bekannt sein dürfte. Und so scheint der Leitgedanke der afrikanischen Stadt als Interpretationsansatz für die Arbeiten Kascos und Seyes auch mehr oder minder aus Berlins »Portrait Afrika«-Ausstellung übernommen, nur mit dem Unterschied, dass dort differenzierter über afrikanische Städte diskursiert wurde.
Für den städtischen Alltag bleibt allein, aber immerhin eine Serie von durch Leuchtkästen animierten Fotos von Boubacar Touré Mandémory aus Senegal. Er lenkt den Blick zwischen Menschen hindurch, an ihnen vorbei, auf Kleinigkeiten: auf einen vorbeihuschenden Hula-Hoop-Ring, eine Hand, die eine Klarsichttüte verknotet, einen ganz in Weiß Gekleideten auf einer entfernten Straßenkreuzung; auf einen Eimer, der auf dem Kopf zu Markte getragen wird; auf den Boden des Marktplatzes, einen Fuß in Sandale im Vordergrund. Fast lomoesk aus der Hüfte fotografiert, bevorzugt Mandémory die Untersicht, durch die sich die Figuren schwarz gen Himmel abheben: an den Rändern sind immer nur Schatten oder Silhouetten von Armen und Beinen, selten ganze Personen und nie Gesichter auszumachen. Hier sind Arbeiten zu sehen, die weder üppig noch kläglich zur Schau stellen, sondern vielleicht gerade das Prinzip der Zurschaustellung selbst unterminieren wollen. Das eröffnet einmal eine ganz andere Perspektive auf afrikanische Fotografen: es sind also nicht alle Portraitisten!
Drei sehenswerte Filme werden in der Ausstellung per Video gezeigt. »Future Remembrance« von den EthnologInnen Tobias Wendl und Nancy du Plessis, ein preisgekrönter Film über Studiofotografie in Ghana, der das Genre auch in andere künstlerische Praktiken, etwa die Portraitskulptur einbettet. Er enthält auch Interviewpassagen mit Philip Kwame Apagya. Dorris Haron Kascos »Djaatala – Der Schattenfänger« ist eine Hommage an Cornelius Yao Azaglo Augustt, einen der frühen Studiofotografen aus Côte d’Ivoire, und Bouna Medoune Seyes »Zone Rap« eine Dokumentation über die Hip-Hop-Szene in Dakar. Mit den beiden zuletzt erwähnten Arbeiten werden Kasco und Seye in der Ausstellung glücklicherweise rehabilitiert, weil sie die Künstler aus der Schublade der Porträtisten »städtischen Wahnsinns« wieder entlassen. Es werden Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Genres der Fotografie geschaffen, zwischen unterschiedlichen visuellen Medien, und ganz allgemein Bezüge zwischen unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen hergestellt. Diese Vernetzungen schaffen ganz von selbst und ohne viel Didaktik Einblicke in den kulturellen Kontext, in dem die Künstler arbeiten.
Und damit wird schließlich auch die Unentschiedenheit der Ausstellung klar. Denn es wäre ja längst Zeit, dass man die Fotografen einmal aus der Afrika-Ecke holt, dass man ihr Werk auch in seiner Entwicklung betrachtet, dass man den bekannten Motiven experimentellere Arbeiten zur Seite stellt, um vielleicht auch irgendwann das Label »afrikanische (Studio-)Fotografie«, unter dem sie bekannt geworden sind, wieder aufzugeben. Dafür hat die Ausstellung einige Ansätze geschaffen, z.B. mit den unterschiedlichen Medien, aber auch mit dem Katalog, der sich durch fundierte Texte und Interviews mit allen beteiligten Künstlern hervorhebt. Doch um konsequent zu sein und nicht hinter bereits an anderen Orten Geleistetes zurückzufallen, hätte man sich plakative, klischeehafte Deutungen wie die der Hyperurbanisierung afrikanischer Städte und ihrer Auswirkungen im Straßenbild etc. sparen müssen. Und an den Stellen weiterdenken müssen, wo Neues auftaucht: Statt eine Art »Best of African Pop Music«-Kompilation an der Kopfhörertheke zu installieren, die lediglich allgemein-afrikanisches Kolorit zu versprühen sucht, sich dann schon eher der bereits erwähnten senegalesischen Rapszene widmen.
NRW-Forum Kultur und Wirtschaft Düsseldorf, Ehrenhof 2, bis 7.4., di-so 11-20, fr 11-24 Uhr; Katalog 29,50 Euro.