Vom Leben lernen

Das Erstaunlichste an »Slumdog Millionär« ist, dass er von der britischen Firma Celador mitproduziert wurde, der die Welt das TV-Erfolgsformat »Who Wants to be a Millionaire« verdankt. Denn allzu gut kommt die indische Version des Wissensspiels im Film nicht weg. Der Quizmas­ter ist kein Günter-Jauch-artiger Schwiegersohnverschnitt, sondern ein he­rablassender und hinterhältiger Fiesling, der dem Filmhelden Malik das Leben schwer macht.

Und nicht nur das: Der aus den Slums von Mumbai stammende Junge wird nach der Sendung auch noch verhaftet und von der Polizei gefoltert. Malik wird Betrug vorgeworfen. Wie anders soll ein ungebildeter Jugendlicher sich bis an die letzte Frage herangearbeitet haben?

Clever aufgebautes Script

Malik muss der Polizei beweisen, woher er die Lösungen wusste, nur dann darf er am nächsten Tag an der Fortsetzung der Sendung teilnehmen – und damit seine Chance wahrnehmen, die alles entscheidende 20-Millionen-Rupien-Frage zu beantworten.

Mit jeder Antwort von Malik führt »Slumdog Millionär« zurück in die Lebensgeschichte des 18-Jährigen. Wann hat er etwa gelernt, dass der Erfinder des Revolvers Samuel Colt heißt? Wieso kennt er sich so gut mit dem Werk der Bollywood-Legende Amitabh Bachchan aus?

Es ist ein clever aufgebautes Script, das »Ganz oder gar nicht«-Drehbuchautor Simon Beaufoy nach einem Roman des Inders Vikas Swarup verfasst hat. Das Rückblenden-Puzzle ergibt nach und nach das Bild einer großen Liebesgeschichte, die Maliks Leben prägt.

Geteiltes Echo in Indien

Vier Golden Globes hat der Film bereits gewonnen, zudem satte acht Oscars. In Indien ist das Echo dagegen geteilt. Das wundert kaum. Wer will schon sein Land von Ausländern als korrupten Folterstaat voll religiöser und sozialer Spannungen dargestellt wissen?

Doch so gnadenlos realistisch sich Danny Boyles Film bisweilen gibt – gedreht wurde in den Armenvierteln von Mumbai –, »Slumdog Millionär« ist ein Märchen, das gar nicht so weit entfernt ist von der melodramatischen Massenunterhaltung Bollywoods, wie es zunächst scheint. Mit einer großen Tanznummer am Ende spielt Boyle selber auf die Pa­rallelen an.

Der Brite hat zusammen mit der Inderin Loveleen Tandan die Quadratur des Kreises geschafft: Ihnen ist ein Feelgood-Movie über Armut gelungen, ein Märchen, das dennoch wie ein Abbild der Realität erscheint. Und sie haben einen Film ohne Stars gedreht, der allein in den USA bereits ein Vielfaches seiner Produktions­kos­ten eingespielt hat.

Slumdog Millionär (Slumdog Millionaire) GB/USA 08, R: Danny Boyle, Loveleen Tandan, D: Dev Patel, Freida Pinto,
Madhur Mittal, 120 Min. Start: 19.3.