WissenschaftlerInnen in der Warteschleife

Sie nennen sich selbst »lost generation« – WissenschaftlerInnen in der Warteschleife nach Promotion und Habilitation. Viele von ihnen hoffen am Ende des Qualifizierungsmarathons auf eine Festanstellung oder einen eigenen Lehrstuhl. Was die Änderung des Dienstrechts und die Einführung der Juniorprofessur für diese Generation bedeutet, darüber sprach Conny Crumbach mit Thomas Mergel

Thomas Mergel ist habilitierter Historiker und arbeitet innerhalb eines Forschungsprojektes als Dozent an der Ruhr-Universität-Bochum. seit einem Jahr ist er Sprecher der Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de


StadtRevue: Die Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de ist ein virtueller Zusammenschluss habilitierter Wissenschaftler, die auf eine Professur warten – die Berufsgruppe, die am stärksten von der Reform des Hochschulrahmengesetzes betroffen ist. Inzwischen spielt sie eine Hauptrolle im Protest gegen das neue Gesetz. Wie hat sich die Initiative eigentlich entwickelt?

Thomas Mergel: Gegründet wurde sie vor anderthalb Jahren, als die ersten Vorlagen der Hochschulreform kursierten. Die Initiative veröffentlichte damals im Internet eine Resolution, die die Reform zwar befürwortete, aber kritisierte, dass diese auf dem Rücken des jetzigen wissenschaftlichen Nachwuchses ausgetragen wird. Zunächst sollte das keine Protestveranstaltung werden, sondern dazu beitragen, dass das Gesetz besser wird. Wir haben versucht, den Gesetzentwicklungsprozess durch Kommentare und Gutachten zu begleiten. Die wurden jedoch vom Ministerium weitgehend ignoriert. Inzwischen wurde unsere Resolution etwa 9000-mal unterzeichnet. Das dürfte der größte Teil des deutschen wissenschaftlichen Nachwuchses sein.

Was spricht Ihrer Ansicht nach für und was gegen das Gesetz?

Wir halten das Gesetz im Ansatz für gut. Die Professoren sollen jünger werden und früher wissenschaftlich selbstständig. Ein Strukturwandel, die Förderung der jüngeren Generation, darf jedoch nicht auf unsere Kosten gehen. Uns werden zu Gunsten der nachkommenden Generation Stellen weggenommen. Dahinter steckt ein Jugendwahn, der im Grunde nicht mehr auf Leistung, sondern nur noch auf das Alter setzt.

Im Zentrum Ihrer Kritik steht die Einführung der Juniorprofessur und die Änderung des Dienstrechts, die ein befristetes Arbeitsverhältnis an der Uni auf zwölf Jahre beschränkt.

Die Zwölf-Jahres-Regelung halten wir für katastrophal, denn sie bedeutet für viele, dass sie ab diesem oder nächstem Jahr nicht mehr an einer Hochschule beschäftigt werden können. Unsere Generation hat das Spiel nach ganz anderen Regeln begonnen. Man hat uns anfangs gesagt: »Lasst euch Zeit. Momentan gibt es sowieso keine freien Stellen.« Die Stellen, die jetzt für die Juniorprofessur bereitgestellt werden, sind in der Hauptsache C2-Stellen, die früher dazu dienten, dass Habilitierte sich von dort aus auf Professuren bewerben konnten. Eine Übergangsregelung ist nicht vorgesehen. Leute, die gerade ihre Habilitation abgeschlossen haben und denen schon eine C2-Stelle versprochen wurde, hören auf einmal von der Univerwaltung, dass das jetzt nicht mehr möglich ist.

Diese Kritik ist aus ihrer Perspektive verständlich, aber könnte die Regelung auf lange Sicht nicht doch dazu beitragen, die Situation an den Hochschulen zu verbessern?

Die Zwölf-Jahres-Regelung wird nicht nur unsere Generation, sondern in ein paar Jahren auch die Juniorprofessoren betreffen, die fertig sind und auf eine Professur warten. Die Idee des Gesetzes ist, eine Art Normalarbeitsverhältnis in der Wissenschaft zu schaffen: Eine Zeit der befristeten Beschäftigung für die Ausbildung, und danach soll man im Idealfall unbefristet beschäftigt werden. Das geht schlichtweg an dem Umstand vorbei, dass die Forschung in Deutschland in hohem Maß Projektforschung ist, d.h. sie ist per se befristet. Man mag das bedauern, aber das hat viel mit Haushaltsgründen zu tun. Das Gesetz wird nicht mehr befristete Stellen schaffen. Jeder Unikanzler würde sich dagegen wehren. Eher wird man nach Tricks suchen um diese Regelung zu umgehen.

