Wahre Helden ohne Lohn

Widerstand war kein Vorrecht des deutschen Adels: »Defiance« erzählt eine wenig bekannte Geschichte aus dem jüdischen Kampf gegen die Shoah

Wer den Holocaust überlebt hatte, dem schlugen bisweilen die eigenen Kinder und Enkel eine weitere Wunde mit einer unerhörten Frage: Warum habt ihr euch nicht gewehrt? Weil die Kinder und Enkel der vertriebenen, deportierten und ermordeten Juden die Frage nach dem ausgebliebenen Widerstand niemals selber gestellt bekommen wollten, auch deshalb machten sie aus Israel den wehrhaftesten Staat auf der Weltkarte. Wenigstens auf israelischem Boden sollte es nie möglich werden, dass das jüdische Volk gedemütigt, vertrieben, vernichtet wird.

Auch in der Familie des Regisseurs Edward Zwick, Jahrgang 1952, kamen jüdische Angehörige durch die Nazis ums Leben. Und so war sein erster Impuls, als das Projekt »Defiance« an ihn heran getragen wurde: Nicht noch ein Film über Opfer! Dabei macht bereits der Filmtitel, der mit Trotz, Missachtung, Herausforderung und Widerstand übersetzt werden kann, deutlich, dass es hier um etwas geht, was die Geschichtsschreibung den Juden für die Nazi-Zeit wenn überhaupt nur für den Aufstand im Warschauer Ghetto zubilligt. Der Regisseur von »Last Samurai« und »Blood Diamond« erzählt mit »Defiance« die wahre und weithin unbekannte Geschichte der drei Bielski-Brüder.

Späte Ehrung als Staatsheld

Als Partisanen attackierten sie aus den Wäldern Weißrusslands heraus Wehrmacht und SS. Mit der Zeit schlossen sich ihnen immer mehr Flüchtlinge an – zeitweise mehr als 1400 Männer, Frauen und Kinder, die in den verschneiten Wäldern eine Parallelgesellschaft schufen, eine eigene Synagoge aufbauten, Bäckereien, ein Hospital und Schulen. Das Gros der Gruppe überlebte den Krieg. Die Bielskis emigrierten in die USA, der im Film von Daniel Craig gespielte Anführer Tuvia Bielski schlug sich als Taxifahrer in New York durch und starb von der Öffentlichkeit unbemerkt 1987. Ein Jahr später wurde sein Leichnam exhumiert, nach Israel überführt und dort mit militärischen Ehren als Staatsheld begraben.

In einem Artikel für die International Herald Tribune stellt Zwick die Frage nach den Gründen dieser lange unterschlagenen (Erfolgs-)Story. Und kommt zu dem Schluss, dass jede Geschichtsschreibung Mythologien entstehen lasse, die am Ende alles absorbierten, was ihnen widerspreche. Mit diesem Mechanismus bricht Zwick in »Defiance«, dem einzig vorzuwerfen wäre, dass er mit Daniel Craig und den Mitteln Hollywoods aus etwas Unerhörtem klassisches Heldenkino macht, in dem die Liebesszenen nach Schema F inszeniert und platziert werden, und in dem es an Ballereien und Action-Szenen nicht mangelt.

Mehr Interesse am Tätervolk

Zwick versucht, den Opfern gerecht zu werden, indem er sie aus der Opferrolle holt. Doch diese Diskussion scheint in Deutsch­land weniger aufsehenerregend zu sein als die Frage, ob Hollywood mit »Operation Walküre« dem Tätervolk beziehungsweise dessen Widerständlern gerecht werden kann. Die Debatte über »Operation Walküre« glich auf der Argumentationsebene einer Diskussion, die exakt 30 Jahre zurückliegt. Im Januar 1979 erfolgte die Erstausstrahlung der amerikanischen Serie »Holocaust« in den Dritten Programmen, nachdem sich die Intendanten nicht auf eine Ausstrahlung im Ersten einigen konnten.

Der Grund: Programmmacher, Politiker und Pädagogen waren sich nicht sicher, ob die Amis so eine Produktion überhaupt machen dürfen, ob sie das können, ob der Hollywood-Apparat samt Meryl Streep nicht unweigerlich trivial, verharmlosend und unseriös werden müsse. So als ob nur einheimische Filmemacher flankiert von Historikern dieses Thema angemessen aufarbeiten könnten und dürften, besonders qualifiziert durch die profunden Kenntnisse der Vernichtungsarbeit in den Lagern gewissermaßen aus erster Hand.

Als sich Spielberg statt mit »E.T.« mit Oskar Schindler befasste, wurde die Diskussion über die Legitimation des Regisseurs bereits bedeutend leiser geführt, zumal es ja um einen einen »guten Deutschen« ging. Auch Tom Cruise hat sich eines »guten Deutschen« angenommen. Gut, weil gegen Hitler (aber ohne Sozi oder Kommunist zu sein) gut, weil national denkend und soldatisch handelnd. Doch das große Murren über einen Scientologen als Stauffenberg, die peinliche Suche nach Recherche-Fehlern, um die Oberflächlichkeit Hollywoods zu belegen, machten deutlich, dass hierzulande heute die Sensibilität am ausgeprägtesten ist, wenn es um die hauseigenen Mythologien geht.

Viel Nazi-Zeit auf der Leinwand

Mit »Der Vorleser«, »Ein Leben für ein Leben« und »John Rabe« sind bereits oder kommen in den nächsten Wochen noch weitere Filme in die Kinos, die die Nazi-Zeit thematisieren. Frank Miller spielt in »The Spirit« mit SS-Ästhetik, Quentin Tarantino lässt demnächst in »Inglorious Basterds« (sic!) Nazis im besetzten Paris skalpieren und der Splatter-Film »Dead Snow« schließlich, der gerade auf dem Markt der Berlinale angeboten wurde, lässt die genreübliche Gruppe junger Menschen im genreüblichen, abgelegenen Haus in einer Winterlandschaft auf Nazi-Zombies treffen.

Diese Vielzahl von Produktionen zum Dritten Reich macht nicht nur die Akzeptanz des ­Themas quer durch alle Genres deutlich, sie könnte auch den vergleichsweise unspektakulä­ren »De­fiance« unter die Räder kommen lassen. Dann würde eine erzählenswürdige Episode einmal mehr von der Mythologie überrollt.

Defiance (dto) USA 08, R: Edward Zwick, D: Daniel Craig, Liev Schreiber,
Jamie Bell, 137 Min., Start: 5.3.