Krieg ist ein schlechter Acid-Trip

In »Waltz with Bashir« macht sich Ari Folman auf die Suche nach seiner verdrängten Vergangenheit – ein Gespräch über Film

als Therapie und die Grenze zwischen Realität und Halluzination

StadtRevue: Ich würde gerne mit der Frage beginnen, die Ihnen Ihr Freund auch im Film stellt: Kann ein Film therapeutisch sein?

Ari Folman: Auf jeden Fall. Ein Film ist besser als jede Psychotherapie. Viel besser. Weil er eine dynamische Art von Therapie ist. Man reist, trifft Leute, man forscht, macht Aufnahmen und montiert sie. Kurz, man beschäftigt sich äußerst gründlich mit einem Thema. Das ist viel besser als für kurze Zeit vor irgendjemand sein Herz auszuschütten und anschließend shop­pen zu gehen
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Sie haben mehr als vier Jahre an diesem Filmprojekt gearbeitet. Hat es Sie verändert?

Oh ja – als wir anfingen war ich Single und bei Produktionsende Familienvater mit drei Kindern! Aber im Ernst: Es hat mich sehr verändert. Wenn ich noch vor fünf Jahren ein Foto von mir aus meiner Militärzeit, als ich neunzehn war, betrachtete, dachte ich: Diesen Typ kenne ich zwar, aber es verbindet mich nichts mit ihm. Wenn ich mir dieses Foto jetzt ansehe, kann ich diese Zeit als Teil meines Lebens anerkennen.

Welche Bedeutung hatte Ihrer Meinung nach der Krieg im Libanon 1982 für Israel?

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Israel Krieg immer nur als Verteidigungsmaßnahme geführt. Dieser Krieg war etwas völlig anderes. Wir marschierten in ein anderes Land ein. Wenn man aus solch einem Krieg heimkehrt, redet man zu Hause nicht viel darüber. Es war zu kompliziert.

Dann gibt es in Israel eine ganze Generation von Männern in Ihrem Alter, die Ähnliches zu erzählen hätte?

Mein Leben hat sich völlig verändert. Wo immer ich jetzt hingehe – auf eine Party, zu einer Eröffnung, einer Hochzeit, was auch immer – erzählen mir die Leute von ihren grausamen Kriegserinnerungen. Ich sage ihnen: Macht einen Film daraus!

Was hielt die israelische Presse von dem Film?

Der Film kam allgemein sehr gut an. Es gab keinerlei politische Debatte darüber.

Hat Sie das enttäuscht?

Ganz und gar nicht, ich bin froh darüber. Und es hat mich überrascht. Ich dachte, mein Film würde sofort als linksliberale Propaganda abgestempelt. Das geschieht sonst immer. Manchmal unterschätzt man sein Publikum.
Ich verstehe den Film auch weniger als politisches Statement, sondern als Bericht einer traumatischen Erfahrung. Nicht zuletzt, weil die realen Ereignisse, die er zeigt, wie Traumbilder wirken. Der Krieg als Halluzination.
Krieg ist eine Menge Dinge. Meiner Meinung nach ist er vor allem eines: ein sehr schlechter Acid-Trip. Eine surreale Erfahrung, in der die Grenzen zwischen Wahrnehmung und Halluzination völlig verschwimmen. Dazu kommen Angst, Aufregung, all das. Dieses Gefühl wollte ich in Bildern nachempfinden.

Also ist »Waltz with Bashir« gewissermaßen ein realistischer Film?

Für mich ist er realistisch: So sieht Krieg aus, so fühlt er sich an.

Der Film macht eine Reihe von Anspielungen auf den Vietnamkrieg. Kann man den Krieg im Libanon mit dem »Polizeieinsatz« der USA in Vietnam vergleichen?

Auf gewisse Weise, ja. Es war das erste Mal, dass über einen Kriegseinsatz öffentlich diskutiert wurde, dass es eine starke Anti-Kriegs-Bewegung in Israel gab.

Vor allem der Soundtrack gibt den Kriegsbildern diese leicht unwirkliche Qualität, wie man sie sonst aus Vietnam-Filmen kennt: Erst hören wir Bach, dann Johnny Rotten.

Diese Musik ist mein Leben! Ich höre eine Menge klassischer Musik. Aber in den 70ern lebte ich in London, und um die Sex Pistols kam man damals nicht herum.

Der Film funktioniert hervorragend als Animationsfilm. Warum zeigen Sie am Ende dann doch dokumentarisches Archivmaterial?

Ich wollte alles ins richtige Verhältnis setzen. Ich wollte vermeiden, dass nach dem Abspann jemand das Kino verlässt und denkt: hey, tolle Animationen, richtig cool. Schön gezeichnet, klasse Soundtrack. Und darüber das Wesentliche vergisst: All das ist wirklich passiert. Es gab ein Massaker, Menschen sind gestorben.