Wie sieht das bei der Juniorprofessur aus?

Die Juniorprofessur wäre eine feine Sache, wenn sie so funktionieren würde wie der amerikanische Assistant Professor. Der wird meist von Außen berufen, unter sehr hoher Konkurrenz. Dann hat er sechs Jahre Zeit, in denen er einen Schonraum zur Weiterqualifizierung erhält und z. B. nicht so viel lehren muss. Wenn er danach auf Grund seiner Leistungen gute Außengutachten erhält, hat er die Chance, unbefristet angestellt zu werden. In Deutschland dagegen wird er meist von der Fakultät selbst berufen. Im Gesetzeskommentar wird explizit gesagt, dass so die Möglichkeit der Hausberufung erleichtert werden soll. Das halten wir für katastrophal, weil dann wiederum nicht die Besten, sondern die Nettesten oder die mit den besten Beziehungen berufen werden. Zudem soll ein deutscher Juniorprofessor bis zu acht Stunden lehren, prüfen und sich an der Selbstverwaltung beteiligen. Wie er sich da weiterqualifizieren soll, ist mir schleierhaft.
Es gibt eine Tendenz, aus den Juniorprofessoren eine Art Billigprofessor zu machen. In einigen Fällen werden ordentliche C3-Stellen als Juniorprofessuren ausgeschrieben. Scheinheilig mit dem Argument, dass diese nach sechs Jahren entfristet werden können. Das heißt aber zunächst nichts anderes, als dass Juniorprofessoren die Arbeit eines C3-Professors tun – eben nur viel billiger und weniger qualifiziert.

Grundsätzlich geht es auch um die Anpassung der deutschen Hochschulen an internationale Standards. Sie selbst waren als Postdoc in Harvard und haben als Gastprofessor in Chicago gelehrt. Wie schneiden die deutschen Unis im internationalen Vergleich ab?

Da muss man verschiedene Punkte beachten. Die Internationalisierung und Angleichung der Ausbildung und Studienabschlüsse ist eine gute Sache. Wir haben immer Probleme, wenn Austauschstudenten bei uns sind. Selbst innerhalb Europas gibt es noch völlig unterschiedliche Bewertungssysteme und Leistungsstandards. Was das große Vorbild USA betrifft, ist es jedoch reine Ideologie, zu behaupten, die amerikanischen Unis seien besser als die deutschen. Je höher der Qualifikationsrang ist, desto mehr deutsche Wissenschaftler findet man dort. Die sind alle in Deutschland ausgebildet worden und finden in den USA mit ihrem Wissen einen Job, den sie hier nicht bekommen.
Die deutschen Unis werden immer an den amerikanischen Eliteunis gemessen. Und da schneiden sie in der Tat schlechter ab. Die meisten Amerikaner gehen aber nicht auf Eliteunis wie Stanford oder Harvard. Die sind z.B. an der State University of Oklahoma. Dort lernt man viel weniger als an einer mittleren oder schlechten deutschen Universität. Man kann das amerikanische Beispiel nicht so einfach auf Deutschland übertragen, weil es ganz anders strukturiert ist: Wenn jemand als Dozent in Harvard nichts wird, dann kann er eine Stelle an einer kleineren Uni, einem College oder sogar einer Highschool bekommen. Wenn aber jemand in Köln nichts wird, wird er auch in Vechta nichts. Darum reicht es nicht, ein Merkmal wie den Juniorprofessor zu übernehmen und zu meinen, damit das ganze System zu reformieren.

Halten Sie denn eine grundlegende Umstrukturierung nach diesem Modell für sinnvoll?

Ich persönlich wäre sehr dafür, wenn sich in Deutschland unterschiedliche Hochschulniveaus durchsetzen würden. Ich meine zwar, dass die Hochschulen für jeden offen sein sollten, der gut ist, aber sie sollten selbst keine Maschine zur sozialen Nivellierung sein. Trotz aller Einschränkungen ist das deutsche System, Forschen und Lehren zu verbinden, die weitaus beste Möglichkeit, das selbstständige Denken und Arbeiten zu fördern. Da krankt es an vielen Unis in den USA, und viele beneiden uns dort um dieses System.

An den Universitäten herrscht zurzeit große Verunsicherung. Es gibt Proteste von Professorenseite und auch die Verwaltungen wehren sich zum Teil gegen die Umsetzung der Zwölf-Jahres-Regelung. Wie wird es denn jetzt weitergehen?

Wir hoffen sehr auf eine Nachbesserung des Gesetzes. Die Chancen sind nicht schlecht, dass es unter Umständen doch noch eine Übergangsregelung für uns geben wird.

Info: www.wissenschaftlichernachwuchs.de