Der Zweck heiligt die Mittel

Der Wettbewerb im Spendenmarkt ist härter und aggressiver denn je.

Rouben Bathke hat die neuen Strategien unter

die Lupe genommen.

Fast genau ein Jahr ist es her, da ging ein Aufschrei der Empörung durch die deutsche Öffentlichkeit: Von Veruntreuung, persönlicher Bereicherung, Verschwendung und unseriösen Praktiken war die Rede, und das ausgerechnet im Zusammenhang mit dem Kinderhilfswerk Unicef – einer Organisation mit tadellosem Ruf und der eigentlichen Idee, die Welt zu verbessern. Auch wenn sich ein Großteil der Vorwürfe nicht bestätigen sollte, Unicef-Geschäftsführer Dietrich Garlichs musste im Februar 2008 wegen Missmanagement seinen Posten räumen, bereits einige Tage vorher hatte die ehrenamtliche Vorsitzende Heide Simonis ihr Amt niedergelegt. Zu guter Letzt entzog das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) aufgrund von Verstößen gegen den Sparsamkeitsgrundsatz und falscher Angaben dem Kinderhilfswerk das prestigeträchtige Spendensiegel.

Die Affäre bei Unicef

Stein des Anstoßes: Unicef hatte mehrere hunderttausend Euro Spendengeld für externe Berater und Dienstleister ausgegeben. Die Öffentlichkeit sprach von einem Skandal – und das ausgerechnet in der lukrativen Vorweihnachtszeit. Der gesamte humanitäre Sektor reagierte erschrocken. Nicht nur, weil ein solches Missmanagement dem Branchenprimus keiner zugetraut hätte, sondern auch, weil Unicef für Praktiken am Pranger stand, die in der gesamten Branche längst gang und gäbe sind.
Wilfried Vyslozil, Geschäftsführer der SOS-Kinderdörfer, rief als Konsequenz dazu auf, dem Vertrauensverlust entgegen zu treten, indem man Schluss mache mit der ehrenamtlichen Scheinheiligkeit. Denn die meisten großen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben die Spendenakquise längst an modernen Marketing- und Management-Methoden ausgerichtet. Sie beschäftigen ausgebildete PR-Kräfte und professionelle Fundraiser, deren Hauptaufgabe die Spendenbeschaffung ist. Und sie lassen sich immer ausgefeiltere Kampagnen einfallen.

»Der Spendenmarkt ist längst ein Verdrängungswettbewerb«

Der Wettbewerb im Spendengeschäft hat enorm zugenommen. Das deutschlandweite Spendenvolumen liegt konstant bei stolzen vier Milliarden Euro jährlich, daran änderte auch die Unicef-Affäre nichts. Öffentliche Gelder für gemeinnützige Einrichtungen sind in den letzten Jahren hingegen stark zurückgegangen. Die Anzahl der Einrichtungen, die für sich Gemeinnützigkeit reklamieren, steigt wiederum fortlaufend. Das heißt: Vom Spendenkuchen bleibt für jeden weniger übrig.
»Der Spendenmarkt ist längst ein Verdrängungswettbewerb«, heißt es etwa in einer Infobroschüre der Evangelischen Fachhochschule Berlin. Auch die Kirchen sind durch abnehmende Mitgliederzahlen stärker auf Spenden angewiesen. Sie bieten daher für ihre Gemeinden Weiterbildungen und Handbücher an, wie man an das Geld der Kirchgänger rankommt – und wählen deutliche Worte: »Wer erfolgreich Spenden akquirieren will, muss bereit und in der Lage sein, andere Spendenorganisationen zu verdrängen.«

Der Umkehrschluss: Hilfsorganisationen stecken immer mehr Geld, das sie ja hauptsächlich durch Spenden erhalten, in die Spendengewinnung. Gezielte Informationsarbeit ist für die Organisationen längst unabdingbar geworden – etwa durch Werbebriefe, ausführliche Internetseiten und Jahresberichte. »Viele Spender haben keine Vorstellung davon, wie professionell die großen Organisationen funktionieren«, sagt Burkhard Wilke, Geschäftsführer des DZI in Berlin.

