Danke, ihr ­Nieten und Schweinehunde

Zum 20. Todestags des österreichischen Landwirts und

Schriftstellers Thomas Bernhard gedenkt der Suhrkamp-Verlag

mit mehreren Buch­publikationen des »begnadeten Komikers«

Als was wurde Thomas Bernhard nicht schon alles bezeichnet: Der unvermeidliche Marcel Reich-Ranicki charakterisierte aus Anlass des ersten Todestages dessen Prosa als »düster und bitter«. Von anderen wurde Bernhard, unter Missachtung sowohl des gesellschaftskritischen Gehalts als auch der Komik seiner Texte, jahrzehntelang als bloßer »Sprachartist« verharmlost, nur weil er in der Lage war, lange, verschachtelte Konjunktivsätze und monologische Tiraden zu schreiben, die sich über mehrere Buchseiten ziehen.

Und das noch albernere Etikett des »Übertreibungskünstlers« wurde dem Autor vielfach von ahnungslosen Feuilletonisten und Literaturbetriebsnudeln nur deshalb verliehen, weil er in eigenwilligem Stil in seinen Werken immer wieder auf das Fortwesen der verdrängten nationalsozialistischen Vergangenheit seines Landes verwies: Indem er seinen Figuren fortwährend misanthropische Invektiven und Schimpftiraden in den Mund legte, die sich gegen den österreichischen Staat, dessen Politiker und dessen Bevölkerung richteten.

Der vereinnahmte Bernhard

In seinen letzten Lebensjah­ren wurde Bernhard von den öster­reichischen Kulturverwaltungs­beamten – ganz zu schweigen von einer reaktionären Öffentlichkeit – in der Regel gehasst oder ignoriert. Nun, zwanzig Jahre nach seinem Tod, wo Bernhard international geschätzt und gelesen wird wie kaum ein zweiter seiner Generation, wird der Autor in Österreich zu einer Art staatseigenem Groß- und Hausdichter umgelogen und als Säulenheiliger der literarischen Moderne bejubelt. Thomas Bernhard kann sich bedauerlicherweise gegen Vereinnahmungen nicht mehr wehren.

Seinen Bernhard kann sich heute jeder so zurechtbiegen, wie er ihn gerade braucht: »In all seinen Werken stellt Bernhard die tödliche Vereinsamung des Menschen dar«, ließ der Verlag Suhrkamp in die Autorennotiz schreiben, die Bernhards erstem Roman »Frost« (1963) vorangestellt ist. Ein in seiner hell erstrahlenden Platitüdenhaftigkeit geradezu knall­­dummer Satz. Im Klappentext zum zweiten Roman »Verstörung« (1967) heißt es in gespreiz­tem Deutsch, es sei »als das Seltenste und Kostbarste an dem Roman sein tiefer Ernst zu rühmen«. Heute verkauft der Verlag den Schriftsteller als »begnadeten Komiker« und seine Texte als »komödiantische Prosa« (Suhrkamp-Verlagsprospekt). Davon, dass Bernhard Jahrzehnte lang als finsterer Todesengel und grimmiger Chronist der düsteren Seiten des Daseins verkannt wurde – ein Image, das auch der Verlag einst kultivierte –, ist nicht die Rede.

Ansichten zum Literaturbetrieb

Die soeben zum Jubiläumsjahr erstmals veröffentlichte Prosaarbeit »Meine Preise« (Suhrkamp: »...muss als eine Sensation gelten«), die sich in Bernhards Nachlass fand und von ihm noch zu seinen Lebzeiten zur Veröffentlichung vorgesehen war, legt Zeugnis davon ab, welche Ansichten er zum Kultur- und Literaturbetrieb und den ihm angeschlossenen Politikern, Windmachern und »Gschaftlhubern« (Bernhard) hegte. Bernhard zeigt sich hier einmal mehr als fröhlicher Querulant (»Wir verbrachten noch einen schönen Tag in der schrecklichen Stadt«) und lebenslustiger Misanthrop mit einem starken Hang zur Selbstinszenierung und zum zeitweiligen Größenwahn.

