Das universale Gesellschaftsspiel

Jeder will mitmachen: Felix Scharlau erzählt vom Aufstieg eines Mediums

Würde die »80er Jahre Show« auf RTL mit Oliver Geißen ­
über den einstigen Einzug der Videospiele in die deutschen Wohnzimmer berichten, die Bilder im Einstimmungsbeitrag sähen wahrscheinlich so aus: Ein verpickelter, übergewichtiger Junge mit ­riesiger Brille und hässlichem Trainingsanzug sitzt alleine vor seinem C-64-Bildschirm. Die Rolläden runtergelassen, der Raum düster.

Tatsächlich sah es so oder so ähnlich in vielen Jugendzimmern der 80er Jahre aus. Die aufkommenden Videospielkonsolen und Heim­computer, die die Spielhalle nach Hause brachten, steckten noch in den Kinderschuhen. Sie waren programmierintensiv, anfällig und so trotz der digitalen Aufbruchstimmung noch nichts für alle Altersschichten. Eben noch nicht perfekt. Das galt auch für die meisten Spiele. In ihnen wurde damals eine pixelige, zweidimensionale Figur gesteuert, deren Welt noch vor dem Rand des Monitors endete. Der Bildschirm wirkte wie ein einfacher Spiegel. Ein einzelner Spieler starrte in ihn hinein und lenkte sein Ebenbild mit einem simplen Joystick. Videospiele – das war verschrobene, ungesellige Jugendkultur.

Heutzutage gibt es Videospielsoftware und -hardware maßgeschneidert für alles und jeden. Für das achtjährige Mädchen, das für Pferde schwärmt, für den 40-Jährigen, der digitale Unterstützung sucht, um mit dem Rauchen aufzuhören, und für die 90-jährige Oma, die ihre Sehkraft stärken will. Es gibt Spiele für daheim und unterwegs. Spiele, die bloß vier Sekunden oder unendlich lang dauern. Spiele, in denen man als Söldner töten muss und Spiele, in denen man als Chirurg lebensbedrohliche Tumore entfernt werden. Und, das Schönste, es gibt Spiele und Spielsysteme, die der digitalen Welt endlich das ganz große Gruppenerlebnis abringen. Die das Klischee vom soziopathischen Nerd mit der hässlichen Brille als unhaltbar erscheinen lassen.

Playstation vs Monopoly

Der aktuellste Hardware-Vertreter dieses Prinzips heißt Nintendo Wii. Die Ende 2006 erschienene TV-Konsole revolutionierte das lange recht unreflektiert tradierte Joypad-Steuerungssystem und erhob einfache, verständliche Spiele für mehrere Akteure zur neuen Maxime. Jene sogenannten casual games gelten seitdem als der neue Heilsbringer der Branche. Mittlerweile produzieren fast alle Entwickler casual games für Jung und Alt – oft lieblos gestaltet, hastig programmiert und von minderer Qualität. Aber kommerziell geht der Plan auf. Nintendo ist nach langen Jahren wieder umsatzstärkster Hardware- und Software-Hersteller und lässt die teureren und technisch besser ausgerüsteten Systeme von Microsoft (Xbox 360) und Sony (Play­station3) in den Verkaufscharts hinter sich.
In der Familienunterhaltung wurde so ein Paradigmenwechsel eingeläutet: Multiplayer-Videospiele haben heute einen ähnlichen Stellen­wert wie klassische Brett- oder Gesellschaftsspiele. In vielen deutschen Haushalten dürfte so auch Weihnachten 2008 wieder gene­ra­tionsübergreifend digital gebowlt, gesungen oder gerätselt werden, wäh­rend Trivial Pursuit oder Monopoly auf dem Dachboden versauern.
Das gemeinschaftliche Spielen und Sich-Messen mit echten Gegnern erfolgt aber längst nicht mehr nur vor demselben Gerät. Die neue Generation an den TV-Konsolen setzt auf die gelernten Stärken des PC-Gamings: Über externe Server und Online-Dienste wie Microsofts Xbox Live bietet praktisch jedes neue Game dem Spieler die Möglichkeit, über eine Internetverbindung gegen reale Spieler auf der ganzen Welt anzutreten. Aber längst ist es nicht mehr nur möglich, ge­gen anonyme Gegner live Fußball zu spielen oder Autorennen zu fahren.

Im Falle des Musikspiels Rock Band werden über die Konsole virtuelle Bands gegründet, die vorgegebene Songs wie in einer Art Instru­menten-Karaoke mit den Controllern gemeinsam nachspielen. Bei Online-Wettbewerben messen sich diese Bands miteinander, die aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt stammen können und deren Mitglieder sich vielleicht noch nie gesehen haben. Neben dem großen Spaß, den das gerade räumlich voneinander getrennten Spielern bringen kann, winken bei gutem Spiel wie im Falle von der Xbox 360 dann sogenannte Gamerscore-Punkte. Erfolge, die, je mehr davon gesammelt wurden, zu einem Ruf als Super-Spieler führen, der im ­Cyberspace für alle anderen sichtbar ist. Die Folge: Das vernetzte Spielen erzeugt wie im Falle des ebenso umstrittenen wie erfolgreichen World Of Warcraft einen realen Fetisch für einen virtuellen Spie­lerruf. Ähnlich dem Fetisch für hohe Klickzahlen auf der eigenen ­MySpace-Seite oder für viele positive Bewertungen bei Ebay.

