»Eine anarchistische und flirrende Zeit«

StadtRevue: Patrycia Ziolkowska, man weiß bei Karin Beiers Ensemble von einigen Spielern, vor allem den bekannteren, nicht so genau, ob sie nun feste Ensemblemitglieder sind oder nicht.

Patrycia Ziolkowska: (augenzwinkernd) Ja, ja.

Wie ist es bei Ihnen? Sind sie Gast?

Na ja, so halb eben. Die Leitung und ich sprechen miteinander über das, was wir gemeinsam machen wollen. Ich weiß nicht, wie die anderen das machen. Ich mache es so.

Wohnen Sie inzwischen in Köln?

Es kommt darauf an, wie der Spiel­plan aussieht und die Vorstellungen disponiert sind. Jetzt bin ich erst­mal bis November, Dezember hier. Dazwischen bin ich oft in Ber­lin, wo ich hauptsächlich wohne.

Als Nächstes sind sie in »Faust I« in der Regie von Laurent Chétouane zu sehen – einem außergewöhnlichen Theatermacher. Wie erleben Sie die Arbeit mit ihm?

Die Art, wie er arbeitet, empfinde ich als sehr frei. Man kommt zur Probe und weiß nicht, was passieren wird. Man kann sich nur bedingt vorbereiten. Das ist auch nicht das Thema. Wir sind acht Leute, sechs Schauspieler und zwei Tänzer. Wir sind immer alle acht auf der Bühne. Erst einmal geht es darum, wie diese acht Menschen zueinander in diesem Raum stehen. Was für eine Spannung baut man zueinander auf? Das finde ich sehr interessant, es passiert jedes Mal etwas Neues.

Sie sprechen von Menschen, nicht von Figuren. Ist das charakteristisch für Chétouanes Theater?

Nach erst einer Probenwoche ist das für mich schwer zu beantworten (Das Gespräch fand Ende August statt, die Red.) Wir sind im Moment dabei herauszufinden, wie wir diesen Stoff erzählen wollen. Da hat jeder seine eigenen Assoziationen. Wir beschäftigen uns im Grunde mit der Frage: Was ist das, das Ich? Oder was ist das, wenn im »Faust« ein Geist auftritt? Wir beleuchten das Stück eher von hinten und von den Seiten als frontal. Chétouane fordert sein Publikum, man muss sehr wachsam sein. Mir gefällt, wie er über Räume nachdenkt, über Körper, über den Körper des Schauspielers auf der Bühne und darüber, was der Mensch ist, der dahinter steht. Und natürlich über die Frage, wie man mit der Sprache umgeht.

Sie haben 2007 große Erfolge gefeiert: die Lotte in Fatih Akins in Cannes wie beim Deutschen und
Europäischen Filmpreis gekrönten
»Auf der anderen Seite«. Im Theater haben Sie für Ihre Kölner Kriemhild den Darstellerinnenpreis des NRW Theaterfestivals gewonnen und in Luk Percevals »Molière« bei den Salzburger Festspielen gespielt. Eine herausragende Zeit, oder?


Es war insofern herausragend als ich einfach gute Arbeiten machen konnte, die dann aufgeblüht sind. Aber es ist nicht so, dass ich zurückblicke und denke: Ach, das war schön, das letzte Jahr! Nein, es geht weiter. Es gibt keinen Grund, um sich auszuruhen, das Nächste kommt. Man kann so etwas genießen, sollte es auch, finde ich. Aber ansonsten: Was heißt das schon?

Im Film zum Beispiel mehr Glamour.

Natürlich ist der Film glamouröser. Es ist ein anderer Rahmen. Ich war wahnsinnig aufgeregt bei der Premiere in Cannes. Aber jede Arbeit ist für mich gleichwertig, weil ich immer alles in sie hinein gebe. So eine Theaterarbeit wächst zum Beispiel ganz anders. Du hast viel mehr Zeit. Und wenn du abends auf der Bühne stehst, kannst du selber etwas verändern und bestimmen. Das hat man beim Film zum Beispiel nicht. Die Drehzeit dauert eineinhalb bis zwei Monate. Dann gibst du alles ab. Der eigentliche Film passiert ja im Schnitt. Anderseits ist so ein Film für die Ewigkeit auf Celluloid gebannt!

Was macht für Sie einen wirklich guten Theaterschauspieler aus?

Das ist für mich eine schwierige Frage, weil ich den Beruf ja selbst ausübe. Aber mir gefällt es am besten, wenn ich nicht mehr sehe, dass da einer besonders virtuos sein will mit den Mitteln, die ihm oder ihr zur Verfügung stehen. Wenn ich alles um mich herum vergesse. Wenn sich alles zu ei­nem Bild zusammenpuzzelt und das gleichzeitig auch noch als etwas Persönliches erscheint von demjenigen, der es macht. Und wenn es mich berührt. Wenn es mich erstaunt. Oder wenn ich plötzlich ganz kindlich auf etwas blicken kann. Das gelingt einem als Schau­spieler nicht immer.

Ihre Kriemhild in Karin Beiers
»Nibelungen« hatte etwas Spinnenhaftes. Wie wichtig ist der Körper, ist Körperlichkeit bei Ihrer Arbeit?


Das hat meistens mit der Entwick­lung der Figur zu tun. Bei Kriemhild, dieser »Schwarzen Witwe«, haben wir im Team darüber gesprochen, wie sie diese sieben Jahre am fremden Hof von Etzel verbracht hat. Es war uns und mir wichtig zu erzählen, dass Kriemhild nicht nur Opfer, sondern auch Täterin ist. Ich habe mir überlegt, dass sie die Kraft und Geduld hat zu warten, lange zu warten. Das hat etwas Asketisches. Es ist ein In-sich-ruhen, aber gleich­zeitig ein Toben. Sie wartet eigentlich nur auf den richtigen Moment. Und wenn sie weiß, der Tag naht heran, wird sie plötzlich auch sehr tierisch.

Ist es für die Bildung eines Ensemblegeistes in Köln ein Problem, wenn Leute wie Sie weniger oft da sind, weil sie auch drehen wollen?

Das kann ich schwer beurteilen. Es ist jedenfalls nicht so, dass ich mich nicht willkommen fühle, wenn ich längere Zeit nicht da war. Ich denke, dass jeder sich selbst fragen muss, was er von einem Ensemble erwartet. Ist einem das vielleicht schon zu nah? Man muss ja nicht alles miteinander teilen. Und jede Arbeit, die man macht, bildet auch wieder ein Ensemble im Ensemble. Das wird sich jetzt auch alles zeigen. Es hat ja alles sehr gut begonnen.

Stimmt, das Haus erntet Lob über Lob.

Ja, die erste Spielzeit hatte eine unglaubliche Kraft und etwas Flirrendes und Anarchistisches. Es war offen und herzlich. Auch wie wir vom Publikum hier aufgenommen wurden.


Patrycia Ziolkowska ist im Oktober am Schauspiel Köln in »Faust I« (Premiere: 17.10.), »Das Goldene Vlies« und »Nibelungen« zu sehen.