Seine hochkomische Prosa besteht, wie gewohnt, aus der für Bernhard typischen Ansammlung von kuriosen Anekdoten und dem stets gleichförmigen, geradezu mantraartig vorgetragenen Geschimpfe, welches auch viele seiner Romanprotagonisten laufend von sich geben (»niederträchtige Unverschämtheit«, »Schweinerei«, »un­geheure Gemeinheit«, »unnachahmliche Arroganz und Dummheit«, »perverse Absurdität«, »ausgewachsene Heuchelei«).

Hohn und Eitelkeit

Doch so sehr Bernhard genüsslich das hohle und steife Ritual der Verleihung staatlicher Literaturpreise verhöhnt und sich etwa wortreich über die Ahnungslosigkeit und Ungebildetheit der Kulturverwalter auslässt, so gelingt es ihm doch nur mühsam, seine Eitelkeit und seine Begierde nach öffentlicher Anerkennung zu verbergen. Lässt man etwa seine vor Scharlatanerie strotzenden Gaga-Dankesansprachen, die er ge­legentlich mit der ein oder anderen Widerstandssimulation oder einer wohlkalkulierten, in verschrobenem Künstlerdeutsch formulierten Provokation anreichert, einmal beiseite (»Der Staat ist ein Gebilde, das fortwährend zum Scheitern, das Volk ein solches, das ununterbrochen zur Infamie und zur Geistesschwäche verurteilt ist«), fällt der Blick vor allem auf eine Sache: Die mit den Literaturpreisen verbundenen Geldsummen nimmt Bernhard stets artig dankend an.

Gegenüber dem Leser indes inszeniert er sich derweil als armer, verkannter Poet und mutiger, unbestechlicher »Geistesmensch« (auch ein Bernhard-Wort), dem die zuerkannte Ehrung nach eigener Aussage suspekt ist und dem von irgendwoher Geld aufgenötigt wird, das er nun mal nicht ablehnen kann: »Dass es sich immer solange hinzieht, dachte ich, bis endlich das Geld flüssig geworden ist.«

Genörgel und Verachtung

Die ihm begegnenden Bürgermeister, Beamten, Industriellen oder Kultursenatoren hingegen sind in aller Regel »katholische und nationalsozialistische Arschlöcher«, »Dummköpfe«, »perfide«, »bigott«, »gemein«, »selbstherrliche und stumpfsinnige« und »verkümmernde Charaktere«, »eine Versammlung der allergrößten Nieten und Schweinehunde«. Die Orte oder Städte, die er aufzusuchen genötigt ist, sind wiederum »stinkend und stickig«, »kleinbürgerlich, unzumut­bar und steril«, »kalt und abstoßend«. (Allen, die von derlei nicht genug bekommen können, sei mitgeteilt: Demnächst erscheint ein Band, der ausschließlich »Städtebeschimpfungen« enthält.)

Erfrischend und höchst vergnüglich an all dem ist Bernhards virtuoses Hin- und Herswitchen zwischen aufgeregtem Gegeifere und Stammtischgenörgel einerseits und einem sich hie und da unbeteiligt oder beleidigt gebenden Tonfall andererseits, in den eine ordentliche Portion Verachtung gelegt wird: »Er schüttelte mir die Hand und gab mir eine sogenannte Verleihungsurkunde, deren Geschmacklosigkeit wie die aller anderen Preisurkunden, die ich jemals bekommen habe, unübertrefflich war.«



Thomas Bernhard: Meine Preise, Suhrkamp, Frankfurt 2008, 144 S., 15,80 €
Thomas Bernhard / Siegfried Unseld: Der Briefwechsel, ca.900 S., ca. 34,80 €, erscheint im März 2009
Thomas Bernhard: Düsseldorf oder München oder Hamburg: lauter ­Provinzen. Städtebeschimpfungen.
250 S., 9 €, erscheint im April 2009