Aber so sehr die Welt der Videospiele wunderlich oder gar süch­tig machen kann – reflektiert eingesetzt hilft sie längst vielen Teilnehmern, dynamische Gemeinschaften zu bilden. Vorreiter dieses Prinzips war ausgerechnet der aktuelle Buhmann der Videospielkultur: die von Gegnern sogenannten Killerspiele. Counter-Strike, das prominenteste unter ihnen, ist der beste Beleg dafür, wie sich Menschen rund um ein Videospiel organisieren und Freundschaften über das Medium entwickeln. Das Schlagwort dazu: »E-Sport«– elektronischer Sport, der sich ab Mitte der 90er Jahre rund um LAN-Partys herausbildete. Eine agile, aufregende Subkultur, die den digitalen Sport prägte und prägt – auch wenn dieser in den meisten Ländern der Welt wie Deutschland von den Sportverbänden nicht anerkannt wird. Schach hingegen schon.

Cyber Fights bei virtueller Olympiade

Wie groß das Interesse an E-Sport mittlerweile ist – in Süd­korea füllen die Veranstaltungen mitunter Stadien mit 100.000 ­Menschen –, wird Köln Anfang November im Kleinen erleben können. In der Stadt steigt das Finale der World Cyber Games, die ungefähr den Stellenwert von Olym­pischen Spielen im E-Sport genießen. Dort werden die Spielergruppen der jeweiligen Nationalmannschaften in dreizehn Disziplinen wie Guitar Hero III oder Fifa 2008 gegen ein­ander antreten und um hohe Preisgel­der spielen. Wie immer mit dabei: große Spon­soren aus der Compu­ter- und Entertainmentbranche, die die selbst spielenden, meist jugendli­chen Zuschauer längst als wichtige Käuferschicht für sich entdeckt haben.

Für die Stadt ist die Video­spielbranche, die kommerziell längst die Filmindustrie überholt hat, ein gern gesehener Gast. »Die Politiker der Stadt Köln haben ­alles getan, um die WCG nach Deutschland zu holen«, sagt der Sprecher der Veranstaltung, Thomas von Treichel. Dabei sind die »World Cyber Games« auch eine Generalprobe für die Messe GamesCon, die ab August 2009 jährlich in Köln stattfinden soll. Sie dürfte die Leipziger Games Convention, die wichtigste Vi­deo­spielmesse Europas mit zuletzt über 200.000 Besuchern, ablösen.

Überhaupt zeigt sich Köln neuerdings auffallend interessiert an der Erlebniswelt Videospiel. Im August unterstützte die Stadt finanziell die Eröffnung eines E-Sport-Vereinsheims am Wiener Platz – dem ­ersten seiner Art in Deutschland. Und wer sich Ende 2007 auf eine Microsoft-PR-Veranstaltung in Köln verirrt hatte, konnte dort zu ­seiner Überraschung OB Fritz Schramma bestaunen, der sich bereit­willig beim Spielen des Ego-Shooters Halo3 ablichten ließ. Übrigens der Inbegriff eines »Killerspiels«, das die meisten seiner Parteikollegen gerne verboten sehen würden.



World Cyber Games 2008
Das Grand Finale der World Cyber Games (WCG) – die »olympischen Spiele« des E-Sports – findet in diesem Jahr in Köln statt: vom 5. bis zum 9. November in Halle 8 der hiesigen Messe. Köln, wo ab 2009 auch alljährlich die Games Convention, die größte Computermesse Deutschlands, stattfinden wird, konnte sich gegenüber sechs weitern Städten – darunter Stockholm, Shanghai und Cancun – durchsetzen.
Über 1000 E-Sport-Profis aus etwa 100 Ländern werden um insgesamt 408.000 US-Dollar Preisgelder zocken. Die WCG-Disziplinen verteilen sich auf elf PC-Spiele, vier Xbox-360-Spiele und ein Mobile-Spiel. Darunter sind Fifa Soccer 2008, Need for Speed: Pro Street, Command & Conquer 3: Kanes Rache Wars, WarCraft III: The Frozen Throne, Age of Empires III: The Asian Dynasties, Project Gotham Racing 4 , Counter-Strike: 1.6, Halo 3 und ­Guitar Hero 3.
Die Veranstalter rechnen mit 20.000 Besucher vor Ort und mit bis zu zwanzig Millionen Zuschauern über Satellitenfernsehen und Internet. ­Vorausgegangen waren dem Grand Final nationale Ausscheidungskämpfe. Das deutsche Team, das sich in diesem Jahr den ersten Platz in der Teamwertung ­verspricht, wurde bei Offline-Events wie der Games Convention, der WWCL oder bei LAN-Partys ermittelt, sowie online über verschiedene Ligen, etwa die GameStar Clanliga. Insgesamt haben sich 170.000 registrierte Spieler in Deutschland an den Ausscheidungskämpfen beteiligt.
(Peter Scheiffele)