Leben und sterben lassen

Wenn am 9. April der Kulturausschuss der Stadt tagt, steht wieder mal die Zukunft der ehemaligen Cinemathek im Museum Ludwig auf der Tagesordnung. Doch die unendliche Geschichte um den Kinosaal ist nur ein Punkt, an dem sich die hiesige Kino- und Filmkulturkrise manifestiert. sven von reden schildert, warum Köln hochstapelt, wenn es sich Filmstadt nennt.

Köln, Ende Februar 2002. In der Piazzetta des Historischen Rathauses werden Schultern geklopft und Reden gehalten. Fritz Schramma stellt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zum Medien- und IT-Standort Köln vor, die einmal mehr der Stadt mit ihrem Umland bundesweit eine führende Position im Bereich der audiovisuellen Medien bescheinigt. Gleich zu Beginn seiner Ansprache verweist der Oberbürgermeister auf ein Ereignis vor über 100 Jahren, »das die Domstadt in die erste Reihe der Medienstädte bringen sollte«. Am 20. April 1896 fand, organisiert von Ludwig Stollwerck, in Köln die erste öffentliche Kinoaufführung Deutschlands statt, nur zwei Wochen später bannte Lumières Kameramann Charles Moisson unter anderem am Dom und im Hauptbahnhof erstmals in Deutschland Bilder auf Zelluloid. »Damit kann sich Köln rühmen, ›Geburtsstadt‹ des deutschen Films zu sein«, vermerkt Schrammas Redemanuskript.
Der Oberbürgermeister zitiert aus der 60-seitigen Broschüre »Köln im Film«, die letztes Jahr von FilmInitiativ herausgegeben wurde, einer Gruppe Filminteressierter, die seit 1988 regelmäßig in Köln Filmreihen und -festivals wie »Jenseits von Europa« veranstaltet. Ihnen ist zu verdanken, dass Lumières Filme in einem größeren Kontext mit anderen frühen »Köln-Filmen« im letzten Jahr auch einmal in einem hiesigen Kino gezeigt wurden. Seit 1996 arbeitet die Gruppe weitgehend ehrenamtlich an ihrem ehrgeizigen »Köln Film Projekt«, recherchiert, katalogisiert und besucht Archive. Für die Präsentation ihrer ersten Filmreihe im letzten Jahr im Off Broadway stellten Medienstabsstelle und Kulturamt insgesamt 15.000 Euro bereit, der Rest des Geldes kam über das Filmbüro NRW und Sponsoring zusammen. Die Fortsetzung des Projekts wird durch Mittel der Imhoff-Stiftung gewährleistet, ob auch weiterhin Gelder der öffentlichen Hand fließen werden, ist allerdings noch ungewiss.

Im Großstadtbereich die rote Laterne

Im deutschen Vergleich sieht Köln schlecht aus, wenn es um die Förderung der kulturellen Filmarbeit geht: Während hier im vergangenen Jahr lediglich 46.000 Euro bewilligt wurden, gibt Stuttgart mit nur halb soviel Einwohnern über 350.000 Euro allein für ein Kommunales Kino aus, hinzu kommen Unterstützungen für verschiedene Festivals. Das etwas kleinere Hannover zahlt immerhin über 150.000 Euro, und der Stadt Hamburg sind Festivals und Kommunales Kino knapp eine Million Euro wert.
»Köln ist hochstaplerisch, wenn es sich Filmstadt nennt«, fasste Anfang Februar Joachim Huth von der Filmsociety, einem Kreis Kölner Filminteressierter im Rahmen des Kunstsalons, bei einer Podiumsdiskussion die Lage zusammen. Eingeladen hatte die AG Kommunale Filmarbeit, in der neun Kölner Filminitiativen vertreten sind, nachdem durchgesickert war, dass ihre Zuschüsse im Haushaltsplan-Ansatz für 2002 deutlich geringer ausfallen sollten als im Vorjahr. Die negative Einschätzung der Filmsociety wurde verblüffenderweise von den Vertretern von Politik und Verwaltung auf dem Podium geteilt: »Dass wir im Großstadtbereich die rote Laterne haben, das leugne ich nicht«, gab Richard Blömer, kulturpolitischer Sprecher der CDU, unumwunden zu; Kulturausschussmitglied Frank Irsfeld von der SPD war die Lage »peinlich«; und Kulturdezernentin Hüllenkremer gestand ein: »Der Film ist in Köln unterfinanziert«.
Die krasse Unterfinanzierung der freien Filmarbeit ist dabei nur ein Problem, das zweite betrifft die Kinos, die direkt oder indirekt im Verantwortungsbereich der Stadt liegen, und das dritte die privatwirtschaftliche Kinolandschaft.

