Ich bin dagegen!

»Und dann noch ein unfähiger Komponist. Der Beschwerde­­chor hat es nicht leicht. Selbst über seinen Komponisten und Leiter ist eine Beschwerde ein­gegangen! Wilfried Kaets nämlich »will nur eigene Klischees von Köln reproduzieren. Warum nimmt man Leute wie Kaets?«

Von dieser Beschwerde über Kaets und seine Arbeit erfährt man durch den Chor selbst: Der Auftakt des Kölner Beschwerde­chors fängt mit dem Lamento über seinen Komponisten an! Mehr noch, der Chor beklagt sich über sich selbst – alles habe man geklaut, von den Finnen nämlich. Die hät­ten mit dem Beschwerdechor angefangen. Um dem noch die Kro­ne aufzusetzen: Der musikalische Auftakt des Kölner Beschwerde­chors ist tatsächlich ein Plagiat der finnischen Originalbeschwerdekomponistin Esko Grundström!
»Das ist nun mal so: Es gab ei­ne Beschwerde über mich«, Kaets nimmt’s gelassen, »und ­mei­ne Auf­gabe bestand darin, alle ein­ge­gan­genen Beschwerden zu vertonen.« Wirklich alle? »Ja, es gibt insgesamt 700. Davon werden 200 ver­tont, die restlichen 500 verarbei­ten wir in einer ­Performance.«

»Asoziale Hundescheiße«

In diesem Frühjahr riefen Kölner Philharmonie und der Landesmusikrat NRW zum kollektiven Dampfablassen auf. Sie ärgern sich? Sie haben Frust? Nur raus damit! Melden Sie uns Ihr Ärgernis! Wir machen daraus Musik! Die finnischen Künstler Tellervo Kalleinen und Oliver Kochta-Kalleinen starteten vor zwei Jahren in Helsinki den ersten Chor dieser Art, seitdem hat das Projekt weltweit in zwanzig Städten Nachahmung gefunden. Jetzt ist Köln an der Reihe, seit Mai wird geprobt.
85 Leute kommen zur Probe am 13. August in der Alten Feuerwache, es ist die fünfte, vier werden noch folgen. Die Fluktuation ist hoch, es waren auch schon über hundert Sänger da, aber es gibt einen festen Kern. Schnell ein Blick in die Runde: Zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer, viele Junge, viele Alte, kaum Mittelbau. Und auch kaum Badewannen-Carusos. Erstaunlich viele Teilnehmer haben bereits in Chören gesungen. »Ich komponiere von Probe zu Probe«, erklärt Kaets. »Wir tasten uns gemeinsam voran: Was kann ich dem Chor abverlangen? Was will der Chor mir entgegenbringen?« Erstaunlich viel, denn, so Kaets, »wenn wir die nächsten Proben auch so gut durcharbeiten, werden wir die anderen Beschwerdechöre an Komplexität und Variantenreichtum weit übertreffen«.

Und den Variantenreichtum brau­chen sie auch, 700 Beschwerden sind viel Holz: gröhlende Männer am Eifelplatz, der olle Meisner soll endlich in Pension gehen, Hundescheiße allüberall, Klingel­tonterror, elende Warterei bei den Ärzten, die asoziale Privatversicherung, die fetten Poli­tiker, und dann wären noch die idioti­sche Hebräischlehrerin, ner­vende Hunde (»wollen nur spielen«), eine Ampel auf der Neusser Straße, die nie auf Grün springt, und die breitarschigen Mütter mit ­ihren Kinderwagen auf den Rad­wegen! »Ist ja auch Unterhaltung, ist ja nicht nur Ernst«, meint Kaets.

Zwanglose Chordiktatur

Der Chor geht aber ernsthaft zur Sache, die Leute sind hochkonzentriert und lassen sich von Motivator Kaets mitreißen. Immer wieder gehen sie einzelne Takte durch, Kaets korrigiert, feuert an, präzisiert, ermuntert Solisten. Die zweistündige Probe vergeht im Handumdrehen. »Die­se Passagen rauschen bei der ­Premiere in wenigen Sekunden vorüber, da muss dann alles sitzen!«, begründet Kaets seine Pedanterie. Die Frage, warum man »Leute wie Kaets nimmt« erübrigt sich jedenfalls: Der Komponist, der schon viel Erfahrung mit Chören und der Vertonung von Stummfilmen sammeln konnte, hat seinen Chor einfach wunderbar im Griff. Er hat ihm ein Chorwerk auf den Leib geschneidert, das im Kern wie eine Mischung aus den späten Beatles und dem mittleren Frank Zappa klingt, aber reichlich zitatgesättig­ten Intermezzi Platz bieten soll.
Die Musik ist kein Selbstzweck, die kompositorische Arbeit steht ganz im Dienst der Sache: So wie die Beschwerden buchstäblich ungefiltert zum Libretto verarbeitet wurden, so soll auch die Musik direkt den Bedürfnissen des Chores angepasst werden. »Ein Chor ist nicht demokratisch, das hier ist Diktatur«, ruft Kaets in die Runde. Ja, aber eine eigenartige: eine Diktatur ohne fremden Zwang.

Mit seinem großen Auftritt in der Philharmonie während der Kölner Musiknacht wird der Beschwerdechor seinen Auftrag erfüllt haben, damit ist für Kaets die Arbeit beendet. Das Projekt ist bereits jetzt ein Erfolg. Mit dieser Flut an Beschwerden und dieser Präsenz bei den Proben haben weder Philharmonie noch Landesmusikrat gerechnet, die Leute kommen sogar aus Düren und Limburg angereist. Wer ­weiß, vielleicht gibt es einen ­harten Kern, der motiviert genug ist, den Chor auch über das Ereignis im September fortzu­führen. Das wäre mal ein Kölner Ereignis, ­das keinen Anlass zur Beschwerde böte.


Termine:
Fr 12.9., Rathaus Köln, 18.30 Uhr (Preview); Sa 20.9., Philharmonie, 21 Uhr (im Rahmen der 4. Kölner Musiknacht)