Strichmännchen mit Rock und Herz

Das Künstlerinnen-Kollektiv »Migrantas« entwickelt Piktogramme auf Grundlage von Zeichnungen, die Kölner Zuwanderinnen gemacht haben

»Ganz oft habe ich dieses Gefühl: Ich schwebe. Bin nirgendwo richtig zu Hause, weder hier noch dort.« Dort, – das ist für die 22-jährige Hacer die Türkei, wo ihre Eltern aufwuchsen. Wo die Studentin ihre Ferien verbringt, um ihre Verwandten zu besuchen. Aber auch hier, in Köln, fühlt sie sich »nicht wirklich willkommen« – obwohl sie in Kalk geboren wurde. »In Deutschland bin ich die Türkin, in der Türkei die Deutschländerin«, sagt sie. Im Rahmen eines Workshops hat sie ihre Empfindungen in eine Zeichnung gepackt. Entstanden ist eine anrührende Skizze: Ein Strichmännchen, das Kopftuch trägt und über zwei Inseln schwebt – wenige Zentimeter über dem Boden. Die Arme sind hilfesuchend nach oben gerissen. Es könnte eine Kinderzeichnung sein, nur ist sie politischer und trauriger.

Das Projekt »Bundesmigrantinnen« des Berliner Künstler-Kollektivs »Migrantas« möchte sichtbar machen, wie zugewanderte Frauen denken und fühlen. In den Kölner Workshops – zuvor gab es bereits welche in Berlin und Hamburg – tauschen die Migrantinnen ihre Erfahrungen aus und bebildern, was sie im Alltag erleben. Im Supermarkt, bei der Arbeit oder auf Ämtern. Zwei Künstlerinnen des Kollektivs, Marula Di Como und Florencia Young, entwickeln im nächsten Schritt aus den Zeichnungen Piktogramme. »Wir wollen im Stadtbild präsent sein. Die Menschen sollen uns wahrnehmen und besser verstehen«, sagt die Migrantas-Grafikerin Florencia Young, die selbst vor sechs Jahren aus Argentinien nach Berlin gezogen ist. Drei ihrer vier Arbeitskolleginnen – Estela Schindel, Alejandra López und Marula Di Como – stammen ebenfalls aus Argentinien, Irma Leinauer koordiniert das Projekt. Wichtig ist ihnen die Begegnung auf Augenhöhe: »Wir sind in der gleichen Situation wie die Frauen in den Workshops«, so Young.

»Wir bringen Farbe in die Gesellschaft«

Die 100 Kölner Teilnehmerinnen haben rund 250 Zeichnungen angefertigt. Mal transportieren sie eine nachdenkliche Stimmung, mal eine freudige – oder irgendwas dazwischen. So wie die Skizze, die Beshid Najafi von der Kölner Fraueninitiative »agisra« angefertigt hat. Eine Migrantin steht mit einer Gießkanne im Garten, um sie herum viele Blumen. »Wir bringen Farbe in die Gesellschaft!«, kommentiert Beshid Najafi ihr Bild. Die Künstlerinnen haben aus Schlüsselmotiven der Kölner Serie insgesamt zwölf Piktogramme entwickelt, drei davon werden ab 24. Oktober als Plakate in der Stadt aushängen. Wie alle Piktogramme funktionieren sie über ihre reduzierte Ästhetik und sind universell verständlich. Junges, modernes Design, gepaart mit nüchternem Formalismus, der die Bilder angenehm klischeefrei wirken lässt, machen aus dem politischen Projekt auch ein künstlerisches. Keine Schwere, keine Betroffenheit haftet den Bildern an, sondern Witz und ironische Brechungen. Sie sehen gut aus, die Piktogramme, man könnte sie sich auch aufs T-Shirt drucken lassen.

»Natürlich hat eine italienische Frau eine andere Geschichte als eine afrikanische. Aber es gibt auch wiederkehrende Themen wie Heimat, Bildung oder Beruf«, erklärt Young den Entstehungsprozess. Manchmal würden zwanzig Zeichnungen zu einem Piktogramm verschmolzen, manchmal bilde aber auch eine einzelne Skizze die Vorlage. So wie für das Piktogramm »Kölnerin«: Auf dem knallgelben Plakat macht eine farbige Frau ein Peace-Zeichen. Im Hintergrund fließen die künstlerisch verfremdeten Türme des Doms, die Kuppel einer Synagoge und ein Minarett zu einem Bauwerk zusammen. Ein Kreuz, ein Stern, eine Sichel – mehr braucht Eleni Orfanidou nicht, die die Originalzeichnung geliefert hat, um auszudrücken: »Es gibt Platz für alle in Köln.«


»Migrantas«
Im Rahmen des Projekts sind drei Piktogramme ab 24. Oktober als Plakate in U-Bahn-Stationen und auf Litfaßsäulen zu sehen. In einer begleitenden Ausstellung werden alle 250 Originalzeichnungen und zwölf Piktogramme mit sozialwissenschaftlichen Begleittexten gezeigt. Die Schau läuft vom 8. bis 14. November im Rahmen der Inter­kulturellen Woche im Studio DuMont, DuMont Carré/Breite Straße 72. Mo-Sa 11-17 Uhr, So von 12-17 Uhr, Eintritt frei. Bei der Vernissage am 8. November (14 Uhr) sind die Work­shopteilnehmerinnen anwesend.

www.migrantas.org
www.buehnederkulturen.de