Ende des beliebtesten Programmkinos

Seitdem im November das beliebteste Programmkino Kölns, das Broadway auf der Ehrenstraße, in den Strudel der Kinowelt-Pleite geriet, fehlt es an attraktiven Leinwänden für Erstaufführungen aus dem Arthaus-und Filmkunst-Bereich. Kinos wie das Off Broadway, Filmhaus und die Filmpalette versuchen zwar die Lücke zu füllen, aber es steht zu befürchten, dass mehr Filme als bisher an Köln komplett vorbeigehen oder erst Monate nach ihrem offiziellen Bundesstart den Weg in hiesige Kinos finden. Im Filmhaus führt die vermehrte Buchung von Erstaufführungen seit der Broadway-Schließung dazu, dass immer weniger Platz für Filmreihen von Kölner Initiativen und für historische Filme bleibt. Eine Erstaufführung wie Samira Makhmalbafs »Schwarze Tafeln« oder »Open Your Eyes«, die Vorlage für den Tom-Cruise-Thriller »Vanilla Sky«, dürfte dem mit lediglich 99 Sitzplätzen bestückten Filmhauskino zwar volle Vorstellungen bescheren, im Broadway allerdings hätten diese Filme höhere Eintrittszahlen erzielen können. »Die Verleiher sind verwirrt«, meint Esther Rossenbach vom Filmhaus, »sie wissen momentan nicht, wie sie mit der Situation in Köln umgehen sollen.«
Die Lage hat sich mit der Schließung des Broadways lediglich verschärft, schon zuvor galt Köln nicht unbedingt als erste Anlaufstelle für Verleiher. Filme, die nur mit wenigen Kopien im Bundesgebiet gestartet werden, sind in der Regel zunächst in Berlin, Hamburg und München zu sehen, bis sie ein paar Monate später nach Köln kommen. »venus.de« etwa, der neueste Film des deutschen Autorenfilmers Rudolf Thome (»Rote Sonne«), startet offiziell im April, in Köln wird er wenn überhaupt erst im Juni zu sehen sein. »Über 50 Prozent des Einspielergebnisses werden in Berlin und München gemacht. Köln ist da nur Dekoration«, teilt der Filmemacher auf Nachfrage mit. Je länger es aber dauert, bis ein Film nach dem Bundesstart hier in die Kinos kommt, desto schwieriger ist es noch Aufmerksamkeit für ihn zu erzeugen, da er in allen überregionalen Medien längst verhandelt wurde. Die Folge: weniger Zuschauer und weniger Bemühen der Verleiher um das Kölner Publikum, was wiederum weniger Zuschauer zur Folge hat ... Eine fatale Spirale nach unten.
Als die Broadway-Schließung drohte, wurde von Seiten der Stadt darauf hingewiesen, dass man nicht in privatwirtschaftliche Vorgänge eingreifen könne. Das Broadway war in gewisser Weise ein Opfer des eigenen Erfolges. Mit ihm begann der Aufstieg der Ehrenstraße zur angesagtesten Flanier- und Shoppingmeile der Stadt. Jetzt können sich fast nur noch finanzkräftige Ketten die Mieten dort leisten. Die Kunst bereitete den Weg für den Kommerz – ein Paradebeispiel für Gentrification. Das Problem ist, dass aus solchen Straßen verdrängte Läden, Cafés, Bars meist schnell in billigeren Vierteln neue Quartiere finden, während die Kinos einfach sterben. Die Anfangsinvestitionen wären zu hoch, um auf absehbare Zeit rentabel arbeiten zu können. Daher ist es besonders ärgerlich, dass momentan drei Kinos, auf die die Stadt (zumindest indirekt) Einfluss hat, teilweise seit Jahren nicht bespielt werden: die ehemalige Cinemathek im Museum für Angewandte Kunst, die ehemalige Cinemathek im Museum Ludwig und das Theater am Rudolfplatz (eine Immobilie der Stadtsparkasse).

