Foto: Frank Dohmas

Am Tag, als es nicht mehr gut ging

Das verschwundene Stadtarchiv als Geschichtszeichen.

Ein Kommentar

»Man sieht dem Imperialismus Tag für Tag beim Zusammenbrechen zu«, hatte der Dichter Peter Hacks vor ein paar Jahren notiert. Er spielte damit auch auf das Paradoxon einer technologisch hochentwickelten Gesellschaft an, die nicht mehr willens oder in der Lage ist, ihr Inventar so zu kontrollieren, dass es nicht ständig kollabiert.

 

Insofern ist der Einsturz des Kölner Stadtarchivs, sein Absturz in ein dreißig Meter tiefes Loch, ein Geschichtszeichen: Was dort buchstäblich verschwunden ist und zwei Menschen in den Tod gerissen hat, ist nicht einfach nur Schicksal, keine tragische Verkettung unglücklicher Umstände – wie es die KVB und die Kölner Politik am liebsten sähen. Es ist aber auch nicht die Konsequenz eines eiskalt-frühkapitalistischen Zynismus.

Zynismus wäre es, wenn beim Bau der U-Bahn-Strecke von vorneherein größere Unglücke ein­kalkuliert wären, weil diese immer noch billiger kommen als ein menschenschonendes Vorgehen. Immerhin – dieser Zynismus rechnet noch mit den Menschen: als Opfer. In Köln ist es ­schlimmer.

 

Was sich umso deutlicher abzeichnet, je mehr sich Staub und Schutt auf der Severinsstraße gelegt haben, ist ein tiefes Desinteresse von Politik, Verwaltung und KVB an der Öffentlichkeit, an den Gegenständen und Räumen der Stadt, an ihren Bewohnern. Man hat, angefangen von der Planung der U-Bahn-Strecke, ihrem Bau bis hin zur Begutachtung der zahlreichen Gebäudeschäden oberhalb des Tunnels, immer nur das für seinen Planungs­bereich abgezirkelte Nötigste getan.

 

Die Risse im Stadtarchiv? Wurden auf das Oberflächlichste protokolliert. Zuletzt im Dezember. So what? Schon wenige Tage nach der Katastrophe begann das Spiel mit dem Verantwortungsschwund. Im Klüngel gibt man die Frage nach der Schuld einfach solange im Kreis weiter, bis sie sich verliert in Relativierungen, Ausweichmanövern, Haarspaltereien. »Da jeder nur für seinen parzellierten Bereich zuständig zeichnet«, folgert Andreas Rossmann in einem Kommentar für die FAZ, »hat keiner mehr den Überblick oder trägt Verantwortung für das Ganze.«

Dann schauen wir mal auf »das Ganze«. Der Einsturz des Stadtarchivs steht nicht nur im Zusammenhang mit dem schiefen Kirchturm, den ungezählten Gebäudeschäden, der irren Kosten­explosion des U-Bahn-Baus. Sondern generell mit der systematischen Enteignung, vulgo: Privatisierung des städtischen Raums.

 

Dort, wo Öffentlichkeit (ganz gleich, wie illusorisch sie tatsächlich sein mag) immer weniger gefragt ist und sie bloß zombiehaft wiederkehrt in Form von gesäuberten Konsumzonen, autofreundlichen Verkehrswegen, auf Events ausgerichteten und zunehmend an­wohnerfreien Innenstädten, löst sich der städtische Zusammenhang auf.

 

Man kann sagen – und es ist wirklich nur ein bisschen übertrieben: Köln verschwindet. Es verschwindet der städtische Raum, in dem die Menschen ihre höchst unterschiedlichen sozialen Interessen ausfechten können. Das spiegelt sich in der Politik wider, die nicht mehr mit einer Öffentlichkeit rechnet – so wie sie sich früher vielleicht sogar vor ihr gefürchtet hat –, sondern mit Verwaltungsvorgängen kalkuliert, die ständig evaluiert, restrukturiert und also flexibilisiert werden wollen.

Zur Öffentlichkeit zählt natürlich auch die vergangene. Jene, die wir Stadtgeschichte nennen. Dass beim U-Bahn-Bau offensichtlich der geschichts­gesättigte Boden unter der Kölner Innenstadt gering geschätzt wurde, passt ins Bild. Köln verschwindet? Was soll dieses Pathos, hätte es noch vor paar Wochen geheißen. Aber jetzt ist das Archiv weg, samt seinen unschätzbaren Mate­rialien zur Wiederaneignung eines historisch-städtischen Bewusstseins. Symbolik und reale Geschichte fallen zusammen, Schicksal und Menschenwerk sind im Kölner Fall identisch.

Es gibt einen kölschen Spruch, der vermutlich un­ausrottbar ist. Et hätt noh immer jot jejange: Egal, was einem Schlimmes passiert, »das Leben« ist doch viel größer als dieses oder jenes Einzel­ereignis! Am 3. März holte das Ereignis das städtische Leben ein – eben weil es absehbar war, aber kein Verantwortlicher es absehen wollte. Es war der Tag, an dem es nicht mehr gut gegangen ist.