Wer am meisten bittet, bekommt am meisten

Unter anderem hat sich das Berufsbild des Spendensammlers nach amerikanischem Vorbild professionalisiert. Etwa 2500 »Fundraiser« arbeiten teilweise direkt bei den Organisationen oder als Dienstleister, kontaktieren Spender, verwalten Spendengelder und organisieren Veranstaltungen. »Fundraising ist eine systematische Marketing-Strategie, die richtig eingesetzt einer schlüssigen Logik folgt«, erklärt Daniel Kraft. »Je mehr Kommunikationsmittel eingesetzt werden, desto höher fällt der endgültige Spendenbetrag aus.« Kraft weiß, wovon er spricht. Mehrere Jahre arbeitete er als Fundraiser für eine Stiftung, heute berät er bei der Bundeszentrale für politische Bildung NGOs beim Fundraising.
»Fundraising ist die Kunst des Bittens«, sagt Kraft. Das heißt aber auch, dass die Schwemme an Spendenbriefen stetig zunimmt: »Aus Einzelspendern sollen ›Wiederholungstäter‹ werden. Und Mehrfachspender fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Produkt einer kontinuierlichen Kommunikation.« Dazu gehören etwa der Dankesbrief und das regelmäßige Wiederholen der Spendenbitte. In der Regel rechnet sich Fundraising, denn tatsächlich nehmen NGOs das meiste Geld durch gezielte Kampagnen – etwa durch Spendenbriefe – ein. Experten gehen davon aus, dass sich das Geld, das für Fundraising investiert wird, unterm Strich verdreifacht bis sogar verzehnfacht. »Wer am meisten bittet, der bekommt am meisten«, fasst Fundraising-Profi Kraft zusammen.

Professionalisierung und Outsourcing

Da vielen NGOs solche Fachkompetenz im Marketing fehlt, setzen sie zunehmend auf externe Agenturen. DZI-Chef Wilke geht davon aus, dass mittlerweile keine Organisation ohne solche Dienstleister auskommt. PR-Agenturen haben den humanitären Sektor längst für sich entdeckt und beraten NGOs, planen crossmediale Spendenkampagnen und verwalten die Spenderdatenbanken. Die GFS Fundraising & Marketing GmbH aus Bad Honnef verschickt Spendenbriefe im Namen des Deutschen Roten Kreuzes. Die Kölner Agentur Neues Handeln entwirft Plakate für die Deutsche Alzheimer Gesellschaft und die Wesser GmbH schickt europaweit »Direktdialoger« für den WWF auf die Straße, die neue Mitglieder und Spender werben sollen.
Für den Spender wird die Situation zunehmend unübersichtlich, und das, obwohl sämtliche großen NGOs sich längst Transparenz auf die Fahnen geschrieben haben. Eine Sprecherin einer Katastrophenschutz-Organisation, die jährlich mehrere zehn Millionen Euro an Spenden einnimmt, bestätigt auf Anfrage: Dass man externe Agenturen beschäftige, hänge man nicht so gerne an die große Glocke. Die Organisationen befürchten Unverständnis bei den Spendern. Denn professionelles Fundraising kostet die NGOs eine Menge Geld. Solche Ausgaben seien der Öffentlichkeit schwierig zu vermitteln, heißt es bei allen größeren NGOs.
»Auch wenn die zunehmende Professionalisierung der Öffentlichkeit ambivalent erscheinen mag, aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist sie sinnvoll und wünschenswert«, findet Michael Urselmann, Professor für Sozialmanagement mit dem Schwerpunkt Fundraising an der Kölner FH. Die Spendenakquise sei somit deutlich straffer und effektiver gestaltet, was mehr Geld in die Kassen spült und den Aufwand rechtfertigt. Im Gegenzug sieht Urselmann auch die Öffentlichkeit in der Pflicht, ihr Bild der gemeinnützigen Branche zu überprüfen. Die jetzigen Erwartungen an NGOs empfindet er als paradox: »Einerseits fordert man einen sachgemäßen Umgang mit dem Spendengeld, andererseits sind viele Menschen erschreckt über die professionellen Methoden.«

Spender werden unter Druck gesetzt

Problematisch hingegen bleibt der Einsatz externer Akteure. Die meisten Organisationen überlassen die besonders penetranten oder öffentlich unpopulären Spendenakquiseformen wie das Telefonmarketing externen Agenturen. Da diese weitgehend im Hintergrund arbeiten, unterliegen sie kaum öffentlichem Druck. Das DZI, das das Spendensiegel vergibt, schreibt in den Leitlinien vor, dass bei der Spendenwerbung kein emotionaler oder zeitlicher Druck auf die Spender ausgeübt werden darf. Doch eine Kontrolle ist schwierig – erst recht, wenn die Organisation gar nicht mehr selbst sammelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Druck ausgeübt wird, ist bei einem externen Fundraiser sogar höher, da diese mitunter erfolgsabhängig vergütet werden. Eine solche Bezahlung gilt in der Branche zwar als unethisch, werde aber gerade im »Dialogmarketing« auf der Straße weiterhin eingesetzt, wie eine Sprecherin einer Tierschutzorganisation bestätigte.

Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung des gemeinnützigen Sektors und den verbreiteten Spendenpraktiken stört auch DZI-Chef Wilke. Er fordert NGOs daher auf, dieses Dilemma offensiv anzugehen: »Organisationen müssen aus eigenem Antrieb aufklären und sich stärker um transparentere Strukturen bemühen.«
Unicef-Deutschland hat übrigens einen Neuanfang verkündet. Ende Oktober präsentierte man mit Regine Stachelhaus eine der Top-Managerinnen Deutschlands als neue Geschäftsführerin. Stachelhaus hat sich bislang beim Druckhersteller Hewlett Packard vor allem als eines profiliert – als erfolgreiche Unternehmerin.

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