Konzeptlosigkeit und Unterfinanzierung

Bei der Vorstellung der Kulturprogramme der Oberbürgermeisterkandidaten vor den letzten Kommunalwahlen im Museum für Angewandte Kunst wurde das Wort Film nicht von einem der Anwärter überhaupt erwähnt. Die Kulturpolitischen Sprecher der Fraktionen im Rat und die Kulturdezernentin beteuerten auf der Podiumsdiskussion im Februar zwar, wie sehr ihnen der Film am Herzen liege, aber dann überzeugten sie nicht gerade durch Fachwissen und eigene Ideen. Stattdessen wurde mantraartig auf die »katastrophale Haushaltslage« hingewiesen und von den freien Initiativen Konzepte und mehr Informationen gefordert. Peter Sörries von den Grünen machte sich zwar unbeliebt, als er öffentlich seine mangelnde Filmkompetenz eingestand, äußerte aber eines der hellsichtigsten Statements des Abends: Es geht nicht um eine schwierige Haushaltslage, sondern um Prioritäten!
So sehr der Hinweis stimmt, dass die Kölner Filminitiativen sich besser organisieren, innere Streitereien lösen und für mehr Transparenz und bessere Lobbypolitik sorgen müssen, an der Passivität und Konzeptlosigkeit der Verantwortlichen bei der Stadt ändert das nichts. Selbst wenn man mit viel Optimismus hofft, dass die Marktwirtschaft schon irgendwie dafür sorgen wird, dass das Programmkino-Angebot sich wieder bessert – schließlich lief das Broadway rentabel – und dass durch eine bessere Förderung der freien Gruppen Festivals wie die Feminale und Short Cuts Cologne überleben können, die cineastische Grundversorgung ist damit noch nicht gewährleistet. Denn die freien Filminitiativen in Köln decken lediglich bestimmte Bereiche ab: Filme von Frauen, aus Afrika, Asien oder Trash- und Exploitation-Kino, eine kontinuierliche und breitere Aufarbeitung von Filmgeschichte leisten nur der Filmclub 813 und die Lupe 2 am Mauritiussteinweg. Allerdings reichen die finanziellen und personellen Ressourcen des Filmclubs kaum dazu aus, mehr als eine Veranstaltungsreihe im Monat zu organisieren, und das Filmklassiker-Programm der Lupe 2 dürfte jeder neu nach Köln kommende filminteressierte Student in nicht allzu langer Zeit durchgesehen haben.

