Foto: Manfred Wegener

Liebe und ­Gewalt

Die Kölnerin Stephanie Thiersch ist eine unserer

Top-Choreografinnen. Ein Interview anlässlich ihrer

neuen ­Produktion »blind.questions«

StadtRevue: »blind.questions« ist der Arbeitstitel Deines neuen Stücks. Das Thema ist kein geringeres als die Liebe. Ein populäres Thema, aber auch ein schwieriges. Hat Dich eben das daran gereizt?

Stephanie Thiersch: Ich habe mich in meinen letzten Stücken dem Thema immer mehr angenähert. In ihnen hatte ich über das Bild der Frau, über Gewaltfantasien oder zuletzt über Erotik und sexuelle Sehnsüchte gearbeitet. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich vorbereitet bin. Außerdem habe ich mich gefragt, wieso Intimitä­ten immer häufiger öffentlich gehandelt werden und das Thema gleichzeitig dem wissenschaftli­chen und oft auch dem künstlerischen Diskurs entgleitet.

Ist das so?

Es ist wirklich selten, dass die Liebe als solche von Wissenschaftlern behandelt wird. Eher untersucht man Teilbereiche wie die Eifersucht. Niklas Luhmann sagt zum Beispiel: Liebe ist ein Code, sie existiert als Gefühl gar nicht. Die Psychologie interpretiert das wieder anders. Ich habe in verschiedenen wissenschaftlichen Dis­ziplinen recherchiert, um herauszufinden, wie Liebe etwa von der Gender- oder Medienphilosophie gesehen wird.

Wie ist Deine Bühnenantwort? Wie ist Liebe heute darstellbar?

Wir zeigen eine Kombination aus Filmpräsentation und Bühnenperformance. Der Film erzählt ganz direkt, ohne Theorie oder schützende Ironie, meine Vision von einer Liebesgeschichte. Sehr subjektiv, sehr dynamisch. Unser Stück dreht sich dann um den unausweichlichen Kreislauf von Beziehungsdramaturgien mit einem Anfang, der das Ende, und einem Ende, das der Anfang sein könnte. Außerdem interessieren uns die »Auswüchse« von Liebeserfahrungen, die radikales Potenzial bergen.

Du setzt in dieser Produktion verschiedene Vermittlungsformen in Dia­log: Film, Tanz, Gesang und Sprechtheater. Inwieweit werden die Medien selbst befragt?

Bei allen Elementen gibt es eine Reflexion über das Genre selber. Gefühle, Emotionen lassen sich im Film sehr viel eindringlicher vermitteln. Auf der Bühne ist das schwieriger. Wie sind Gefühle auf der Bühne überhaupt vermittelbar? Da kommt man sehr schnell zur Frage der Authentizität. Aber eigentlich ist der Versuch von Authentizität auf der Bühne von vorne herein korrupt. Außerdem ist Authentizität für mich nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal. Bei uns müssen die Darsteller auch sehr selbstreflexiv arbeiten und Distanz zu sich wahren.

Selbstinszenierungsformen sind immer Thema in Deinen Arbeiten. Schön­heit ist ein weiteres. Warum?

Weil das Bedürfnis nach Schönheit unsere Gesellschaft beherrscht!

Schönheit wird in Deinen Stücken immer von Gewalt bedroht, einer Gewalt, die oft aus den Figuren selbst kommt. Was interessiert Dich an dieser Form von Gewalt?

Ich weiß nicht, ob es Interesse ist oder eher Notwendigkeit. Schönheit wird mit psychischer und körperlicher Gewalt durchgesetzt. Mit Gewalt an sich selber und an anderen. Der Versuch, Dinge über Gewalt zu lösen, ist sehr menschlich. Auch jetzt beim Thema Liebe: Wenn ich über Paare nachdenke, Paarkonstellationen, springt mich das Thema Gewalt sofort an, vor allem psychische Gewalt im Sinne von Unterdrückungsmechanismen, Ausschlussmechanismen.

Ist die Bühnensituation eine Gewaltsituation?

Auf der Bühne geht es um ein bewusstes Ausstellen. Aber es gibt immer auch Situationen, in denen sich die Performer vor dem Publikum gedemütigt und ausgenutzt fühlen. Wo sie sich zurecht die Frage stellen: Muss das sein? Etwa in meinem Stück »Under Green Ground«, wenn die Darstellerin in Unterwäsche in gleißendem Licht steht, das Hemd hochzieht und schon halbtot aussieht. Es gibt immer wieder Szenen in meinen Stücken, die werden von vielen als totale Zumutung empfunden. Andere freuen sich, dass bestimmte Dinge endlich mal thematisiert werden.

Seit einigen Jahren stellst Du den Menschen und seine großen Fragen in den Mittelpunkt deiner Arbeiten. Dabei benutzt Du zeitgemäße Darstellungsformen: In zwei Stücken hast Du mit einer DJane zusammen gearbeitet. Ein Modegag?

Nein. In meinem Stück »beautiful me« wollte ich die Clubtanzkultur und die Bühnentanzkultur miteinander konfrontieren. Da lag es auf der Hand, mit einem DJ zusammen zu arbeiten. Außerdem ist es eine Eigenheit im zeitgenössischen Tanz, oft sphärische elektronische Klänge zu benutzen und sehr wenig konkrete Musik. Ich möchte den zeitgenössischen Tanz zumindest momentweise aus seinem oft intellektuellen Ambiente lösen. Auch mit meinem Tanzstil. Ich suche ja nicht nach einer abstrakten Tanzsprache. Son­dern die Tänzer sind in erster Linie Träger von Körperlichkeit.

Du hast neben Tanz auch Medienwissenschaften studiert. Medienkritik zieht sich als roter Faden durch Deine Arbeiten.

Früher hat es mich wahnsinnig interessiert, die Medien eins zu eins in die Stücke zu integrieren. Jetzt erforsche ich stärker ihre Auswirkungen. Ich frage mich, wie sich Medien in den Körpern äußern.

Ist das so einfach ablesbar?

Man muss nur beobachten, wie sich die Leute auf der Straße bewegen, wie sie ihre Blicke steuern. Das ist bei jungen Leuten sehr stark beeinflusst etwa von der Model- und HipHop-Kultur. Das ist ein offensichtliches Beispiel. Es gibt eine große Sucht nach Imitation, danach, für sich selber ein Ich zu erfinden. Mich beschäftigt es sehr, herauszufinden, woher die Gesten kommen, die dabei entstehen.



»blind.questions (all you need is love)«, Uraufführung, Ch: Stephanie Thiersch, Tanzhaus NRW Düsseldorf,
23. (P), 24.1., 20 Uhr. Kölner Vorstellungen: 11.-13.3. Alte Feuerwache