Geld und Gefühle

Als Thomas nach der Beisetzung seiner Mutter den Friedhof verlässt und zu seinem Elternhaus geht, warten da Leon und sein Mann fürs Grobe auf ihn: Sie wollen das Geld wieder haben, dass sich Thomas für seinen Neustart von ihnen genommen hat. Als er nach dem Schlag über den Schädel wieder zu sich kommt, ist er nur noch ein unehrenhaft entlassener Afghanistan-Veteran mit einem kaputten Haus und so wenig Zukunft wie die brandenburgische Prignitz, aus der er kommt.
Durch einen dieser Zufälle, die alle Leben so oder so formen, lernt er Ali, den Imbissbuden-Unternehmer kennen: Ein Türke in der BRD, wo sie mal DDR war, ein Unternehmer in einer Region, wo bald allein ökonomische Ödnis sein wird, ein Mann, der sich eine Art Heimat in der Fremde geschaffen hat, inklusive Haus und Frau aus dem neuen Land. Ali bietet Thomas einen Job an als Fahrer – seine Gattin Laura bietet ihm sich selber an.

Der Fremde ohne Skrupel, der Mann mit Besitz, die Gattin ohne Illusionen über ihre Zukunft, aber mit einem Plan, wie man die Dinge ändern kann: Diese Konstellation ist in der populärkulturellen Zirkulation seit James M. Cains Roman »Wenn der Postmann zweimal klingelt« von 1934 und oft filmisch verarbeitet worden. Christian Petzolds »Jerichow« ist allerdings ebenso wenig eine Adaption des Cain-Stoffs wie sein letzter Film »Yella« eine Neuverfilmung von Herk Harveys »Carnival of Souls« (1962) war. Einer wie der andere sind sie Variationen von Situationen und Motiven, die sich schon längst von ihren Ursprüngen gelöst haben. Sie führen mittlerweile ein Eigenleben in der Kulturschöpfungsökonomie, in der sie wie alle wertvollen Stoffe weiter und weiter verarbeitet werden.

»Jerichow« ist erneut eine Untersuchung der Zusammenhänge von Warentausch und Gefühlen im Werk von Petzold, die er aber selten so konsequent durchdrungen hat: Ständig geht es um Geld, wie man dazu kommt, was es einem ermöglicht, was es einen kostet. Ähnlich zirkulär wie der Finanzkreislauf ist die Ästhetik des Films angelegt: Blicke kreisen, Bilder und Szenen wiederholen sich aus neuen Perspektiven mit einer Teilnahmslosigkeit, die mal kühl wirkt und mal ethnologisch, mal wie Genrekino und mal dokumentarisch. Am Ende schaffen die Bilder exakt jenen Raum, den die Gefühle brauchen, um ausbrechen zu können, auch wenn sie dann doch an der Enge der Seelen und der Verhältnisse zu zerschellen.

Jerichow D 08, R: Christian Petzold,
D: Benno Fürmann, Hilmi Sözer,
Nina Hoss, 93 Min. Start: 8.1.