Langjähriger Niedergang der Cinemathek

Noch bis in die späten 80er wurde diese Lücke durch die Cinemathek geschlossen, doch deren langjähriger Niedergang fand ihren Höhepunkt letzten November mit ihrer Schließung. Die Betreiber waren zu Beginn der 90er in das Debakel des groß geplanten Kölner Filmfestivals verwickelt und stolperten später über skandalöse Abrechnungspraktiken. Die Folge: Die Stadt strich ihre Zuschüsse und im Kino liefen jahrelang nur noch John-Ford-Filme, Reihen mit Titeln wie »Blockbuster« und Erstaufführungen aus dem Vorjahr. Als im Frühjahr 2000 die Leitung des Kinos von der Stadt neu ausgeschrieben wurde, konnte es eigentlich nur besser werden.
Ein Jahr später war die Bewerbungsfrist längst abgelaufen, aber immer noch keine Entscheidung getroffen. Nachfragen bei der Stadt ergaben, dass es ja nicht auf einen Monat ankäme, Hauptsache man fände eine gute Lösung. Ende Oktober letzten Jahres lief dann der Pachtvertrag aus, ohne dass es einen neuen Betreiber gäbe. Das Problem: Die Stadt sieht den ehemaligen Vortragssaal des Museum Ludwig nicht als kommunales Kino und ist daher nicht bereit, direkt Gelder zu geben – lediglich die Miete für den Raum wird niedrig gehalten. Die auf dieser schmalen finanziellen Basis vorgelegten Konzepte der Bewerber fanden aber nicht die Zustimmung der Findungskommission. Mittlerweile sieht es so aus, als werde die Stadt die Zuständigkeit auf Kasper König übertragen. Der neue Leiter des Museum Ludwig hat ein Konzept vorgelegt, das das Programm eng an die Ausstellungen im Museum anbindet, aber auch Raum für Retrospektiven und Filmgeschichte lässt – dafür würden bis zu 35.800 Euro jährlich aus dem Ausstellungsetat bereitgestellt. Doch es ist fraglich, ob das ambitionierte Programm mit diesem Budget auskommen könnte, zumal aus der Politik schon Kritik daran geübt wurde, dass in dem Konzept auch eine Erstaufführungsschiene für 19.30 Uhr vorgesehen ist. Man wittert Konkurrenz zur Privatwirtschaft. Doch wie soll sich ein Kino finanzieren, das auf der einen Seite keine publikumsträchtigen Filme spielen darf, auf der anderen Seite aber auch keine Zuschüsse erhält?
Zum Redaktionsschluss war weiterhin ungewiss, wie die Zukunft des Kinos aussehen wird. Von der Tagesordnung der Kulturausschusssitzung Anfang Februar wurde der Programmpunkt erneut verschoben. »Hauptsache wir finden eine gute Lösung, auf einen Monat kommt es jetzt auch nicht mehr an«, verlautbarte ein Mitglied des Kulturausschusses. Tröstlich ist auf jeden Fall, dass das Kino im Juni wieder eröffnen wird und parallel zur großen Matthew-Barney-Ausstellung alle fünf »Cremaster«-Filme des Künstlers zu sehen sein werden, von denen keiner bisher in Köln gezeigt wurde.
Derweil bleibt Köln wohl weiterhin auf private Initiativen angewiesen. So organisierte vor zwei Jahren Professor Peter Stephan von der Kunsthochschule für Medien (KHM) zusammen mit Popdom und Filmhaus eine Reihe zur Geschichte des Experimentalfilms, weil er feststellen musste, dass seine Studenten selbst die Klassiker des Genres nicht kannten und diese in den letzten Jahren auch nicht in Köln zu sehen waren.

Grundausbildung im Programmkino

Die Studie des DIW sieht den Ausbau der Filmproduktion als eine der Zukunftschancen des Medienstandorts Köln, als einen der Schwachpunkte allerdings Lücken im Ausbildungsangebot. Politisch erwünscht ist daher der Ausbau der Internationalen Filmschule und eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Filmabteilung der KHM, um eine vollwertige Akademie für Film und Fernsehen zu bekommen, auch um junge Talente »über mehrere Jahre hinweg an einen Standort zu binden«. Ob ein attraktives Filmangebot in der Stadt nicht ebenso wichtig ist, um Filminteressierte zu halten und dem Image Kölns als Stadt der Fernsehfließband-Produktion entgegenzuwirken, verrät die Studie nicht.
Tom Tykwer, der Star am Deutschen Regiehimmel der letzten Jahre, der immer wieder angeführt wird, wenn es darum geht, dass anspruchsvoller deutscher Film auch kassentauglich sein kann, hat übrigens nie an einer Filmakademie studiert: Seine Grundausbildung holte er sich bei seiner Arbeit in Programmkinos in Wuppertal und Berlin.